12 Years a Slave
Alle Jahre wieder: Während der Sommer des Jahres in Hollywood für spektakuläre Millionengräber und explosive Blockbuster mit mindestens drei Superhelden reserviert ist, wird der Jahresanfang zumeist von einer anderen Sorte Film bestimmt: Die Preisjäger. Golden Globes, Oscars – jeder will die begehrten Trophäen haben, ergo erwarten den Kinozuschauer schwere Themen, dramatische Filme mit Pianomusik und Schauspieler, die sich in der Klischeeschublade der Charakterrollen bedienen (oder einfach Christian Bale heißen und mal wieder ein paar Kilo zunehmen). Case and Point: »The Butler«, »The Secret Life of Walter Mitty«, »Her«, »Captain Phillips«, »Mandela« und nun also auch »12 Years a Slave«?
Wir schreiben das Jahr 1841. Der begabte und freie afro-amerikanische Geigenspieler Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) wird von zwei Zirkusartisten entführt und als Sklave verkauft. Bereits auf der Schifffahrt erleidet er Prügel und Demütigungen. In New Orleans kauft ihn der Plantagenbesitzer William Ford (Benedict Cumberbatch), der Northups Hilfe beim Bau einer Wasserstraße sowie sein Geigentalent sehr zu schätzen weiß und belohnt. Die kurze Idylle hält jedoch nicht lange an und Northup wird an den brutalen und sadistischen Edwin Epps (Michael Fassbender) verkauft. Dort muss Solomon Northup das volle Ausmaß der Grausamkeit gegen Sklaven erfahren, der weder er noch die ihm zugeneigte Sklavin Patsey (Lupita Nyong’o) entkommen können. Seine einzige Hoffnung bleibt ein seltsamer Kanadier namens Bass (Brad Pitt).
12 Years a Slave wurde inszeniert von dem bisher allenfalls Filmkennern bekannten Steve McQueen – nein, die Rede ist hier nicht von dem berühmten Schauspieler und ‚King of Cool‘ aus »Bullitt« und »Papillon«, dessen Tod bereits über 30 Jahre zurückliegt. Regisseur McQueen hat erst zwei Spielfilme auf dem Buckel – das Geschichtsdrama »Hunger« über den IRA Hungerstreik in Irland und das Charakterdrama »Shame« über einen sexsüchtigen, zerbrochenen Mann und seine dysfunktionale Beziehung zur Außenwelt. Beide Filme sind harter Stoff, haben Michael Fassbender in der Hauptrolle – und sind beide großartig. »12 Years a Slave« schlägt nicht nur bei dem ebenfalls hier in einer Rolle vertretenen Fassbender in die selbe Kerbe.
Der Film, den Spielberg gerne gemacht hätte
Es ist einfach, »12 Years a Slave« im Vorhinein als „schon wieder ein Film über Sklaverei/Apartheid/Rassismus zur Oscar-Saison“ abzukanzeln. Das Prädikat „basierend auf einer wahren Geschichte“ (»12 Years a Slave« ist ein Buch des echten Solomon Northup über seine Erlebnisse) wird heutzutage viel zu inflationär gebraucht, als dass es noch irgendjemanden aus dem Hocker hauen könnte. Und zusätzlich drängt sich der Vergleich zu dem bekannten Spielberg-Streifen »Die Farbe Lila« geradezu auf. Die Wahrheit ist: »12 Years a Slave« schmettert jedes Spielberg-Drama mit einer fast schon erschreckenden Souveränität an die gegenüberliegende Wand.
Ein Großteil davon ist dem Regisseur zuzuschreiben: Steve McQueen, bekannt für seine perfekt durchkomponierten Bilder und seine oft gnadenlos langen Einstellungen ohne Schnitt, spielt hier sein gesamtes Können aus, ordnet es aber immer der Geschichte unter. Und es wirkt: Der Film ist geradezu schmerzhaft intensiv und an vielen Stellen schwer zu ertragen. Wo andere Regisseure längst einen Schnitt gesetzt oder die Kamera weggedreht hätten, hält McQueen gleich nochmal doppelt so lange drauf. Die gezeigte Gewalt gerät jedoch nie zum Selbstzweck, sondern verdeutlicht dem Zuschauer auf unangenehme Weise, was die Sklaven tatsächlich durchmachen.
Außerdem verzichtet McQueen dankenswerterweise auf eine melodramatische Tear jerker-Inszenierung. Die Emotionen, die hier beim Zuschauer entstehen, kommen ausschließlich aus der Geschichte und den Charakteren. Besonders deutlich wird das in dem bewegenden Ende: Wo ein Spielberg mit Freude noch drölfzig Streicher-Ensembles und schluchzende Geigen hineingeflatscht hätte, berührt »12 Years a Slave« gerade in diesen Momenten durch seine Zurückhaltung.
Oscars, please!
Den emotionalen Kern des Films bilden die durch die Bank fantastischen Schauspieler. »12 Years a Slave« ist gespickt mit bekannten Namen. »Sherlock«-Star Benedict Cumberbatch beeindruckt neben seiner glaubhaften Performance als mitfühlender Plantagenbesitzer vor allem durch seinen perfekten 1830er Jahre New Orleans (!!!)-Akzent. Paul Giamatti wertet sowieso jeden Film durch seine Präsenz auf und sei sie noch so kurz. Die aus der TV-Serie »American Horror Story« bekannte Sarah Paulson spielt wunderbar kalt die sadistische Mary Epps, während »The Wire«-Darsteller Michael K. Williams deutlich mehr Screentime vertragen hätte. Vollkommen ablenkend wirkt leider Brad Pitt, der gegen Ende des Films auftaucht und den Zuschauer völlig aus dem Film herausreißt; Pitt spielt solide, aber er bleibt leider in jeder Sekunde Brad Pitt und nicht die Figur, die er eigentlich darstellen soll. Allzu viel Persönlichkeit erhält diese leider auch nicht, sie bleibt eindimensional und ein Mittel zum Zweck – der einzige ‚Ausfall‘ in einer ansonsten großartigen Besetzung
Das Zentrum des Films liefern jedoch die drei zentralen Figuren – deren Performances ausnahmslos oscarwürdig sind. Lupita Nyong’o, Michael Fassbender und nicht zuletzt Chiwetel Ejiofor verschwinden in ihren Figuren. Sie tauchen in ihre Charaktere hinein, Ejiofor spielt nicht einfach nur Solomon Northup, er IST Solomon Northup. Genau das gleiche lässt sich über Nyong’o sagen. Und Michael Fassbender zeigt ein weiteres Mal, warum er zu den derzeit besten Charakterdarstellern Hollywoods gehört – dieses Mal in einer gnadenlos unsympathischen und bösartigen Rolle, die nicht wenige Schauspieler wahrscheinlich aus Image-Gründen abgelehnt hätten.
»12 Years a Slave« ist KEIN weiterer billiger Film, der mit einem ernsten und schweren Thema versucht, Preise abzustauben. Stattdessen ist er ein unvergleichlich intensiver Film, der das Thema Sklaverei mit dem nötigen Respekt und Sorgfalt betrachtet, gleichzeitig aber nicht vor den Gräueln zurückschreckt und an einigen Stellen fast schon unerträglich ist. Damit ist der Film sicherlich nicht der erste, doch in seiner kompromisslosen Inszenierung ohne jegliche Melodramatik oder Kitsch ist er bedingungslos zu empfehlen. Fischpott fordert Oscars für »12 Years a Slave«. Viele davon. Er hat es verdient.
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