Die falsche Neun von Philip Kerr
Ex-Fußballtrainer Scott Manson ermittelt weiter
Scott Manson hat seinen Ruf als Philip Marlowe der Fußballszene weg. Seit er in Der Wintertransfer den Mord am portugiesischen Cheftrainer seines englischen Vereins London City untersucht hat, interessiert sich die internationale Fußballwelt mehr für seine Qualitäten als Privatdetektiv denn für seine Kompetenzen als Trainer. Da waren auch die Ermittlungen, die er im zweiten Teil Die Hand Gottes angestellt hat, nicht gerade hilfreich. Seither ist der Schotte mit afroamerikanischen Wurzeln arbeitslos. Doch dann wendet sich sein alter Verein FC Barcelona an ihn. In dessen Auftrag begibt sich Scott Manson im dritten Teil auf die Suche nach einem verschwundenen Spieler und findet Die falsche Neun auf den Kleinen Antillen.
Bye bye, London City
Der neue Cheftrainer von London City sollte Scott Manson werden, wenn er ihm die Polizei vom Hals hält, hatte der ukrainische Clubbesitzer Viktor Sokolnikow versprochen – und wahrgemacht. Doch dann musste Scott bereits zu Saisonbeginn feststellen, dass die Leidenschaft für den Sport manchmal dazu führt, dass manche Leute nicht mehr miteinander arbeiten können. Ein Champions League Spiel hatte ihn mit seinem Verein nach Athen geführt. Dabei war einer seiner Spieler auf dem Platz zusammengebrochen und in der Folge gestorben. Die griechische Polizei hatte die gesamte Mannschaft verdächtigt und die Ausreise verboten. Die war aber auch allein wegen des nötigen Wiederholungsspiels und der engen Taktung aller weiteren Begegnungen nicht möglich. Also verlangte Sokolnikow einmal mehr von seinem Trainer, den Privatdetektiv zu geben. Und dem wurde bald klar, dass der Schuldige in der Chefetage zu finden war. An eine weitere Zusammenarbeit war da für Scott nicht mehr zu denken. Also reichte er seine Kündigung ein.
Eine Twitterliebe: #Cityincrisis
Doch nun will ihn kein Verein haben. Ob nun aus Gründen seiner Hautfarbe oder weil es in dieser Branche ohnehin schwierig ist, spielt unter dem Strich fast gar nicht mal die große Rolle. Auf Twitter jedenfalls ist man sich nahezu einig: An der #Cityincrisis ist definitiv Scott Manson schuld. Als »useless bastard« oder auch als »stupid black cunt« bezeichnen ihn die Freunde der 140 Zeichen. Beleidigungen dieser Art vermag Scott gerade noch zu schlucken. Schwerer fällt ihm das mit dem Schlucken, wenn die Tweets tatsächlich seine Weichteile angreifen. Würde er für irgendwas taugen, schreibt da einer, wäre er längst bei einem anderen Club unter Vertrag. Das tut weh. Als Scott dann umgekehrt nach einem Spiel zwischen Barcelona und Villarreal etwas Chauvinistisches über die Qualitäten des Brasilianers Rafinha twittert, kommt ihn das teuer zu stehen. Und trägt natürlich auch nicht zur Jobsuche bei. Weder in der Fußball-, noch in der Twitterwelt geht es eben besonders gerecht zu.
Ein Schotte in China
Also bleiben dem Schotten nur die Chinesen. Der Verein Shanghai Xuhui Nine Dragons des Superreichen Jack Kong Jia lädt ihn nicht nur zum Vorstellungsgespräch ein, sondern bietet ihm sogleich einen Vertrag als Manager an. Zu schön, um wahr zu sein, könnte man meinen. Doch in seiner Lage ist Scott Manson nicht allzu skeptisch und nimmt das Angebot direkt an. Als er dann aber mit Sack und Pack zum zweiten Mal nach Shanghai kommt, wartet auf ihn nicht wieder die Präsidentensuite, sondern nur ein Standardzimmer. Und der Mann, der sich ihm diesmal als Jack Kong Jia vorstellt, sieht so ganz anders aus als beim Vorstellungsgespräch. Da hatte ein gutaussehender Mann in seinen frühen Dreißigern vor Scott gestanden. Der Mann jetzt sieht eher aus wie die chinesische Version von Keith Richards. Den wollte offenbar nur einer in Verlegenheit bringen. Um den nun dumm aus der Wäsche schauenden Schotten ging es jedenfalls zu keinem Zeitpunkt.
Auf der Suche nach Stürmerstar Jérôme Dumas
Nun bleibt Scott Manson nur der Hilferuf seines alten Vereins FC Barcelona. Die haben den Stürmerstar Jérôme Dumas unter Vertrag, den sie an Paris Saint-Germain ausgeliehen hatten. Fortan soll der Franzose wieder bei ihnen auflaufen, doch zum Training ist er nicht erschienen. Eigentlich sollte er längst aus seinem Urlaub auf Antigua, einer der kleinen Antillen, zurück sein. Doch auf Antigua gibt es keine Spur von ihm, weder von seiner Ankunft oder seinem Aufenthalt, noch von seiner Abreise. In Paris ist er aber auch nicht, weder bei sich zu Hause oder bei seiner Ex-Freundin, noch in der Banlieue, in der er sich für ein Sportcenter engagiert. Bei seinen Ermittlungen kommt Scott bald zu der Erkenntnis, dass dieser Jérôme Dumas derart unterschiedliche Facetten zu haben scheint, die reichen für mindestens zwei Jérômes, wenn nicht gar für drei. Einerseits erscheint er als der gefeierte, sich selbst liebende Stürmerstar, der nebenher, einem schwarzen David Beckham gleich, als Model arbeitet. Andererseits gibt es den depressiven Jérôme, der viel von einem Philosophen hat und sich für sozial Schwache engagiert. Und schließlich gibt es auch noch jenen, der auf Prostituierte, Drogen und Waffen steht. Scott Manson bleibt nichts anderes übrig, als sich auf den Weg in die Karibik zu machen und dort »die falsche Neun« zu suchen.
Die falsche Neun
Was ist eigentlich eine falsche Neun? Heutzutage gibt es ja viele lustige Begrifflichkeiten und Redewendungen rund um den Fußballsport. Ständig arbeiten Spieler »gegen den Ball« oder »holen zweite Bälle«. Dabei spielen noch immer 22 Männer mit nur einem Ball. »Die falsche Neun« ist auch so eine neumodische Erscheinung und bezeichnet einen Stürmer, der nicht nur vor dem gegnerischen Tor herumsteht und darauf wartet, dass ihm der Ball auf die Füße oder den Kopf fällt. Die falsche Neun ist vielmehr ein Stürmer, der sich zurückfallen lässt, so eine Verbindung zwischen Mittelfeld und Angriff schafft und damit die gegnerische Verteidigung zur Verzweiflung bringen kann. Diese Spielweise ist zwar keine Erfindung der Gegenwart, ist aber erst durch Lionel Messi so richtig in Mode gekommen. Auf das vorliegende Buch bezogen, bezeichnet dieses Konzept sehr pointiert die Verwirrung, die um den verschwundenen Stürmer entsteht. Auf seine Weise hat der sich nämlich auch zurückfallen lassen und möchte sich so den Gegnern entziehen.
Fazit
Wie schon bei den beiden vorherigen Bänden bin ich der Überzeugung, dass sich auch diese Geschichte ohne große Begeisterung für oder Kenntnis des Fußballsports vergnüglich lesen lässt. Ähnlich wie im zweiten Teil, der uns nach Griechenland führte und damit auch mit der wirtschaftlichen und politischen Misere des Landes konfrontierte, geht es auch hier in eine Region der Welt, um die es mal nicht so wirklich gut steht. Wer wie Jérôme Dumas auf Guadeloupe, einem Überseedépartment und damit einer Region Frankreichs, geboren wurde, hat nicht ganz so viele Chancen, es weit zu bringen. Und selbst wenn er es schafft, für die französische Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen, erfreut sich so ein Spieler nicht zwangsläufig allzu großer Beliebtheit bei den französischen Fans. Macht er dann wie Jérôme Dumas auch noch einen auf Gangsta, nun ja, dann wird es wahrlich schwierig. Philip Kerr schlägt also auch hier wieder die Verbindung zwischen seinem Lieblingssport und gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Aspekten der wahren Welt und sorgt mit seinen, für ihn so typischen, zotigen Dialogen für eine kurzweilige Lektüre.