20 Jahre Diktatur
Seit 2001 ein Musterland der Demokratie: Tropico
Weil unser Redakteur JKG zu den traurigen Losern gehört, die immer noch keine PS5 bekommen haben und außerdem Cyberpunk 2077 immer wieder verschoben wurde hat er 2020 das einzig Vernünftige gemacht: Im Steam Shop zu günstigen Preisen vollkommen veraltete Spiele aus seiner frühen Jugend kaufen. Dabei ist ihm aufgefallen: Eine seiner Lieblings-Spielreihen wird im kommenden Jahr 20. Aus seiner Sicht ein Grund, die Tropico-Reihe hier auf FischPott gebührend zu feiern. Und sich selbst auch ein bisschen.
Bienvenido, El Presidente!
Als ich als pubertierender und pickliger Dreizehnjähriger endlich die ersehnte Ausgabe meiner damaligen Lieblingszeitschrift (GameStar) in der Hand hielt und endlich die Seite mit dem ausführlichen Bericht zu Tropico aufschlug war für mich schon längst klar: Ich musste dieses Spiel haben! Was mir nicht klar war: Dass Tropico sich – zumindest für mich – in die glorreiche Riege der großen Namen der Wirtschaftssimulationen einreihen würde. Denn eigentlich ist die Reihe, die in den vergangenen 20 Jahren vier Mal das Entwicklerstudio gewechselt hat und inzwischen sechs Teile vorweisen kann ein Außenseiter.
Im Gegensatz zur Anno-Reihe, bei der ich bis heute mit dem Taschenrechner neben dem PC sitze und der Siedler-Reihe, die durch ihre wuselige Optik besticht hatte Tropico etwas, was mich damals wie heute anzieht: den Aspekt der Satire und die Eigenschaft, sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen. Als Diktator eines karibischen Inselidylls Anfang der 1950er Jahre ist es meine Aufgabe, die Wirtschaft aufzubauen, Produktionsketten zu erstellen, meine Einwohner konstant zufrieden zu halten und wiedergewählt zu werden. dabei ist es natürlich – in guter alter Diktatorenmanier – gar nicht wichtig, wie ich an der Macht bleibe. Ich kann freie Wahlen abhalten, den Wahlausgang manipulieren, erpressen, bestechen, mein Militär zur Einschüchterung nutzen, Wahlen ganz abschaffen. Solange ich im Amt bleibe, kann ich mein tropisches Inselparadies nach meinem Vorstellungen gestalten.
Lang lebe El Prez!
Das macht Tropico zu mehr als einer Wirtschaftssimulation – es ist auch eine Politiksimulation. Und die hat sich im Laufe der Reihe stark verändert. Mit fast jedem Teil kommen neue Regierungs-Tools und Edikte dazu, mit denen ich mein geliebtes Volk unterdrücken – äh, pardon – wohlwollend regieren und seine Interessen vertreten kann. Natürlich kann ich auch einfach ein guter Diktator sein. Wer seine Wählergruppen- und Fraktionen zufriedenstellt, wird mit hoher Zustimmung belohnt. Aber das ist nicht immer einfach. Im aktuellen Teil – Tropico 6 – werden bis zu 10.000 Bürgerinnen und Bürger simuliert, die sich auf meine Insel tummeln. Die meisten gehören einer Fraktion an, etwa den Religiösen, oder Militaristen, Kommunisten oder Kapitalisten, und so weiter. Wenn ich was für die Wirtschaft tue, bekomme ich Zustimmung der einen, wenn ich ein Krankenhaus baue, von den anderen. Alle bei der Stange zu halten ist ein Drahtseilakt. Dazu kommt der Aufbau der Wirtschaft und der zum Export nötigen Transportinfrastruktur, Naturkatastrophen und natürlich die internationalen Beziehungen. Das alles kann ich über mein wichtigstes Tool steuern: den Almanach. Hier bekomme ich seit dem ersten Teil detaillierte Informationen über Wirtschaft, Demographie und politisches Stimmungsbild. Jeder einzelne meiner treuen Untertanen lässt sich hier auswählen.
The Citizens are demanding elections, Presidente. It seems that they want a choice in how they are ruled. So selfish!
Penultimo
In den neueren Teilen der Reihe spiele ich mich durch die Epochen der neueren Geschichte. In der Kolonialzeit (Tropico 5 & 6) gibt es nur eine relevante ausländische Fraktion: Die Krone. Ich bin ihr gehorsamer Gouverneur und muss mich vom Vaterland unabhängig erklären. Ist das geschafft, fangen die Probleme aber erst richtig an: in der Ära der Weltkriege wollen die Alliierten und die Achsenmächte mich als Satellitenstaat, im Kalten Krieg sind es die USA und die UDSSR, deren Wünschen ich nachkommen muss, wenn sie mich nicht mit Tod und Verderben überziehen sollen. Die Dynamik von Tropico hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr verändert.
Neu ist natürlich nicht nur die zeitgemäß aktualisierte Grafik, mit der ich mein Insel-Imperium in all seiner Schönheut genießen kann – auch die schon angesprochenen Herrschafts- und Wirtschaftsmechaniken sind um ein vielfaches komplexer geworden. Der Aspekt des Balancierens zwischen den Interessen diverser in- und ausländischer Fraktionen ist erst mit der Zeit hinzubekommen. Das hat sicherlich mit der turbulenten Geschichte der Reihe zu tun: Der erste Teil (Tropico) kann fast noch als independent-Spiel verstanden werden. Das heute nicht mehr existierende Studium PopTop Software hatte die Idee für die Karibiksimulation, den zweiten – und wirklich schlechten – Teil (Tropico 2: Pirate Cove) hatte von einem ebenfalls heute nicht mehr existierenden Studio namens Frog City Software zu verantworten. Beide Studos gingen im Laufe der Jahre in dem schon eher bekannten 2K auf. Der dritte und vierte Teil (Tropico 3, Tropico 4) wurden dann wesentlich populärer und sahen noch schöner aus. Das bulgarische Studio Haemimont Games übernahm die Entwicklung dieser Teile. Hier übernahm auch der deutsche Publisher Kalypso Media den Vertrieb – und hat ihn bis heute inne. Mit Tropico 5 hat den Stand der Reihe ins 21. Jahrhundert befördert: Das Spiel fühlt sich dynamischer und lebendiger an, es sieht schöner aus. Auch kommen die Game-Mechaniken anspruchsvoller daher. Es wechseln sich ständig kleinere und größere Aufträge ab – Zwischenziele.
Was sich nicht verändert hat, ist der Spirit der Reihe. Tropico hat sich immer als Polit-Satire verstanden. Und das auch oft als bitterböse. So kann ich zwar versuchen, meine Bevölkerung möglichst zufrieden zu stellen und keine willkürlichen Verhaftungen durchführen – das Sekundärziel in allen Teilen der Reihe bleibt aber immer das Schweizer Nummernkonto. Es gibt für einen guten Diktator immer genug Wege, etwas aus der Staatskasse beiseite zu schaffen. Auch mein treuer und speichelleckender Berater Penultimo, der mich über den Zustand des Landes informiert und mir Tipps zum Regieren gibt ist nie darum verlegen, mir die Wahrheit mitzuteilen:
Election is a landslide, Presidente! Of the metaphorical kind, not of the kind that accidentally reduces the workforce…
Der politische Galgenhumor ist nicht das Einzige, was in Tropico – trotz des stetigen Wandels der Reihe – konstant gut ist. In jedem Teil haben die jeweiligen Entwickler es irgendwie immer geschafft, das karibische Flair auf PC- und Konsolenbildschirme zu zaubern. Immer gibt es Kampagnen, in denen es darauf ankommt, das alle Möglichkeiten des Regierens und Wirtschaftens auszureizen – meistens kommen die Missionen mit einem aberwitzigen Storyverlauf daher. Was mich an allen Teilen am meisten gereizt hat war und ist allerdings der Sandbox-Modus. Hier kann ich – gerade in den neueren Teilen Stunden und Tage damit zubringen, meine heruntergekommene, arme Karibikinsel mit nur einer Zuckerrohrfarm in ein Wirtschaftsimperium zu verwandeln, die komplette Warenpalette von Kokosnüssen bis hin zu High-Tech-Produkten exportiert. Und nebenbei halte ich die internationale Gemeinschaft mit meine Atomprogramm in Schach oder beeindrucke die Welt mit meinem Raumfahrtprojekt. Vom verarmten Bauernstaat zum Global Player – nirgendwo ist es so schön anzusehen wie in Tropico. Selbst den komplett veralteten ersten Teil spiele ich gern hin und wieder. Und das nicht zuletzt wegen des durchgängig überragenden Soundtracks, der mit allen Teilen kommt. Zu meiner Freude finde ich mittlerweile die Musik aus allen Teilen auf You Tube und Spotify.
Nach 20 Jahren kann ich meinem pickligen, pubertierenden Vergangenheits-Ich nur auf die Schulter klopfen: dafür, dass ich anstatt raus zu gehen und Bier zu trinken oder Mädchen kennenzulernen lieber Diktator gespielt habe. Viele hundert Stunden diktatorischer Inselverwaltung auf Steam oder der Playstation 4 (ja, ich habe mir Teil 5 und 6 tatsächlich für beide Plattformen gekauft) kann ich dank meiner damaligen Begeisterung inzwischen auch mit meiner Freundin genießen – die liebt Tropico (zumindest den fünften und sechsten Teil) nämlich genauso wie ich.
Viva El Presidente!
JKG
Tropico kannst du dir zum Beispiel als Bundle mit den Teilen 4, 5 und 6, sowie dazugehörigen DLCs für etwas mehr als 200 Euro kaufen. Das ist natürlich eher für hartgesottene Fans gedacht. Wenn du einsteigen möchtest, empfehle ich dir erstmal Teil 5 für circa 20 Euro auf Steam. Der spielt sich ähnlich wie der aktuelle Teil und ist günstiger. Wenn du erstmal reinschauen willst empfehle ich den Kanal des Youtubers Steinwallen, der eine ganze Let´s Play-Serie zum sechsten Teil gemacht hat.
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