13 Stufen – Roman von Kazuaki Takano
Der Weg zum Galgen führt über 13 Stufen. So heißt es zumindest. Zwar gibt es in Japan keinen Galgen mit 13 Stufen. Aber es gibt die Todesstrafe, nachwievor. Und die bedeutet Erhängen. Bevor der zum Tode Verurteilte hochoffiziell aufgeknüpft werden darf, braucht es das Go von 13 Beamten in fünf Institutionen. Mit ihren Unterschriften bestätigen sie die Vollstreckung des Todesurteils, das meist schon viele Jahre zuvor ergangen ist. Diese Zwischenzeit verbringen die Delinquenten unter abartigen Bedingungen in Isolationshaft, dem Wahnsinn nahe.
In seinem Roman aus dem Jahr 2001, der jüngst erst ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt Kazuaki Takano die Geschichte des unschuldig zum Tode Verurteilten Ryō Kihara. Und der hat ein großes Problem: Er kann sich nämlich an gar nichts erinnern. Allein deshalb ist sein Tod so gut wie sicher. Doch der ehemalige Gefängnisaufseher Nangō und der auf Bewährung entlassene Jun’ichi wollen seine Unschuld beweisen.1
Was vor zehn Jahren geschah
Zehn Jahre ist es her, da der damals 22-jährige Ryō Kihara schwerverletzt neben seinem Motorrad am Straßenrand aufgefunden wurde. Nur kurze Zeit später erkannten Ermittler ausgerechnet in ihm den Mörder seines Bewährungshelfers und dessen Ehefrau. Der Tathergang erschien offensichtlich: Das Haus der Utsugis habe der Kleinkriminelle als Klient betreten, dann wegen derer Wertsachen das Ehepaar mit einer Axt erschlagen. Schließlich sei Kihara bei der Flucht mit dem Motorrad verunglückt. Wenngleich die Indizien einige Fragen offen ließen, kam es zur Verurteilung. Tatwaffe und die geraubten Wertsachen, so das Kontobuch und der Namensstempel Utsugis, gelten allerdings bis heute als verschwunden.
Nun sieht das japanische Strafrecht bei einem Raubmord mit weniger als drei Getöteten noch nicht zwangsläufig die Todesstrafe vor. Die steht erst bei mehr als drei Opfern außer Frage. In Hinblick auf Kihara gestaltet sich die Sachlage aber etwas komplizierter.
Die Bedeutung von Reue und Wiedergutmachung
Durch den Unfall bedingt kam es bei Kihara zu einem Schädelbasisbruch und einer schweren Gehirnerschütterung. Seither leidet der vermeintliche Täter an einer retrograden Amnesie, also an Gedächtnisverlust. Und weil Kihara sich an nichts erinnern kann, kann er auch nicht bereuen. Reue aber ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb ein japanischer Richter Gnade vor Recht ergehen lassen kann. Für einen Doppelmörder bedeutet dies den Unterschied zwischen lebenslänglich (mit Bewährung nach vielleicht 15 Jahren) und der Todesstrafe durch Erhängen. Auch für die – wenn auch eher theoretische – Option der Amnestie ist Reue unerlässlich.
Neben der Reue gilt auch die Bereitschaft zur Wiedergutmachung als essentiell für die potentielle Gnade. In Japan haben laut Kazuaki Takanos 13 Stufen Opfer und ihre Angehörigen einen Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung geldlicher Art. Je höher die Zahlung, desto besser die Chancen für die vorzeitige Entlassung. Oder die mögliche Amnestie. Fehlen dem Täter hingegen die entsprechenden Mittel, tritt der Staat ein, um den Ausgleich für die Opfer zu leisten. So geschehen im Fall von Kihara, der aus armen Verhältnissen stammt.
Demgegenüber ist im Fall von Jun’ichi seine Familie eingesprungen. Die hat sich in einer Vergleichsverhandlung auf die Zahlung von 70 Millionen Yen eingelassen. In Euro gesprochen wäre dies etwas mehr als eine halbe Million.
Ein Ex-Sträfling und sein Aufseher ermitteln
Auch Jun’ichi hat getötet. Allerdings war es bei ihm kein Mord, sondern Körperverletzung mit Todesfolge. So zumindest lautete das Urteil des Richters. Jun’ichi selbst sieht sich als Mörder und versteht seine milde Strafe nicht. Reue und Wiedergutmachung eingerechnet, musste er für zwei Jahre ins Gefängnis. Dort hatte ein Mann einen speziellen Blick auf ihn: der Oberaufseher Nangō. Kurz nach Jun’ichis Entlassung erscheint Nangō nun bei ihm zu Hause und bietet ihm einen Job als Assistent an. Im Auftrag eines Rechtsanwaltes, der seinen Auftraggeber wiederum nicht nennen will, sollen sie die Unschuld von Kihara beweisen.
Von Jun’ichis Teilhabe verspricht sich Nangō eine ganze Menge, denn Jun’ichi war am Tag der Tat am selben Ort. Seinerzeit noch ein Teenager, der mit seiner Freundin durchgebrannt war, mag Jun’ichi über die damaligen Erlebnisse gar nicht mehr sprechen. Die Vorstellung, an den Ort zurückzukehren, dreht ihm den Magen um. Dennoch ist der Job für ihn ein wahrer Segen. Denn mit dem Auftrag ist eine hohe Erfolgsprämie verbunden. Und die möchte er wiedergutmachend seinen Eltern zukommen lassen.
Auch Nangō erlebt den Auftrag als Entlastung. Denn auch Nangō hat bereits zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Als Gefängnisaufseher war er zweimal tatkräftig bei Hinrichtungen dabei. Und diese beiden Erfahrungen haben sein Verständnis von Schuld und Sühne maßgeblich geprägt. Nicht länger möchte er als Aufseher arbeiten, stattdessen von der Prämie seinen Traum von einer eigenen Bäckerei realisieren.
13 Stufen komplexe Story mit rechtsphilosophischer Betrachtung
Allein mein Versuch der Zusammenfassung zeigt schon: Hier greifen mehrere Erzählebenen ineinander. Der japanische Schriftsteller und Drehbuchautor verwebt sie zu einer komplexen Story. Das erfordert schon geneigte Aufmerksamkeit der Leserschaft. Kazuaki Takano geht aber versiert genug vor, sodass die Gefahr, den Überblick zu verlieren, nicht allzu groß ist. Im Gegenteil war mir sogar relativ früh klar, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Allein sah ich mich nicht in der Lage vorherzusehen, wie genau die Zusammenhänge dabei sein könnten.
Vergleichbar mit seinem tatsächlich jüngeren Werk Extinction geht es auch bei den 13 Stufen um weit mehr als nur die oberflächliche Spannungsgeschichte. Hier liefert Kazuaki Takano eine Menge rechtsphilosophischer Betrachtung zum japanischen Verständnis von Schuld und Sühne. Vor allem durch seine Figur Nangō geht er streng ins Gericht mit dem japanischen Strafrecht, das sein Verständnis von Sühne irgendwo zwischen Vergeltung und dem Versuch der Umerziehung der Täter ansiedelt. Dabei ringt er vor allem mit der Willkür, die den Unterschied zwischen Tod und Leben ausmacht.
Doch auch wenn er am Beispiel der Geschichte Kiharas zeigt, wie fehlbar das System sein kann, liefert er keine schnellen Antworten. So bezieht er auch keine eindeutige Position zum Thema Todesstrafe, überlässt dies vielmehr uns Leserinnen und Lesern. Gerade diese fehlende Positionierung mag sicherlich dem einen oder der anderen so gar nicht gefallen. In meinen Augen macht die Aufforderung, die eigene Position zu hinterfragen, aber gerade den Reiz der Lektüre aus.
1. Der Klappentext sorgt für etwas Verwirrung: Hier ist Kihara nicht der zum Tode Verurteilte, sondern der Aufseher, der seine Unschuld beweisen will. Oups! ↩
Fischpott Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar vom Penguin Verlag erhalten.