Call of Duty: Warzone
Das Gaming-Jahr 2020 hat – pandemiebedingt – unseren Autor Jan K. Giese zurück von der Konsole an den PC gebracht. Und noch weiter: Auch seinen ersten Shooter seit Counter Strike 1.6 hat er wieder angerührt. Und das, obwohl er sich seit einigen Jahren für zu alt hält, online shooter kompetitv zu spielen. Welcher Shooter das war und warum jemand, der lieber seinen Zockersessel auf ganz bequem stellt und mit einem Bier in der Hand stundenlang Paradox 4xSpiele spielt, plötzlich doch wieder das Ballern anfängt (und überzeugt ist) gibt’s hier auf FischPott zu lesen.
Warum ich wieder angefangen habe, Shooter zu spielen
Als man in Europa so langsam merkte, dass dieses seltsame Virus aus China, von dem man so viel hört, kein Scherz ist und alle ins Home Office oder in die Isolation verbannt wurden, ereignete sich im Battle Royale (BR) Online-Shooter-Genre eine kleine Revolution. Am 10. März 2020 wurde Call of Duty: Warzone veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt spielte ich noch das immer noch hervorragende Stellaris online mit zwei bis drei Freunden. Irgendwann sagten selbige Freunde, dass sie jetzt auch Warzone spielen würde und ich mal dazu kommen sollte. Nachdem ich den Begriff schnell gegoogelt hatte, leierte ich meine Standard-Antwort herunter: Shooter? Mach ich nicht mehr. Ich bin 31, hatte noch sehr gut meine kurze Zeit bei Counter Strike 1.6 im Kopf – was mir um die 2000er Jahre viel Frust beschert hatte. Ich bin einfach zu alt für kompetitives Play bei Shootern, wo es auf Reflexe und Viertelsekunden ankommt. Bin ich zu alt für. Was mich dann doch gecatcht hat: Die beiden betreffenden Freund sind – wie ich – Freunde von langfristigen Spielen, bei denen du über lange Zeit deine Strategien entwickelst (nochmal: Stellaris! Sowie alles andere von Paradox). Wenn die beiden das spielen muss es irgendwas haben. Weiterer Pluspunkt: Es ist kostenlos, sagt mein Freund und Online-Mitstreiter und deswegen denke ich mir: Warum nicht. Ich installierte den Client und begann mit dem Download.
History
Die Call of Duty-Reihe geht auf einen ersten Teil 2003 zurück und hat circa 18 Teile, die über WW-II-Singleplayer-Shooter bis hin zu Modern Warfare alle Ballergeschmäcker bedienen. Modern Warfare kam Ende 2019 heraus und wurde vom altbekannten Publisher Activision zusammen mit Blizzard im Battle.net veröffentlicht. Die Reihe ist sowas wie der inoffizielle Konkurrent zur ebenfalls bekannten Battlefield-Reihe und erfreut sich bei Fans gleichbleibender Beliebtheit. Die Developer von Infinity Ward sind dann Anfang 2020 auch auf den Battle Royale-Zug aufgesprungen. Dieser Modus erfreut sich seit PUBG, Overwatch oder Fortnite steigender Beliebtheit und kann im Shooter-Genre als die nächste Evolutionsstufe nach Open-World Shootern begriffen werden. Das Prinzip ist simpel: eine hohe Anzahl von Spielerinnen wird in eine Map geworfen, wer am Ende noch steht, hat gewonnen. Eben dieser Modus ist es, der mich wieder gecatcht hat.
Der Einstieg
Kaum drei Tage nachdem meine Freunde mir von Call of Duty: Warzone erzählt hatten, starb ich schon unzählige Tode auf eben diesen Battle Royale-Servern. Aber nicht nur meine häufigen Tode machen mich weiterhin skeptisch in Bezug auf meinen Ausflug zurück in die Shooter-Welt: Zunächst verbraucht nur das Basisspiel über 200 GB Festplattenspeicher – Updates kommen alle zwei bis drei Wochen und sind zwischen 25 und 45 GB groß. Das ist bei heutigen Internetleitungen eigentlich kein Problem – allerdings haben die Server von Blizzard dermaßen Probleme, dass das Update manchmal einen halben Tag braucht. Einige Freunde aus der Truppe mit weniger gesegneten Internetanschlüssen meldeten sich nach dem neuen Update dann mit alles klar, wir sehen uns in zwei Tagen. Aber zurück zu den Anfängen: Warzone ist für Neulinge extrem verwirrend. In deinen ersten Partien stirbst du häufig, weil du versuchst, den Voice-Chat deiner Freund zu verstehen: Ich muss platen und wir müssen unbedingt Plates kaufen, lass mal Boneyard gehen – ne lieber Storage Town, wir brauchen noch 500 (Dollar) bis zum Loadout Drop, hab einen gedowned, schnell pushen, die resen bestimmt.
Überforderung
Wenn man es dann nach einer Woche so langsam mal geschafft hat, all diese Begriffe sinnvoll zu verknüpfen wird schnell klar: Shooter haben nicht nur in Sachen Grafik in den vergangenen 15 Jahren zugelegt. Sie sind um ein vielfaches komplexer geworden. Nicht nur ist die Bandbreite an Waffen größer geworden – die Klassen (der Waffen) sind auch weiter ausdifferenziert und alle Waffen haben bis zu fünf Slots für Modifikationen. Die Eigenschaften der Waffen und der Mods sind nicht immer transparent und seit Launch des Games Gegenstand ständiger Diskussionen. Deine selbstgemoddeten Waffen kommen per Abwurf (Loadout Drop) in die Kampfzone. Vorher musst du allerdings genug Geld zusammenlooten. Loot gibt’s allerdings auch in Form von vorgemoddeten Waffen und Ausrüstungsgegenständen. Hier wird nicht nur das Rollenspielelement des Aufsammelns von Items sinnvoll in einen Shooter eingebaut – auch das Belohnungssystem funktioniert jetzt eher wie bei World of Warcraft. Überall auf der Karte liegen Quests herum, die du im Zeitraum zwischen zwölf Minuten und wenigen Sekunden erledigen kannst.
Dazu kommen die bereits erwähnten regelmäßige Updates und Seasons, die neue Waffen und neues Equipment ins Spiel bringen – deren Freischaltung aber manchmal sehr mühsam ist. Kurz: die neue Generation von BR-Shootern und insbesondere Warzone haben es erfolgreich geschafft, das RPG zu integrieren und bieten neben der kurzfristigen Befriedigung durch Hitmarker1 auch noch Loot, mittelfristige Aufträge und eine langfristige Planung, wo du dich wann aufhalten solltest. Denn der Kreis wird enger … immer enger.
Mehr als nur ballern
Der Circle kommt! Ich bin schon wieder dabei, diesen Satz ins Mikro zu rufen. Meine Mitspielerinnen sind langsam genervt. Ich bin an den meisten Tagen von der nervösen Sorte. In Warzone wird das Gebiet immer kleiner, wer nicht rechtzeitig in der definierten Save Zone2 ist, stirbt schnell. Jaja, wir haben noch genug Zeit, den Auftrag fertig zu machen. Gaanz ruhig. Ich spiele jetzt seit einigen Wochen – fast täglich. General Taktikus und der kleine Amateur(!)mathematiker in meinem Hinterkopf schreien mich an – ich öffne die Taktische Karte. Wir haben noch ein ganzes Stück bis zur Save Zone und zwischen uns und ihr sind viele Häuser, wo andere Teams nur darauf warten, uns im Vorbeilaufen abzufangen. Ich geh schon mal vor und gucke, ob jemand auf mich schießt – antworte ich. Ich will nicht derjenige sein, der vor dem enger werdenden Kreis aus Giftgas wegrennt und dann zu langsam ist. Ohnehin habe ich das Gefühl, dass wir diejenigen sein sollten, die davonlaufenden Gegnern auflauern. Immer etwas Zeit einplanen – play on the save side, denke ich mir.
Ich habe Teams, mit denen man es genau so macht. Ich habe aber auch ein Team, das einfach drauf losrennt, jeder für sich. Entgegen meiner Vorstellung funktioniert das oft sehr gut. Aber dennoch gehöre ich zu der einen von zwei fundamental unterschiedlichen Gruppen: Ich sehe Warzone als taktischen Shooter. Ich tarne mich selbst mittels Equipment vor dem Radar und sammle Informationen, wo andere Spieler sind und was sie machen. Wenn sie gerade einen schwachen Moment haben oder in einem Fight mit einem dritten Team sind, dann schlage ich aus der Ferne zu. Mein Problem: Das geht nicht immer. Und der Skill – den ich an der Maus einfach immer noch nicht habe – kann sehr viele Situationen entscheiden. Und oft einfach auch Glück. Verdammt denke ich, wenn wir jetzt weglaufen und in einem Hinterhalt geraten, sind wieder 23 Minuten Spielzeit umsonst. Wenn man nicht zu den sieben Bestplatzierten gehört, ist das Spiel nichts wert gewesen.
Nervig
Damit kommen wir zu strukturellen Problemen des Spiels: Dass du 35 Minuten bedächtig und umsichtig planen kannst und dann trotzdem wegen einer explodierenden Munitionsbox neben dir draufgehst, ist Glück – und gehört zum Spiel. Das ist Battle Royale: Oft unfair! Was dich aber wirklich frustriert sind die Momente, in denen du verlierst und mehr als eine halbe Stunde Spielzeit in den Sand setzt, weil es laggt und buggt. Und dafür ist Call of Duty: Warzone – neben seinem sehr hohen Cheateranteil – berüchtigt. Technische Probleme begleiten dieses Spiel, von den schon erwähnten Update-Größen über Server-Konnektivitätsprobleme (Ping3 und Packet Loss4) bis hin zu der Tatsache, dass es fundamentale Bugs gibt, die, wenn sie im nächsten Update gefixt werden, teilweise durch noch schlimmere Bugs ersetzt werden.
Ein Beispiel: Es war eine Woche lang in der Aufwärmrunde (vor Rundenbeginn) nicht möglich, andere Spieler zu erschießen. In einem Shooter. Trotz dieser offensichtlichen Mängel, die tagelang nicht behoben werden (können?) und der Tatsache, dass du manchmal den Eindruck hast, bei Infinity Ward belegen IT-Erstsemester ihr Proseminar in Game-Debugging und relaesen die Ergebnisse, hat Warzone es von anfänglich sechs Millionen (März 2020) laut statista.com bis August auf 75 Millionen Spielerinnen gebracht. Eine ziemlich starke Fangemeinde ist auf reddit erwachsen und best-of-clip-Kanäle auf Youtube schaffen täglich weit über 400.000 Hits auf YouTube. Youtuber liefern sich auf ihren Kanälen Kämpfe darum, wer das neue Mata erschafft. Fakt ist laut cod.tracker.gg, dass Warzone das Proto-BR Fortnite längst geschlagen hat und mit Apex Legends gleichzieht.
Langzeitfolgen
Noch eine Runde, dann bin ich für heute raus. Vierer-Team Sessions in Warzone können abendfüllend sein. Und mittlerweile spiele ich schon seit einigen Monaten, im Sommer habe ich die Vorhänge zugezogen (Sonneneinstrahlung nervt beim Schießen!), jetzt neigt sich der Hochsommer dem Ende zu. Drei Kugeln schlagen ein. Team von Links! Ich gehe in Deckung, meine Kollegen erwidern das Feuer, ich werde getroffen – Ich flanke nach rechts. Ich versuche, das gegnerische Team unter Ausnutzung von Deckung weiträumig zu umgehen. Zwei links, ein Sniper oben im Turm. Ich bin mittlerweile geübt darin, meinen Kollegen mündlich mitzuteilen, wo Gegner sind und mit was sie schießen oder sie einfach auf der taktischen Karte mit einem Marker5 zu versehen. Zwei down, die anderen replaten wahrscheinlich. Zone kommt, wir müssen weiter. Keiner Antwortet. Dann schlagen Schüsse aus einer ganz anderen Richtung ein. Anderes Team! Team in den Häusern links – äh gerade aus. Ich bin außer Gefecht. Alle anderen auch. Wie so oft lief alles 20 Minuten gut, einige Gefechte gewonnen, gelootet, Waffen, Munition und Ausrüstung besorgt, weiter in Richtung Zone. Doch dann taucht wie aus dem Nichts irgendwo ein weiteres Team auf und nimmt uns und unsere momentanen Gegner unter Feuer. Auch der noch hastig abgesetzte Luftschlag in die grobe Richtung nützt nichts. Okay, ich bin dann raus für heute, höre ich aus den Kopfhörern – ich auch. Oft bin ich frustriert. Eigentlich sollten wir doch diejenigen sein, die überraschend eingreifen und alles gewinnen. Ich hätte noch Lust. Alle anderen nicht.
Call of Duty: Warzone – Fazit
Und so stehe ich gegen Ende des Jahres allein da. Auch ich habe Warzone schon mal für zwei Wochen deinstalliert. Aus Frust. Ich werde einfach nicht besser. Mein Team sagt, sie haben keine Lust mehr. Witzigerweise antworte ich darauf immer: Kann ich verstehen. Und doch würde ich täglich zocken. Ich bin nach wie vor gefesselt von der Tiefe und Vielfalt. Warzone ist – ja – ein Ballerspiel. Aber eben auch viel mehr. Nachdenken, handeln, Reflexe, Automatismen, abwägen, looten, Aufträge erfüllen. All das reizt mich immer noch. Doch im Dezember wird Warzone auf das neue Basisspiel Black Ops: Cold War umgestellt. Ich habe kurz an der Beta teilgenommen und mag es nicht so sehr wie das alte. Ich werde es wahrscheinlich trotzdem spielen. Denn trotz des Frustes, des nicht vorhandenen und auch nicht steigenden Skills, den vielen Bugs, den Gigabytes an Updates und dem Umstand, dass das Spiel ernsthaft bei jedem Start extra Shader installiert, was manchmal fünf Minuten dauert, hat Call of Duty: Warzone in sechs Seasons geschafft, was seit zehn Jahren kein Multiplayer Shooter mehr bei mir geschafft hat: Mich von der Meinung abzubringen, dass Shooter für mich ein totes Genre sind. Und dass das sowieso nur zwölfjährige Kiddies spielen, die nicht nur nervig sind im Voice-Chat, sondern mir an Skill und Reflexen einfach viel zu viel voraus haben – abgesehen davon, dass ich keine sieben Stunden am Tag zocken kann (und will).
Trotzdem – obwohl ich seit Wochen nicht gespielt habe – sehe ich mir jeden Abend die Top Warzone Moments und Top Call of Duty Plays an und wünsche mir mal wieder einen Ausflug mit meinem Team nach Verdansk.
Call of Duty: Warzone wird am 10. Dezember auf die neue Plattform (Black Ops: Cold War) umgestellt. Für unseren Autor JKG bedeutet das, dass ein Jahr voller Spaß und Frust mit einem Spiel vorüber geht.
- Hitmarker sind kleine Veränderungen im Sound, wenn du eine deine abgefeuerten Kugeln den Gegner tatsächlich trifft. Das Geräusch kommt subtil daher und du merkst erst mit der Zeit, dass es das überhaupt gibt. ↩
- Im Szenario von Warzone zieht sich ein Ring aus Giftgas um die Kampfzone. Wenn du nicht schnell genug im sicheren Gebiet bist, erstickst du einfach. Das ist frustrierend. ↩
- Ping ist ein Wert, der die Reaktionszeit des Servers auf eingegebene Kommandos misst. Ein Hoher Ping-Wert ist schlecht. ↩
- Packet Loss gibt an, wie viel von den an den Server übertragenen daten auch wirklich ankommen. Ein Hoher Packet Loss-Wert ist beim Online-Gaming nervig und führt dazu, dass du verlierst. ↩
- In Warzone kann man Gegner (und andere Objekte) markieren. Gelingt es dir, zwischen Schießen, Ducken, Laufen und Nachladen auch noch einen Gegner zu markieren, ist er für einige Sekunden mit einem fetten roten Punkt versehen. Du und deine Mitspielerinnen können dann leicht verfolgen, wohin er läuft oder wo er sich befindet. ↩
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