75 Jahre Chuck Norris
Lieber Herr Norris,
meine Sie betreffende Lieblingsanekdote ist die eines Freundes, dessen Liebste eines Abends nach Hause kam und ihn mit der Erkenntnis ihres Tages fütterte: „Du, diesen Chuck Norris – aus den Chuck-Norris-Facts – den gibt’s ja wirklich!“
Ja, es gibt Sie wirklich. Doch niemand weiß etwas über Sie, genauso wie niemand jemals einen Ihrer Filme gesehen hat – das wollen wir anlässlich Ihres 75. Jubiläums ändern. Fassen wir doch kurz zusammen. Sie sind: 75. Actionstar. Konservativ. Schriftsteller. Bibeltreuer Christ. Reich. Fünffacher Vater. Sechsfacher Karateweltmeister.
Am 10. März des Jahres 1940 erblickten Sie in Oklahoma das Licht dieser Welt – das ist auf den Tag genau 75 Jahre her. (Nicht ganz zufällig, denn wir gratulieren ja nun zum 75. Geburtstag, nicht wahr?) Sie sagen, Sie seien der Abstammung nach ein bisschen Ire und ein bisschen Indianer. Sie mussten in Ihrer Kindheit öfter mal umziehen, denn Ihr Vater hatte wechselhafte Arbeits- und beständige Trinkgewohnheiten. In Ihrer Kinderstube gab es wenig Geld, aber immer was zu essen. „Aus armen Verhältnissen“ wäre als Beschreibung leicht übertrieben, jedoch nicht völlig abwegig.
Sie waren ein mittelmäßig talentierter, aber fleißiger Schüler. Sie heirateten Ihre Jugendliebe Dianne im zarten Alter von 18 und wurden mit 23 zum ersten und mit 25 zum zweiten Mal Vater … Moment mal! Das stimmt ja so gar nicht, denn mit 24 zeugten Sie mit einer anderen Dame ein weiteres Kind. Im Auto. Parallel zu Ihrer Ehe mit Dianne! Pfui!
Offensichtlich waren Sie ein Weltklassesportler. Mit 28 Jahren gewannen Sie die Weltmeisterschaft im Karate des Mittelgewichts und verteidigten diesen Titel gleich fünf Mal, bis sie unbesiegt abtraten. Und das eigentlich nur, um Werbung für Ihre Karateschulen zu machen. Ob diese Titel wirklich bedeuten, dass Sie der beste Karateka der Welt waren – immerhin fanden diese „Weltmeisterschaften“ immer in den USA statt und es gab in den Kämpfen wohl nie so richtig auf die Zwölf – vermögen wir nicht zu beurteilen. Doch eines ist sicher: Sie, Chuck Norris, können unliebsamen Leuten auch im richtigen Leben mächtig die Fresse polieren.
Wissen Sie, was ich mich immer gefragt habe: Wie kann ein Mensch 20 Jahre lang keinen – wirklich keinen – Sport treiben und ein paar Jahre später in einer solch anspruchsvollen Disziplin derart herausstechen? Mal abgesehen von einem kaum zu überschätzenden Talent ist die Antwort natürlich ausgesprochen simpel: Üben, üben, üben. 1958 traten Sie der US Air Force bei und wurden nach Korea beordert. Ihre Freizeitoptionen waren dort: Saufen, studieren, kämpfen. Sie kämpften, „Tang Soo Do“ übrigens, kein Karate. Fünf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Choreographien, Sparring, Schattenboxen. Angeblich haben Sie sogar einmal die Schwarzgurt-Prüfung verhauen! Aber das glauben wir nicht. Wir vermuten, Sie haben die Außenwand des Prüfungsraumes durchschlagen und sind zur Strafe durchgefallen.
In Korea wurden zwei Grundsteine Ihres weiteren Lebens gelegt: 1.) Sie hießen von nun an nicht mehr Carlos, sondern Chuck. 2.) Mit Kampfsport würden Sie Ihren Lebensunterhalt bestreiten, erst als Lehrer, dann als Filmstar. Sie gründeten Ihre eigene Schule und unterrichteten. Zu Ihren Trainingspartnern und Schülern zählten unter anderen Bruce Lee, Priscilla Presley, Steve McQueen und – was wir besonders cool finden – Bob Barker, der Harry Wijnvoord der Vereinigten Staaten. Der Sprung ins Filmgeschäft war einfach unvermeidlich.
Ihr filmischer Zenit liegt zweifelsohne um das Jahr 1985. Code of Silence, Invasion USA, Missing in Action, Lone Wolf McQuade, alles großes Kino. Angefangen jedoch hat alles schon 1972 mit The Way of the Dragon: Im legendären Colosseum in Rom kämpften Sie gegen Bruce Lee … und verloren. Mr. Lee riss Ihnen ein Büschel Brusthaare raus (die Sie von nun an immer makellos stutzen würden). Er besiegte Sie unter dem Sound seltsam deplatzierter Küchengeräusche und begrub Sie ehrenhaft unter Ihrem Schwarzgurt. Nie wieder sollten Sie vor laufender Kamera sterben.
Damit Sie nie wieder der filmische Tod ereilen würde, nahmen Sie das Zepter selbst in die Hand. Sie entwarfen Ihre eigenen Figuren. Sie entwarfen Ihre eigenen Stories und nahmen sogar Schauspielunterricht, wurde Ihnen auch von einem unangenehmen Zeitgenossen attestiert, der schlechteste Schauspieler der Welt zu sein. Sie nahmen Persönliches auf, wie den Tod Ihres Bruders in Vietnam. Sie sind kein Bösewicht, Chuck, Sie sind immer der Gute. Unkorrumpierbar, unkommunistisch, uramerikanisch. Wie auch Sie persönlich, so haben die von Ihnen porträtierten Figuren oft einen militärischen Hintergrund und sind natürlich Amis, die sich häufig gegen südamerikanische (=Drogen) oder südostasiatische (=Kommunisten) Invasionen zur Wehr setzen. Das tun sie nicht, weil es Ihnen jemand befohlen hätte; Chuck Norris nimmt keine Befehle entgegen. Im Gegenteil! Sie müssen die Gefahren im Alleingang lösen, weil die bürokratische Weichspülerdemokratie zu schwach, langsam, naiv und korrupt ist. Fast in jedem Ihrer Filme stellt sich Ihnen irgendein Sesselpupser in den Weg und langweilt Sie mit Vorschriften oder diplomatischem Blabla. When diplomacy fails, Chuck Norris prevails.
Herr Norris, lassen Sie sich nicht von den Millionen auf Ihrem Konto täuschen: Niemand hat jemals einen Ihrer Filme gesehen. Es gibt bekennende Arnie-Fans. Es gibt bekennende Sly-Fans. Doch Chuck Norris? Ein solches Geständnis lässt sich niemand entlocken. Warum eigentlich? Wir meinen, Ihre Filme heben sich gleich in mehrerer Hinsicht wohltuend von den langweiligen Eighties-Testosteron-Bomben ab:
- Viele Ihrer Filme sind irrsinnig schlecht – und zwar im Positiven! Manchmal legen Sie unerklärliche rhetorische Pausen mitten im Satz ein, Explosionen erinnern an Silvesterfeuerwerk, Ihre Kontrahenten haben keine nachvollziehbaren Motivationen, und man muss schon ein ausgewiesener Trashkenner sein, um auch nur einen Ihrer Nebendarsteller aus anderen Produktionen zu kennen. Sympathisch.
- Ihre Streifen sind – obgleich unverkennbar 80s-Style – nicht so unerträglich testosterongespült wie die Ihrer Kollegen: Sie rauchen nicht. Sie trinken nicht. Ihre Filme sind nicht einmal sexistisch! Es geht in Ihren Filmen nicht darum, dass der Held am Ende das Mädchen erobert – häufig fehlt die hollywoodtypische Lovestory gleich ganz. Sie, Chuck, sind nicht muskelbepackt, sondern athletisch. Sie lösen Situationen mit Geschick, nicht mit Kraft. Es fällt uns schwer, das zu sagen, aber … Ihre Rollen hätte auch eine Frau spielen können. Vorausgesetzt, sie kann Karate und trägt Bart.
- Erstaunlicherweise – obwohl Ihre Filme zweifelsohne dem Trashgenre zuzuordnen sind – lassen sie sich sehr wohl mitfühlen. Ihre Filme sind emotional grausam, Chuck. Erst bauen Sie sympathische Nebencharaktere auf und lassen diese in der Mitte des Films, und nicht schon nach fünf Minuten, grausam hinrichten. Das ist kein Charakterbuilding, das ist Folter. Sie zwingen uns dazu, den Bösen sterben sehen zu wollen! Seit Christopher Nolan Filme macht, sind wir sowas nicht mehr gewohnt. Wir erwarten abstrakte Charaktere, keine Menschen. Kein Wunder, dass wir unsere gute Kinderstube vergessen, wenn Sie am Ende den Lumpenhund einfach wegbomben oder ihm mit einem gezielten Hopser durch die Windschutzscheibe den Garaus machen.
- Sie tragen Bart. Verraten Sie es uns: Welches Genie ist denn bitte auf die Idee gekommen, dass Sie in Ihren Filmen einen Vollbart tragen sollten? Ein roundhousekickender Weihnachtsmann – Geil. In der Geschichte des Actionfilms gibt es kein cooleres Alleinstellungsmerkmal. In ihren Rückblenden porträtieren Sie Ihre Jugendlichkeit, indem Sie Schnurr- statt Vollbart tragen. Wir können das nachvollziehen. All unsere Väter trugen auf Ihren Führerscheinfotos einen Oberlippenbart.
Sie haben sich nun aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Ja, es gab noch ein unterhaltsames Comeback in The Expendables II, in dem Sie übrigens wie in Good Guys Wear Black wieder Booker heißen durften – der Kreis schließt sich. Mit Walker, Texas Ranger haben Sie Ihre beachtliche Karriere stilvoll abgerundet. Da fragten Sie sich: Wie kann ich meine Rente sinnvoll nutzen? Sie haben wieder geheiratet. Sie haben Kampfsport an texanischen Schulen etabliert, damit deren Schüler selbstbewusster werden und „Nein“ zu Drogen und anderen Schweinereien sagen können. „Kickstart“ nennen Sie das. Und: Sie schreiben.
Sie schreiben viel, Herr Norris. Eine Autobiographie haben Sie geschrieben, Against All Odds. Viele Leute haben sie gelesen. Black Belt Patriotism, ein Meisterwerk politischer Philosophie, auch von so manchem studiert. Auch als Novellist versuchten Sie sich, The Justice Riders Ihr Werk, das nun aber wirklich von niemandem gelesen wurde. Doch wer wirklich verstehen will, wie Sie ticken, der liest Ihr Blog im christlichen Portal WorldNetDaily.com: Dort bringen Sie uns bei, wie böse Obama, Pornos, Abtreibung und generell der ganze liberale Wischwasch wirklich sind. Sie bezeichnen sich als konservativ, sind ein Freund der Familie Bush und bekennender Unterstützer der NRA1. Da sind wir doch glatt ein wenig erstaunt über manch eine Ihrer Positionen, die nicht so ganz in unser Bild konservativer Hardliner passen wollen: Sie sprechen sich für Schuluniformen aus. Sie wenden sich mit Ihrer Organisation „Kickstart“ gezielt an ärmere Kinder, die sich eine Sportschule nicht leisten können. Sie legen einen nahezu pädagogischen Erklärungsansatz für das Massaker von Columbine vor, in dem Sie Fragen von „Gut und Böse“, vor Allem von „Schuld“, durchaus ambivalent sehen. Sie verwirren uns, Chuck. Sind Sie ein vernünftiger Konservativer? Den Eindruck bekäme man, würden Sie sich nicht in manch homophober Tirade ergehen2 und uns, gemeinsam mit Ihrer Gattin, „eine tausendjährige Dunkelheit“ prophezeien.3
Sie sind ein Mann Gottes. Mit Ihrer Frau Gena studieren Sie die Heilige Schrift, Tag für Tag. Sie gehen zur Kirche, Ihnen schwillt vor Stolz die Brust, wenn Ihr Präsident seinen Glauben in Jesus Christus öffentlich verkündet und Sie finden Evolution doof. In Ihrem Leben sehen Sie Gottes Plan verwirklicht, was uns gewiss mehr als einleuchtend erscheint. Manchmal übertreiben Sie es jedoch ein bisschen; zum Beispiel vermögen Sie das göttliche Schaffen sogar in Ihrer Werbeaktion für den „Total Gym“ zu erkennen:
Wissen Sie, in Deutschland lief Ihr Infomercial für dieses sonderbare Fitnessgerät im Spartensender DSF, zur Premiumzeit, samstagnachts von 0:30 bis 03:00 Uhr. Sie vollführten einige Übungen – in denen der eigene Körper mithilfe von Bändern wider die Schwerkraft auf einem beweglichen Bügelbrett bewegt wurde. Das DSF war nicht gerade der erfolgreichste Sender seiner Zeit, und im Karnevalskostüm Kraftsport an modifizierten Haushaltsgegenständen zu demonstrieren … das schien uns nun wirklich nicht der ideale Gipfel einer Actionkarriere zu sein. Wenn Sie nun also inständig behaupten, Gott habe Sie mit den Machern von Total Gym zusammengebracht, so müssen wir dann doch einmal dezent über Sie schmunzeln, Mr. Norris.
Wir müssen schmunzeln, wohlwissend, dass dies unser Lebensende bedeuten könnte, denn „Chuck Norris geht nicht jagen — er geht töten.“ Ihnen sind die Chuck Norris Facts bekannt, das leugnen Sie nicht Ganz der Medienprofi, gehen Sie selbstironisch mit diesen um, verlesen Ihre Lieblingsfakten vor laufender Kamera (wobei Sie sich erstaunlich oft verlesen, ups?)4 und geben sogar ein Buch mit 101 Chuck-Norris-Fakten heraus. Da dieser kleine Geburtstagsgruß mit einer Anekdote dieser Fakten begann, so soll er auch damit enden. Hier sind unsere drei liebsten Chuck-Norris-Facts:
- Chuck Norris übernimmt die Projektleitung des Flughafens Berlin Brandenburg. Eröffnung ist morgen früh um 06:30 Uhr.
- Chuck Norris hat einen BigMac bei Burger King bestellt und ihn bekommen.
- Chuck Norris darf über den Fight Club sprechen.
Alles Gute zum 75. Geburtstag, Chuck Norris!
Quellen:
Norris, Chuck (with Ken Abraham) (2006): Against All Odds. My Story, 2nd ed., B & H Publishing Group, Nashville. ISBN 978-0-8054-4421-6
Politische Kolumne auf WorldNetDaily.
Für weitere Informationen & Unterhaltung:
„Biblical Resource Page (Archivlink)“
Norris, Chuck (2010): Black Belt Patriotism. How To Reawaken America, exp. Ed., B & H Publishing Group, Nashville. ISBN: 978-0805464368
Abraham, Ken; Grayem, Tim; Norris, Aaron; Norris, Chuck (2006): The Justice Riders. A Novel, B & H Publishing Group, Nashville. ISBN: 978-0805444308
duBord, Todd; Norris, Chuck: The Official Chuck Norris Fact Book: 101 of Chuck’s Favorite Facts and Stories, Tyndale House Publishers, Carol Stream. ISBN: 978-1414334493.
- http://www.chucknorris.com/biography.htm (Archivlink) ↩
- http://www.ammoland.com/2012/06/is-obama-creating-a-pro-gay-boy-scouts-of-america/#axzz3TVN6jdfo (Archivlink) ↩
- http://www.theguardian.com/world/us-news-blog/2012/sep/04/chuck-norris-darkness-obama-reelected ↩
- https://www.youtube.com/watch?v=kQmPMZeN7JQ ↩