Junge Deutsche Lyrik I
Chabos wissen wer der Babo ist
von Aykut „Haftbefehl“ Anhan
aus dem Zyklus: Blockplatin (2013)
„Chabos wissen wer der Babo ist/ Hafty Abi ist der, der im Lambo und Ferrari sitzt/ Saudi Arabi Money rich“
Mit diesen Zeilen macht einer der vielleicht hoffnungsvollsten deutschen Lyriker unserer Zeit seit einigen Wochen auf sich aufmerksam. Kritiker und Publikum sind zu Recht begeistert, gelingt es Aykut Anhan doch die unübersichtlichen Strukturen einer immer komplexer werdenden Welt mit philosophischem Fachwissen intellektuell und emotional auf den Punkt zu bringen.
Zentrum des Werkes ist die Zeile: „Chabos wissen wer der Babo ist“. In seiner Einfachheit bestechend, schwingt doch eine schwere Melancholie mit. Wer weiß schon noch wirklich, wer der Babo ist? Dass sofort zu Beginn des Satzes die Antwort gegeben wird, die Chabos, ist nicht nur dem Metrum geschuldet. Durch die syntaktisch prominente Nennung wird die Aufwertung des Chabos unterstrichen, denn er weiß, wer der Babo ist, ein Wissen, dass in gewöhnlichen Bildungseinrichtungen kaum noch zu vermitteln ist. Unser Nicht-wissen um die Identität des Babo beschämt. Wo das von staatlichen Institutionen verliehene Abitur nicht mehr reicht, braucht es das „Hafty Abi“, Zeichen einer utopischen, emotionalen Erkenntnis, die jenseits akademischer Bildung ein holistisches Wissen über die Welt verheißt.
Dass der Chabo weiß, wer der Babo ist, erinnert jedoch nicht zuletzt an den Deutschen Idealismus. In seiner „Phänomenologie des Geistes“ von 1807 schreibt Hegel bereits:
„…zwei entgegengesetzte Gestalten des Bewußtseins; die eine das selbständige, welchem das Fürsichsein, die andere das unselbständige, dem das Leben oder das Sein für ein Anderes das Wesen ist; jenes ist der Babo, dies der Chabo“.
Schon Hegel wusste um die dialektische Beziehung zwischen Chabo und Babo, welche durch Anhan enthierarchisiert wird. Gelangt nicht der Chabo durch seine Stellung und sein Wissen zu wirklicher Handlungsfähigkeit im Machtgefüge? Ist es nicht erst der Chabo und dessen Wissen um den Babo, der diesem seine Macht verleiht? Chabo und Babo sind interdependente Elemente, welche um die eine, unwiderlegbare Wahrheit kreisen: „Chabos wissen wer der Babo ist“.
Das Gedicht zeigt jedoch vor allem soziale Verantwortung. Erst im April veröffentlichte der DGB, dass 1.320.000 Menschen ergänzend zu ihrer Chabotätigkeit (davon 350.000 Vollzeit) ALG II beziehen müssen. Wie lässt es sich da verantworten, dass der Babo „Saudi Arabi rich“ in teuren Markenfahrzeugen seinen, durch den Chabo erwirtschafteten Reichtum zur Schau stellt? Und der Chabo? „Immer noch der selbe Chabo Bitch/ den Du am Bahnhof triffst/ wie er gerade Nase snifft“. Der Chabo ist Verlierer dieses Arbeitsverhältnisses. Er fährt nicht „Lambo“ oder „Ferarri“, sondern muss auf die öffentlichen Verkehrsmittel am Bahnhof zurückgreifen. Er ist von Schnupfen und Selbstzweifeln geplagt, von seiner Arbeit entfremdet und von schlechten Sozialleistungen zu sniffen gebracht. Noch immer „der selbe Chabo“ – Stagnation, Perspektivlosigkeit!
Der zweiter Teil des Gedichts versucht den Widerspruch zwischen engagierter Literatur und dem Gefühl eigenen Hoffnungs- und Hilflosigkeit aufzulösen. In assoziativer Verkettung wird die türkische Stadt Tokat auf „Kopf ab“, „Mortal Kombat“ und „Vollkontakt“ gereimt. Eine unterschwellige Kritik an der starken Rolle des Militärs in der Türkei? Vielleicht als Metapher für die allgegenwärtige Unterdrückung des Chabos? Sinn ist nur kontextuell zu begreifen und fordert die Analyse des engagierten Lesers. Nicht zu Unrecht denkt man unwillkürlich an Kurt Schwitters und den Dadaismus.
Doch mitten in diesem Wortsturm, einer Klimax der Bedeutungsmultiplikation, findet sich ein engagierter Aufruf: „Komm ran Opfer, Du bist Honda, ich Sagat“. Das Erkennen, und Anerkennen, dass auch der Gegenüber nur Opfer eines repressiven Machtsystems ist, auf den Wert eines Mittelklassewagens reduziert, und die Aufforderung herzukommen, ja sogar die Identifikation des Lyrischen Ichs mit François Sagat, dem Darsteller diverser Schwulenpornos, geben dem Gedicht eine zärtliche Wendung.
Es ist, wie der Hegel-Schüler Marx formulierte: „Die Chabos haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Chabos aller Länder, vereinigt Euch!“