Bleierne Hitze
„Schon beim in die Hand nehmen und Blättern kommt man nicht umhin, die Papierqualität zu bemerken …“ Solche Anfänge finde ich immer zum Kotzen. Ich möchte der Kritikerin, dem Rezensenten zuschreien, sich um den verdammten Inhalt zu kümmern und mich mit so unwichtigem Kleinkram wie der stofflichen Welt zu verschonen. Tja, und jetzt hat es mich doch erwischt. Ich nehme »Bleierne Hitze« von Baru in die Hand und komme nicht umhin, die Papierqualität zu bemerken. Dickes weißes Papier, ein bisschen grobe Oberfläche. Das fühlt sich gut an. Dabei ist der Comic voller Sex, Crime, Gewalt und Drama. Aber die Haptik des Mediums ist halt doch keine Nebensache. Das Papier schmeichelt den Fingern – und den Augen. Die lebendig kolorierten Zeichnungen kommen richtig zum Tragen. Schmutzigrote Blutflecken und goldene Getreidefelder erzählen vom Zusammenprall großstädtischer Kriminalität und bäuerlicher Verkommenheit.
Barus Adaption von Jean Vautrins Roman »Canicule«, 1984 verfilmt als »Dog Day – Ein Mann rennt um sein Leben«, beginnt mit Jimmy Cobb. Der Gangster im Anzug ist auf der Flucht vor der Polizei und seinen Gangster-Kollegen. In einem Acker vergräbt er eine Tasche voll Geld, dann versteckt er sich in der Scheune einer Bauernfamilie. Während der missratene Stiefsohn des Bauern die Beute ausbuddelt, eskaliert der Hass in der Patchwork-Familie. Hier haben bisher alle in Angst vor dem versoffenen, gewalttätigen Patriarchen gelebt und das Auftauchen von Cobb, der Polizei und den Gangstern verschiebt das Machtgefüge.
Gerne würde ich fachkundig über den Zeichenstil von Hervé Barulea, besser bekannt als Baru, schreiben. Aber ich bleibe bei „karikaturenhaften und zugleich realistischen Figuren“ oder „aquarelliger Kolorierung“ hängen und stelle fest, dass ich einfach keine Ahnung habe. Ich mag die Zeichnungen und finde, sie passen hervorragend zur Geschichte. Baru fängt die innere und äußere Hässlichkeit der Protagonisten ein und präsentiert ein ländliches Inferno – wie die Synthese von Höllen-Breughel und Bauern-Breughel in einem Film von Quentin Tarantino.
»Bleierne Hitze« ist ein kompromissloser Thriller, in dem die Gier – nach Geld, Sex, Macht und Ruhm – schnurstracks ins Verderben führt. Niemand ist unschuldig und ein Happy End undenkbar. Ein Film Noir in sequentieller Kunstform, erbarmungslos und doch in strahlenden Farben gezeichnet. Die 20 Euro sind hier gut angelegt, auch wenn man diesen Schatz definitiv nicht im nächsten Getreideacker verbuddeln sollte.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Das Recht an allen gezeigten Bildern liegt bei der Edition 52.