2019 – ich werde dich wirklich nicht vermissen, aber das Entertainment war toll
Cathys Jahresrückblick, spoilerfrei
Es tönt aus allen Ecken: 2019 war ein schreckliches Jahr. Zufall? Einbildung? Selektiere ich unbewusst (bzw. Google für mich ganz gezielt) aufgrund von persönlichem Frust die eher negativen Anmerkungen zum Jahr? Oder ist es doch göttliches Karma?
Ein Indiz dafür, dass die persönlich wahrgenommene Grausamkeit des Jahres vielleicht nicht bloße subjektive Einbildung ist, ist für mich Game of Thrones. Jeder hat ab und zu eine schlechte Zeit. Selbst wenn sich diese Schlechtwetterperiode auf ein ganzes Jahr ausbreitet, und sich Desaster an Desaster reiht, wird man zwar ein bisschen misstrauisch, bleibt als rationaler Mensch aber realistisch: das kann nur die eigene subjektive Wahrnehmung sein – reiner Zufall. Doch wenn in demselben Jahr eine der besten TV Serien in der Geschichte des TVs herzlos und hirnlos zu Ende geschludert wird, dann scheint es an Magie zu grenzen und hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Da ist doch was faul im Jahre 2019!
Doch dieses Review hat ein selbst auferlegtes GoT -Lästerverbot, welches jetzt bereits einmalig gebrochen wurde. Zu der kleinen handvoll Episoden, welche die GoT Saga abschließen sollten, wurde bereits mehr als genug gesagt, man hat sich mehr als genug geärgert und das Kapitel muss beendet werden. Wir schließen uns keinen Lynchmobs an und springen nicht auf den eh schon müde ausrollenden D&D-Bashing-Waggon. Es ist vorbei, lassen wir es ziehen.
GoT: Adding Insult to Injury
Nicht dass sie es nicht verdient hätten: Zunächst wird eine hervorragende Serie nahezu unerwartet ruiniert, weil scheinbar den Schöpfern das Interesse und Verantwortungsgefühl abhanden gekommen ist. Und dann nach langer peinlicher Stille wird im kindischen Rechtfertigungseifer für die bizarre Versaubeutelung auch noch der Zuschauer der Dummheit bezichtigt. Bei dem Versuch den Karren aus dem Dreck zu ziehen wird aus Mangel an sinnvollen Argumenten für das eigene Versagen der Spieß angstbeißerisch umgedreht: der geekige Fan an sich käme nicht auf die drastischen Plot-Entscheidungen klar, die zwangsläufig gefällt werden mussten. Wer „Humbug!“ rufen möchte hat ganz Recht. Und das bestätigt sich schließlich bereits bei der Selbstreflexion: mag ich vielleicht bloß die ‚Plotpunkte eins bis xy‘ nicht? Hätte ich mir ein grundsätzlich anderes Ende gewünscht? Nö. Ist mir ehrlich gesagt schnuppe. Meine geekige Wenigkeit kommt nicht klar auf plumpe Dialoge, deus ex machina Schmierentheater und die zahllosen Schlaglöcher im Handlungsstrang. Vernünftig zu Papier gebracht hätte ich Vieles akzeptieren können.
Ein Beispiel
Westeros wird in den letzten Episoden entlarvt als eine Art Fantasy Second Life/SIMs-Simulation in einer Welt in welcher die Menschheit vor lauter Automation fast gänzlich online lebt. Jon Snow gibt seine wahre Bestimmung preis: Rebellen in der ‚echten‘ Welt haben das Snow-Virus geschrieben, dessen programmierte Mission es ist, zu verhindern, dass die von Disney abgeworbenen Entwickler das ganze Ding inklusive aller sentienten AIs in ein Adult Game umschreiben und zur Auktion freigeben. Ich hätte diesen Ausgang mit offenem Herzen empfangen, solange mir dies glaubwürdig verkauft worden wäre. Der dümmste Quark kann zu einer guten Story verwurstet werden.
Ebenso sicher bin ich mir im Umkehrschluss, dass beispielsweise ich (oder jeder meiner Nächsten) ganz ohne Probleme Hamlet, stupide von Akt zu Akt gehangelt in Babykotze verwandeln könnte. Der Inhalt selbst bestimmt nicht die Qualität einer Erzählung. Danke vielmals dafür, dass dem begeisterten Zuschauer nicht nur die Lieblingsserie verdorben, sondern auch noch intellektuelle Defizite und/oder Faulheit unterstellt wird. Adding insult to injury, wie der Engländer sagt.
Pscht! Genug! Wie war das mit dem Lästerverbot? Jetzt aber Schluss!
Black Mirror
Abgesehen von Erwähntem und von hier an nicht weiter zu Erwähnendem hat uns der Seriensektor erfreut mit einem neuen Stäffelchen Black Mirror. Stäffelchen? Ganz recht. Man will sich ja nicht beschweren, aber man fühlt sich ein wenig unbefriedigt mit nur drei Folgen, Gut, da war ja auch noch Bandersnatch, ein interaktiver Thriller mit multiplen Enden und Persönlichkeiten. Mit Sicherheit cool gemacht, aber für die Gamer unter uns nicht so richtig augenöffnend und thematisch nicht ganz neu. Immerhin herrscht ganz ohne Frage ein Überfluss an relevantem Material für mehr als 3+Bandersnatch Folgen von Black Mirror.
Ich zum Beispiel hätte mir inspiriert von meiner persönlichen diesjährigen Erfahrungen – die Rede ist von dem eigentlich banalen Austausch eines 17 Jahre alten Fernsehgeräts gegen ein neueres Modell – eine Episode zum Thema Kompatibilität gewünscht: Die Protagonistin vermag nach der Anschaffung eines ganz alltäglichen, simplen Geräts nicht mehr aus der Upgrade- und Update-Hölle zu entkommen, natürlich kulminierend in der Katastrophe, dem persönlichen Untergang – enteignet, finanziell ruiniert, aus dem eigenen (neuen) Smart-Home ausgesperrt und/oder im Smart-Car eingesperrt. Und tot. Wo war diese Episode? Ich war persönlich auf bestem Weg dahin. Bloß drei Episoden Black Mirror sind verschenktes Potential – ein bisschen überspitzt und ignorant ausgedrückt. Denn selbstverständlich ist klar: Zeit und Geld spielen weit wichtigere Rollen als das bloße Vorhandensein guten Stoffs.
Daybreak
Das hat uns Daybreak gezeigt, dem ich allerdings nur eine Folge lang eine Chance gegeben habe. Das mag nicht fair sein, aber für Fairness hab ich in meiner Freizeit einfach wenig Zeit und Folge eins hat diese bereits aufgebraucht mit doofen Dialogen, nervigen Teenie-Charakteren und einer schlampigen Kohlepapierkopie des Ferris Buellers. (Welchen ich nicht einmal gesehen habe, aber trotzdem in den Knochen spüre, wie bemüht versucht wird, ein nicht mehr zeitgemäßes Gefühl nachzubasteln – mit Zombies. Whoohoo.).
We Are the Wave
A propos peinlich dumme Teenieserie: We Are the Wave hat für mich sogar fast den GoT Entäuschungs-Vogel abgeschossen. Nicht dass die jeweilige Erwartungshaltung auch nur ansatzweise zu vergleichen wäre. Schließlich hat einen ‚die neue deutsche Welle‘ mit ihrem Trailer („weil Sie Dark gesehen haben“) dazu verleitet spontan geschaut zu werden. Im Gegensatz dazu hat man das Finale von GoT eine Dekade lang freudig erwartet. Der Enttäuschungsabhang von GoT war demnach deutlich steiler, und steiniger, und voller Dornen. Aber wir schweifen schon wieder ab.
Der Redebedarf nach jeder dusseligen Folge von We Are the Wave, der war jedenfalls ähnlich hoch. So etwas muss mental verarbeitet werden. Stellen die hier die politische Linke als Haufen dummer Kinder dar? Oder anders gefragt: Ist das ok? Bin ich hier in einen AfD-Propagandafilm gerutscht, oder sind die Dialoge bloß schlecht geschrieben? Oder ist das Skript vielleicht entstanden als der 11jährige Thorben in der Kreativ Schreiben AG ein eigenes Die Welle 2019 Szenario entwerfen sollte? Alle Achtung, Thorben, nicht schlecht. Aber arbeite doch bitte noch etwas daran, Charaktere und Setting tatsächlich zeitgemäß erscheinen zu lassen (heißt, weniger 80er, mehr 2019). Und Obacht vor der Falle, die Welle-Thematik einfach 180° umzudrehen. Das kann man machen, aber da beißt sich die Katze doch eigentlich ganz unnötig in den Schwanz, oder?
The Politician
Wer politische Teenies sehen will ist mit The Politician besser bedient. Die Serie rund um die Bemühungen eines überambitionierten High Schoolers die Präsidentschaft zu erringen – erst die der Schule, dann die des Landes – weiß zu unterhalten. In knalligen Bonbonfarben wird die aktuelle Teeniewelt auf unnervige, ja sogar liebenswerter Art und Weise parodiert, und zwar nicht ohne eine gute Prise bei Wes Anderson abgegucktem Sentiment.
Dark, Staffel 2
Und noch ein ‚A propos‘: Dark erfreut uns mit einer hervorragenden zweiten Staffel – sowohl für die Augen, als auch für die Ohren. Dass ich ein wenig hinter der immer komplexer werdenden Handlung hinterherhinke, -stolpere, -krieche, das schenke ich der Serie. Mache ich gerne.
Als Tipp für alle, die noch nicht zu Staffel 2 gekommen sind: Es ist empfehlenswert sich die Zeit zu nehmen und noch einmal die erste Staffel zu schauen. Dem Zuschauer wird rein gar nichts geschenkt, wir werden nicht an die Hand genommen, der verwobene Plot wird weiter gewebt, schneller und dichter, ohne Blick zurück.
One Cut of the Dead
Es wird deutlich: Serien haben meine Unterhaltung 2019 bestimmt. Es wurde viel episodisch geschaut. Hinzu kamen allerhand ältere Titel, die nachzuholen waren wie Sons of Anarchy, Peaky Blinders oder American Vandal. Better Call Saul Staffel 5steht als nächstes auf der Liste und wird freudig erwartet. Nach bereits vier Staffeln muss man auch hier abwägen, ob nicht noch einmal zuvor das gesamte Œuvre geschaut werden sollte. Bei der Vielzahl guter (und manchmal auch nicht so guter Serien), die sich Jahr für Jahr, Staffel für Staffel fortpflanzen, verliert man leicht den Überblick. Ein bisschen schade ist es schon, dass sich die Sehgewohnheiten vom abgeschlossenen 90-minuten-Stück weg entwickeln. Sogar die großen Blockbuster kommen in Serie und auch hier hab ich keinen Schimmer mehr, was letztes Jahr passiert ist.
Doch um nicht bloß von Serien zu reden, obwohl diese ohne Frage dem Spielfilm den Rang abgelaufen haben, noch ein bis zwei Worte zu zumindest einem grandiosen Film: One Cut of the Dead ist eine japanische Zombiefilmsatireperle und wohl der überraschendste Lowbudget Film ever made. Das nehme ich auch nicht zurück. Fight me! Mehr Aussage zu Thema und Besetzung wäre ein brutaler Spoiler und als Möchtegern-Philanthropistin möchte ich diesen Genuss meinen Mitmenschen nicht nehmen. Anschauen, bitte! Und zwar das Original, bevor der gemeine Hollywood-Erklärbär seine parasitären Eier in die hilflose Raupe legt und ein völlig unnützes Remake schlüpft.
Red Dead Redemption 2
Spielen ist auch sehr wichtig für mich, daher gehört es sich, zum Schluss noch ganz fix das meilensteinige Red Dead Redemption 2 lobzuhudeln. Man kann gerne die Frage stellen, ob das denn nun überhaupt nötig sei. Das haben schließlich schon so viele andere zuvor gemacht, dass mir meine Zeit dafür beinahe zu schade sein sollte. Die wäre fast besser investiert in noch eine Folge Daybreak. Doch Red Dead Redpemption 2 hat für immer einen ganz speziellen Platz in meinem Herzen errungen. Zu Beginn wurde ich hier nämlich ganz unerwartet, wie noch von keinem Spiel zuvor, zur schäumenden Weißglut getrieben. Ich bin geduldig. Und ich bin halbwegs geschickt, wenn es um Konsolenspiele geht. Und ich glaube, dass es im Geheimen und weniger Geheimen vielen so ging wie mir. Kein Spiel zuvor hat mich derart auf die Palme getrieben und ich gebe das offen zu.
Aller Anfang ist schwer
Der Simulationsfaktor schien einfach zu hoch. Ich bin kein Cowboy, ich will wenig Echtzeit und ich habe Schwierigkeiten virtuell Mensch, Waffe, Pferd mit bloß ein paar Knöpfen in zig unterschiedlichen Kombinationen zu bedienen. Da muss ich schon mindestens selbst in den Sattel um eine Handlung des digitalen Multitaskings aus dem Weg zu haben. Doch nach der Rage, der Verzweiflung, des Unverstehens, die Einsicht: Arthur Morgan ist halt kein Nathan Drake, springt nur einen Fuß hoch, klettert lieber gar nicht und fällt oft hin. Und wenn man sich in den ersten zwei bis siebzehn Spielstunden mit dem Welterkunden zurückhält und nicht bei jeder kleinen Plotpause sofort laufen geht, wird man auch nicht vom Bär gefressen. So einfach ist das. Wer tut, was Rockstar sagt kommt besser klar. Obey!
Equus digitalus
Pferde sind toll. Ich akzeptiere in echt gerne schlechtes Wetter, Dreck, Kosten, Hämatome und manchmal Knochenbrüche. Wir sind ja nicht aus Zucker. Dennoch, oder gerade deswegen, war ich skeptisch gegenüber des vergleichsweise erhöhten Aufwands rund um den Unpaarhufer in RDR 2. Muss das denn sein, sogar im Videospiel? Ich gehe doch auch nicht regelmäßig tanken und zum Reifenwechsel in GTA (oder doch…?). Aber auch in puncto ‚RDR 2 Horsemanship‘ hat man den Dreh nach kurzer Eingewöhnung raus und die liebevolle Präsentation der alltäglichen Reiterei trägt wertvoll zum Immersionsgrad des Spiels bei.
Irgendwie ist es ja doch charmant eine kleine Kostprobe der selten thematisierten Praxis rund um das Lasttier, das zu jener Zeit das Auto effektiv und emotional ersetzte, digital halbwegs authentisch umgesetzt zu sehen. Für den Cowboy und Banditen des 19. Jahrhunderts gehören Fütterung, Pflege, Bonding (naja, und Doping) genauso zum Alltag wie Revolver, Saloons und Zugüberfälle. (Immerhin nicht im Spiel: Koliken, Lahmheit und Hufkrankheiten. Vielleicht dann ja in Teil 3?)
Liebe, aber nicht auf den ersten Blick
Warum also auch nicht einen Hauch harte Cowboy Realität? Lasse ich mich fett und faul geworden vor lauter Casualgaming von einer kleinen Prise mehr Komplexität direkt ins Bockshorn jagen? Gut, dass nicht. Denn es hat Spaß gemacht. Und zwar riesig! Nachdem der Groschen endlich gefallen war hinsichtlich der etwas komplexeren Mechanik lief es wunderschön und reibungslos und sogar fast gar nicht mehr schwer(fällig). Musik toll, Landschaft toll, Dialoge umwerfend toll, Regie auch.
Ein paar Griesgräme mäkeln zwar immer noch, aber meiner Meinung nach hat Rockstar Games hier alles richtig gemacht. Manchmal muss man zu seinem Glück ein bisschen gezwungen werden (und das Glück dieser Erde…). Meine Mordlustigkeit, wäre mir einer der Entwickler in den ersten Stunden persönlich im Mondschein begegnet, ist irgendwann ganz von selbst spurlos verschwunden.
Zugegeben, diese nahezu blinde emotionale Vereinnahmung im Verlauf des Spiels, wirft in Retrospektive dann doch die Frage auf, ob ich nicht vielleicht bloß ganz willenlos dem Stockholm-Syndrom anheim gefallen bin – und ob genau das Rockstar Games Intention war… Spielt aber keine Rolle. Liebe ist Liebe.
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