A Long Way Down – Nick Hornby Verfilmung
Die Heilung für Traurigkeit ist Heiterkeit
A Long Way Down ist eine Geschichte über Depression und Suizidversuch. Zugegeben: Das klingt alles andere als sexy. Nun stammt A Long Way Down aber aus der Feder von Nick Hornby. Den sollte man spätestens seit About A Boy kennen. Und wissen, wie bittersweet sein britisch-schwarzer Humor sein kann. Für mich kam das Buch einer Offenbarung gleich. Umso gespannter war ich auf die Verfilmung von Pascal Chaumeil, die ab heute bei uns in den Kinos läuft.
Als mir damals das Buch in die Hände fiel, fühlte ich mich von seinem Aufreißer sofort angesprochen: Vier Menschen, die einander nicht kennen, treffen an dem beliebtesten Ort für Suizidgefährdete (Dach des Topper House in London) zu dem bei Schwerstdepressiven beliebtesten Zeitpunkt (Silvesternacht) aufeinander – alle mit der Absicht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. So unterschiedlich ihre Gründe für diesen Schritt, so unterschiedlich auch ihre Charaktere. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Ihren letzten Weg würden sie lieber alleine gehen. Ich weiß noch, dass ich damals dachte: Was eine absurde Idee! Aber auf ihre Weise hatte das mit der komödiantischen Umsetzung schwerster Depression schon bei About a Boy geklappt. »The cure for unhappiness is happiness. I don’t care what anyone says«, zitiert Nick Hornby gleich zu Beginn die US-amerikanische Autorin Elizabeth McCracken. Jeder Depressive weiß, dass das Schlimmste vorbei ist, wenn die alles überschattende Dumpfheit weicht. Wenn erstmals überhaupt wieder ein Gefühl spürbar wird. Und wenn der Eindruck, irgendwann mal wieder über etwas lachen zu können, langsam zurückkehrt. Die Heilung für Traurigkeit ist Heiterkeit. Die Frage ist nur, wie das einer alleine erreichen soll, der sich in den Untiefen eines Schwarzen Loches gefangen fühlt.
Auf dem Weg nach unten kommt jeder zu Wort
Dank der Wahl ihres Tatortes stehen Martin, Jess, JJ und Maureen mit ihren Problemen nicht länger alleine da: Fortan bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft. Nick Hornby hat sie in seinem Buch abwechselnd-fortschreitend aus ihrer jeweiligen Sicht erzählen lassen und ihnen damit sehr viel Raum für Off-Erzählungen gegeben. Für die Verfilmung, an deren Drehbuch der Schriftsteller beratend mitgearbeitet hat, entschieden sich die Autoren für die Aufteilung in vier Kapitel. Diese sind nach den Figuren benannt und beginnen mit einer jeweiligen Anmoderation. Auf diese Weise gehen zwar leider sehr viele Aspekte verloren, die das Buch so belebt und angereichert haben. Da der ständige Perspektivenwechsel aber ohnehin kaum umsetzbar gewesen wäre, stimme ich Nick Hornby zu, der das Film-Konzeption als »genial« bezeichnet hat.
Martin – TV-Moderator, der sein Leben verschissen hat
Martin Sharp (amüsant: Pierce Brosnan) ist der Promi der Topper House Four und der erste, der in der Silvesternacht auf dem Hochhausdach erscheint. »Kann ich erklären, warum ich mich umbringen will? Natürlich kann ich das. Ich bin schließlich kein Idiot«, beginnt er seine Erzählung. Ein Idiot ist Martin Sharp, bekannt aus dem Frühstücksfernsehen, nicht. Übermäßig tiefsinnig ist er aber auch nicht. So ist dem verheirateten Familienvater entgangen, dass der letzte Seitensprung seiner Wahl leider noch keine 16 Jahre alt war. Das hat ihn nicht nur den Job und die Ehe gekostet. Nach seiner Verhaftung ging es in den Knast, und seit der Entlassung erlebt er sich als beständig gedemütigt. Der Weg zurück in sein altes Leben ist ihm verschlossen, ein neues Leben für ihn nicht vorstellbar. Fest entschlossen, seinem Leid ein Ende zu setzen, bringt er sogar als Hilfsmittel extra eine Leiter mit. Eine letzte Zigarre noch – und da erklingt hinter ihm plötzlich die zögerliche Stimme von Maureen (so beeindruckend: Toni Collette, bekannt auch aus About A Boy): »Ich weiß nicht genau, wie ich es formulieren soll… aber brauchen Sie noch lange?« Mit der Möglichkeit, auf eine Gleichgesinnte zu treffen, hat Martin wahrlich nicht gerechnet. Schnell wird beiden klar: So funktioniert es nicht. Suizid möchte im Allgemeinen kein Publikum. Schon gar keines, das so durchgeknallt ist wie die 18-jährige Jess (herrlich gestört: Imogen Poots), die aus dem Duo ein Trio macht. Und als dann auch noch JJ (sehr sympathisch: Aaron Paul) als Pizzalieferant das Quartett vervollständigt, ist allen klar: Das mit dem geplanten Lebensende hat sich zumindest für heute komplett erledigt.
Jess – missratene Tochter des Erziehungsministers
Im Buch bringt Jess das Feeling der Topper House Four auf den Punkt – auf ihre unnachahmliche nicht-auf-den-Punkt-bringende Weise: Sie vergleicht ihre Entstehungsgeschichte mit der der Beatles. Denn nur mit Ringo hatten sich die Fab Four komplett angefühlt. »Well, that’s how I felt when JJ turned up on the roof with his pizzas. (…) He wasn’t Ringo, though. He was more like Paul. Maureen was Ringo, except she wasn’t funny. I was George, except I wasn’t shy, or spiritual. Martin was John, except he wasn’t talented or cool. Thinking about it, maybe we were more like another group with four people in it.« Tatsächlich wünscht sie sich nichts mehr als eine Gruppe, zu der sie gehören kann, findet aber ob ihres unausgewogenen Gemüts einfach nirgendwo Anschluss. Nach dem ungeklärten Verschwinden ihrer Schwester ist die Tochter des Parlamentariers Chris Crichton (Sam Neill) immer wieder für üble, den Vater diskreditierende Schlagzeilen gut. Auf das Hochhausdach ist sie aber aus Liebeskummer gestiegen. Das Objekt ihrer stalkenden Begierde ist Chas (Joe Cole), den sie relativ schnell überwindet, als ihr klar wird, dass sie in ihrer neuen »Gang« Ersatz gefunden hat. So überredet Jess die Dachkollegen zu dem Pakt, mit weiteren Suizidversuchen bis zum Valentinstag zu warten. Und als sich die folgenden Wochen dank Chas zu einem Medienspektakel entwickeln, weiß Jess auch gleich, wie man das wirksam angeht: Sie behauptet, ihnen sei auf dem Dach ein Engel begegnet. Der habe wie Matt Damon ausgesehen und ihnen verkündet, ihre Zeit sei noch nicht gekommen. Natürlich geht diese Story nicht auf. Letztlich bleibt den Vieren nichts anderes übrig, als dem Medienrummel durch einen Urlaub zu entgehen.
JJ – amerikanischer Ex-Rockmusiker, der nicht an CCR leidet
Eine spezielle Form des Hirntumors habe er, inoperabel und definitiv tödlich, erklärt JJ notgedrungen und gibt der erfundenen Krankheit sogar einen Namen: CCR. Dabei setzt der Ex-Rockmusiker voll auf die Karte, dass weder Martin, noch Maureen oder Jess jemals etwas von seiner Lieblingsband Creedance Clearwater Revival gehört haben. Seinen wahren Grund mag der US-Amerikaner, der seinen Lebensunterhalt nun als Pizzalieferant verdient, nicht nennen. Überhaupt hält er sich in allem immer ein wenig zurück. Im Buch nennt er als wahre Gründe für seine Lebensmüdigkeit das Zerwürfnis mit seinem Bandkollegen, seinen mangelnden Erfolg und seinen Horror vor einem Leben fern des Musikmachens. Damit ist er vielleicht die Hornbyschte Figur überhaupt in der Geschichte. Im Film nun aber ist er derjenige, der nicht wirklich einen Grund nennen kann – außer einer undifferenzierten Angst als seinem ständigen Begleiter. Das macht ihn zur wahrscheinlich interessantesten Figur der Geschichte. Ist die Unfähigkeit, überzeugende Gründe für den eigenen desolaten Zustand benennen zu können, vielleicht der schlimmste Angstauslöser überhaupt. Im gemeinsamen Urlaub auf Teneriffa gesteht er den anderen schließlich seine Lüge und sorgt so für das große Zerwürfnis der Topper House Four. JJ ist die Figur, die die größte Modifikation gegenüber der Buchvorlage erfahren hat. Um ihn ranken sich auch die umfangreichen Änderungen der Handlung zum Ende des Films.
Maureen – alleinerziehende Mutter, die an ihrer Isolation zerbricht
Für Maureen stellt die Begegnung mit den drei Kollegen eine riesige Herausforderung dar. Die alleinerziehende Mutter hat schon lange vergessen, was Leben fern der Pflege ihres mehrfach schwerstbehinderten Sohnes bedeuten kann. Wenn Maureen überhaupt mal vor die Tür kommt, geht sie mit ihrem Sohn ins Krankenhaus oder sucht Trost in der Kirche. Nun plötzlich im Fernsehen von einem Matt Damon-gleichen Engel berichten zu müssen oder mit drei ihr kaum bekannten und zudem reichlich schrägen Menschen in den Urlaub zu fliegen, überfordert sie völlig. Und doch profitiert sie von diesem Schicksalsbündnis enorm. Denn niemals ist sie auf das Hochhausdach gestiegen, weil sie ihren Sohn nicht lieben würde oder ihrer Rolle als Mutter überdrüssig wäre. Was Maureen sich mehr wünscht als alles andere ist Unterstützung und ein wenig Freiraum für eigene Sozialkontakte. Im Zweifel genügen dann auch Menschen wie Martin, Jess und JJ – Maureen hat lange gelernt, ihre Ansprüche auf das Minimum herunterzuschrauben. So wenig sie also Ringo gleicht, so sehr komplettiert Maureen die Gang und sorgt letztlich nach dem großen Zerwürfnis für die Wiedervereinigung.
Niemand ist ein Insel
lautet die wesentliche Erkenntnis von About A Boy und könnte gut als Untertitel für A Long Way Down herhalten. Auch wenn das Leben den vier Protagonisten nicht gerade die idealen Partner-Inseln geschickt hat, erkennt Jess doch sofort das Potential dieser Schicksalsverbindung. Am Anfang stehen sie jeweils alleine am Tiefpunkt ihrer Geschichte. Gemeinsam gestalten sie dann einen komödiantischen Handlungsverlauf, der sie noch einmal ganz tief fallen lässt, letztlich aber zu einem glücklichen Ende führt. Der gemeinsame Tiefpunkt des Films ist nun ein ganz anderer als der in der Buchvorlage, und auch das Happy End haben die Filmautoren stark verändert. Für mich war im ersten Moment der Wegfall der ursprünglichen Erkenntnis sehr bitter: dass Suizid vielleicht doch nicht zwingend die letzte Trumpfkarte eines Depressiven ist (oder wie Martin es nennt: »…jumping had always been an option, a way out, money in the bank for a rainy day. And then suddenly the money was gone – or rather, it had never been ours in the first place.«). Die Filmvariante geht zwar in eine andere Richtung, hat aber eine emotionale Tiefe, die der Geschichte mehr als gerecht wird und mich sehr berührt hat. So ist dann das im Gegensatz zum Buch überbetonte Happy End eine Notwendigkeit, um uns Zuschauer nicht suizidaler als zuvor aus dem Kino zu entlassen. Als erklärten Fan des Buches (und des Autoren sowieso) hat mich die Verfilmung von A Long Way Down sehr überzeugt. Auch bin ich von allen Darstellern begeistert und kann diesen Film also wärmstens empfehlen.
Disclaimer: Fischpott hat den Film im Rahmen einer Pressevorführung (OV) gesehen.