Affenwelten (DVD)
Verblüffende BBC-Dokumentation über unsere nächsten Verwandten
Eine kleine Siedlung auf Borneo. Seit über dreißig Jahren treffen sich hier Menschen und Orang Utans zur regelmäßigen Körperpflege. Dabei seifen sich die Orangs genauso ein wie jene, von denen sie sich dieses Verhalten abgeschaut haben. Nebenbei scheint ihnen die Seife aber auch zu schmecken. Manchmal leiht sich hinterher ein Orang noch ein Bötchen aus und schippert ein wenig über den Fluss. – Ergebnis meiner überbordenden Phantasie? Nein. So beginnt die dreiteilige BBC-Dokumentation über unsere nächsten Verwandten, die Primaten. Auch wenn ich die Freude hatte, die Mini-Serie Affenwelten (Monkey Planet) bereits im Rahmen der ZDF-Reihe Terra X (Archivlink) schon einmal gesehen zu haben, verspricht die Ankündigung nicht zu viel: Affenwelten zeigt tatsächlich Bilder, die wahrscheinlich die meisten von uns so noch nie gesehen haben.
Das kennen wir auch: Sich die Leiter hochlausen
Apropos Körperpflege: Affen lausen sich gegenseitig, das kennen wir. Dieser Vorgang, der auch Groomen genannt wird, dient nicht nur der Fellreinigung. Vor allem ist es ein Verhalten, das Sozialstrukturen aufrechterhält oder (wieder)-herstellt. Auch wir Menschen betreiben es, geben dem Ganzen nur andere Namen und müssen oftmals sogar dafür bezahlen, etwa beim Friseur, Masseur oder bei der Maniküre. Doch sind nicht alle Primaten zum Lausen fähig. Einigen fehlt es dafür am entscheidenden gegenüberstehenden Daumen: So müssen sich die mexikanischen Geoffrey-Klammeraffen mit Kuscheln begnügen.
Den äthiopischen Dscheladas hingegen mangelt es einfach an Zeit. Wegen der kargen Nahrung in der Bergregion müssen sie den ganzen Tag essen, um auf ihre Kosten zu kommen. Und dabei unterhalten sie sich ununterbrochen. Forscher konnten bereits über dreißig unterschiedliche Laute identifizieren. Gar nicht so einfach bei diesen nicht-territorialen Höhenbewohnern, die sich gerne mal mit bis zu tausend Artgenossen zum Essen zusammensetzen. Abgesehen von der Gruppenstärke sollte das mit den Tischgesprächen den meisten von uns irgendwie bekannt vorkommen.
Skurriler erscheint die Strategie der einzigen europäischen Wildaffen: Die Berberaffen auf Gibraltar erarbeiten sich die Gunst des Ranghöheren mit Kidnapping. Warum es dem Boss zu gefallen scheint, kleine Kinder angeboten zu bekommen, ließ sich noch nicht eruieren. Immerhin geht seine Begeisterung nicht so weit, die Babies ihren Müttern langfristig vorzuenthalten.
Wozu Menschen für Affen gut sein können
Körperpflege kann aber noch ganz andere Ausmaße annehmen: Im thailändischen Lopburi verehren die Menschen ihre Mitbewohner, die Javaneraffen. Auch wenn die Makaken regelmäßig Raubzüge durch menschliche Wohnungen betreiben, sind sie eine Touristenattraktion und bringen der Stadt Wohlstand. Deshalb veranstalten die Menschen für sie jedes Jahr ein dreitägiges Fest, bei dem sich die Affen mal so richtig die Bäuche vollschlagen können. Im Anschluss an das Mahl beschaffen sie sich Menschenhaar (autsch!) und benutzen es wie Zahnseide. Ob nun tatsächlich zur Zahnpflege oder aus anderen, noch unbekannten Gründen – den Javaneraffen scheint es zu gefallen, sich die Haare durch die Zähne zu ziehen.
In Indien lebende Rhesusaffen sind ebenfalls den engen Kontakt mit Menschen gewöhnt. Ganze Tempelanlagen haben sie besetzt und streifen in Trupps durch die Straßen der Städte. Da es auch einem durchschnittlichen Rhesusaffen bei über 40 Grad Außentemperatur schnell mal zu warm werden kann, haben sie sich die menschliche Strategie des kühlenden Bades abgeschaut. Auch haben sie verstanden, dass mit Wasser durchaus Spaß verbunden sein kann: Wie Kinder im Freibad von einem 5-Meter-Turm springen sie von einer Laterne in eine Tiertränke und wirken dabei, als könnten sie von dem damit einhergehenden Adrenalin-Kick gar nicht genug bekommen.
Video-Link: http://youtu.be/Kb0XR3_obJ4
Dive-bombing macaques – Monkey Planet: Preview – BBC One
Dass die notwendige Anpassung an durch Menschen veränderte Lebensräume für Affen durchaus echte Vorteile mit sich bringen kann, zeigen die Bärenpaviane in der südafrikanischen Kapregion. Ein Seil haben sie entdeckt, von Forscher zurückgelassen. Das Seil führt hinunter in eine stockdunkle Fledermaus-Höhle. Die Affen nutzen das Seil nun, um nachts an einen für sie sicheren Ort zu gelangen. In der finsteren Höhle bewegen sie sich wie Menschen, denen die Augen verbunden wurden und die nun ihre mentale Karte von ihrer gewohnten Umgebung nutzen. Sicher vor Fressfeinden haben die Bärenpaviane hier die einzigartige Chance, in einen Tiefschlaf zu fallen, der ihnen – auf lange Sicht gesehen – vielleicht noch ganz andere intellektuelle Möglichkeiten eröffnet.
Der intellektuellste aller Affen darf in dieser Doku natürlich nicht fehlen: Kanzi, der Bonobo, der die computergesteuerte Kommunikation mit Menschen gelernt hat und sich sehr wohl auch für geleistete Dienste zu bedanken weiß. Als wäre das nicht allein schon nahezu unfassbar, zeigt Kanzi im dritten Teil von Affenwelten, dass er in der Lage ist, Feuer zu machen. Er sammelt Stöckchen, häuft sie auf, reißt dann ein Streichholz an und entzündet damit das Holz. Und wozu das alles? Kanzi steht auf Marshmallows, die er sich über den Flammen anröstet. Und weil er ein verantwortungsvoller Bonobo ist, weiß er auch, dass er das Feuer hinterher wieder löschen muss. Das mag alles irgendwie krank wirken, so gar nicht artgerecht sein, Kanzi vielleicht auch nicht zum glücklisten Affen der Welt machen, zeigt aber das Potential unser wahrlich nächsten Verwandten.
Video-Link: http://youtu.be/GQcN7lHSD5Y
Bonobo builds a fire and toasts marshmallows – Monkey Planet: Preview – BBC One
Wozu Affen für Menschen gut sein könn(t)en
Wie sehr wir umgekehrt von Affen lernen könnten, zeigt sich vor allem im Bereich Konfliktlösung. Die wesentliche Bonobo-Strategie zur Bewältigung so ziemlich aller Lebenssituationen dürfte hinlänglich bekannt sein: Sie haben Sex. Mit jedem Familienmitglied, hetero- wie homosexuell, sehr kurz, aber auch sehr effektiv. Damit sind sie neben uns Menschen die bislang einzig bekannten Lebewesen, die Sex nicht nur zur Fortpflanzung betreiben. Sie zeigen damit auch, dass es andere Strategien zur Konfliktbewältigung geben kann als die der kampfbetonten Auseinandersetzung.
Mantelpaviane haben den ständigen Kampf so sehr zum wesentlichen Bestandteil ihres gesellschaftlichen Verhaltens gemacht, dass in ihre Verbände kaum Ruhe einkehren mag. Gerade Kölner Zoobesucher können davon ein Lied singen: Wenn am Affenfelsen die Fütterung stattfindet, kommt es regelmäßig zu Prügeleien unter den Chefs. Den Pavian-Damen bleibt dann nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera bei der Frage, von welchem Raubein sie sich lieber beherrschen lassen wollen. Wie viel unblutiger Auseinandersetzungen zur Klärung der Hierarchien sein können, zeigen die Mandrills. Ihre Kämpfe wirken auf das menschliche Augen wie rein ästhetische Vergleiche: Zwei Männchen posen voreinander, und wer die schönsten und intensivsten Farben in seinem Fell zeigen kann, hat gewonnen. In Anbetracht menschlicher Kriegsführung möchte man hier zum Nachahmen ermuntern.
Immerhin in medizinischer Hinsicht haben sich Menschen schon manches von Affen abgeschaut. So nutzen wir zum Beispiel ebenso wie die Weißschulterkapuziner in Costa Rica den Saft eines speziellen Baumes für den Schutz vor Mückenstichen. Wenn es um das gegenseitige Eincremen geht, zeigen sich die ansonsten eher streitsüchtigen Äffchen recht kooperativ. Man kennt eben die schlimmen Folgen des Nicht-Eincremens.
So kann Infotainment
Rund 500 Primatenarten leben auf diesem Planeten, jede zweite davon ist vom Aussterben bedroht. Natürlich konnte das BBC-Team rund um die Produzenten Chris Cole und Jo Spinner und die Regisseure Gavin Boyland, Rosie Thomas und Giles Badger in ihrer Dokumentation nicht eine jede von ihnen berücksichtigen. Doch decken sie in dreimal 43 Minuten alle wesentlichen Lebenswelten ab, von den tropischen Regionen bis zu jenen, in denen Schnee und Kälte herrschen. Strukturiert nach Themengebieten wie Überlebensstrategien (Teil 1), Sozialleben (Teil 2) und außergewöhnliche Denkleistungen und Verhaltensweisen (Teil 3) stellen sie in kurzen Episoden einzelne Arten vor. Diese Geschichten erzählt in der deutschen Version der als Synchronstimme von Pierce Brosnan und Kevin Costner bekannte Sprecher Frank Glaubrecht – und macht das ausgesprochen charmant. Dass sich zu seiner wirklich angenehmen Erzählung auch noch eine unanstrengende und in Teilen originelle Musikauswahl gesellt, macht die Dokumentation zu einer wahrlich gelungenen und empfehlenswerten Version des Infotainments. Damit stellt Affenwelten mit Abstand das Beste dar, was ich für Fischpott bislang in Sachen Tierdokumentation rezensieren durfte.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar von Polyband erhalten.