Capone
Mal ganz im Ernst: Tom Hardy muss sich unfassbar schnell langweilen. Anders lässt sich seine Vorliebe für seltsame Stimmen, Akzente oder Dialekte kaum erklären. Klar, der Brite kann auch „normale“ Menschen spielen, das haben Filme wie Locke, Dunkirk oder Warrior bewiesen. Aber Hardy scheint erst dann so richtig in seinem Element zu sein, wenn er seine Stimme verstellt und richtig weird werden darf.
So ist seine theatralische Interpretation des Batman-Schurken Bane in The Dark Knight Rises bis heute eine der meistparodierten Figuren aller Zeiten, in The Revenant stielt sein overactender John Fitzgerald mühelos Star und „Bitte, bitte, krieg ich jetzt einen Oscar“ Leonardo DiCaprio die komplette Show, sein Max Rockatansky in dem Action-Meisterwerk Mad Max: Fury Road murmelt er sich mit einem nur mit viel gutem Willen als australisch erkennbaren Akzent enigmatisch durch die Wüste, ganz zu schweigen von seiner hochgradig merkwürdigen, verschwitzten Performance in den Venom-Filmen mit einem absolut gestelzten amerikanischen Akzent. Dann ist da natürlich noch Bronson, bis heute die wohl ikonischste (und beste) Rolle, die Tom Hardy je gespielt hat und seine sich mit absolutem Gusto durch die Szene frühstückenden Gastauftritte als Alfie Solomons in der Serie Peaky Blinders.
Kurz gesagt: Tom Hardy hat keine Probleme damit, zu experimentieren und in seinen Rollen richtig seltsam zu werden. Aber selbst, wenn man das weiß und sich darauf einstellt, erwischen einen die ersten Minuten von Capone kalt. Ja, der Titel ist Programm: Tom Hardy spielt Al Capone. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Capone ist nämlich kein Biopic, sondern etwas anderes. Etwas sehr Seltsames. Und zur Abwechslung mal liegt das nicht an Tom Hardy. Jedenfalls nicht nur. Naja, vielleicht doch. Aber der Reihe nach.
Kackende Muppets
Al Capone (Tom Hardy) ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Schwer krank hat sich der einstige Gangsterboss nach zehn Jahren Gefängnis in seine Villa in Florida zurückgezogen, wo er nach wie vor unter FBI-Beobachtung langsam vor sich dahinsiecht. Seine fortschreitende, nicht ausgeheilte Syphilis-Erkrankung hat zunehmend Einfluss auf seine mentalen Fähigkeiten, er halluziniert und fühlt sich verfolgt, sehr zum Leidwesen seiner Frau Mae (Linda Cardellini).
Sorry, mehr kann ich zu der Handlung nicht schreiben, denn: Das ist alles. Wie schon geschrieben, Capone ist kein Biopic. Es geht nicht um Al Capones Leben, es geht um seinen Verfall. Der Film ist eine brutale Demontage des ikonischen Gangsters und nirgendwo wird das so deutlich wie in Tom Hardys Performance. Hardy spielt Al Capone mit schütterem Haar, blutunterlaufenen Augen so ekelhaft, wie er nur kann. Sein Al hustet, kotzt, kackt sich ein. Er ist verschuldet, krank und zunehmend paranoider werdend. Und dann ist da noch seine Stimme.
Diese Stimme. Es ist mir ein dringendes Bedürfnis herauszufinden, auf wessen Mist diese Stimme gewachsen ist. Ein krächzendes, raspelndes Gequake, das jeder Beschreibung spottet. Hardys Al Capone wirkt wie aus einem bizarren Saturday Night Live-Sketch, der erst nach Mitternacht gesendet wird. Originalfassungs-Gucker sei an dieser Stelle dringend ans Herz gelegt, Untertitel einzuschalten, denn aus diesem Geblubber auch nur ein klares Wort herauszuhören ist selbst für Muttersprachler eine Herausforderung. Gerade in den ersten Dinnerszenen gehört den Nebendarstellern jeder Respekt gezollt, dass sie es schaffen, so ernst zu bleiben, während neben ihnen eine abgelehnte Figur aus der Muppet Show sitzt. Irgendwann wird sich sogar der Film selbst kurz dieser bizarren Situation bewusst. Matt Dillons Charakter begrüßt Capone mit den wahren Worten: „Du klingst wie ein verreckender Gaul!“
Symbolismus mit dem Holzhammer
Dieser Karikatur von Mensch sieht man rund 100 Minuten beim langsamen Verfall zu. Ab und zu gibt es Flashbacks in der Form von Träumen und Halluzinationen, ansonsten hat Capone bemerkenswert wenig Interesse an Capone dem Gangster. Der Symbolismus könnte nicht offensichtlicher sein: In den Intro-Credits werden Statuen und Skulpturen von griechischen Gottheiten gezeigt, dann Schnitt und man sieht, wie diese Figuren verkauft und abtransportiert oder zerstört werden. Der Mythos Al Capone wird im Laufe des Films ebenso demontiert. Von dem furchterregenden Gangsterboss keine Spur, übrig bleibt nur ein alter, kranker, ekelhafter Mann, der in sein Bett kackt. Durchaus kein uninteressantes Konzept, aber … das war’s halt. Es gibt keine Story. Nebenfiguren kommen und gehen, Hardy krächzt sich durch die Botanik, gelegentlich wird erwähnt, dass er irgendwo ein Vermögen versteckt haben soll, aber dieser Plot wird irgendwann fallen gelassen und am Ende – Spoiler – stirbt Capone.
Man fragt sich, was genau eigentlich der Sinn von Capone ist. Der Film ist im Wesentlichen der letzte Akt eines Martin Scorsese-Gangsterfilms, nur halt ohne die ersten zwei Drittel, die das glamouröse Gangsterleben zeigen und die den demontierenden Schluss erst so wirkungsvoll machen. Goodfellas oder The Wolf of Wall Street wären längst nicht die Klassiker die sie sind, wenn sie ausschließlich aus den Schlussszenen, in denen die Protagonisten paranoide, zugekokste Wracks sind, bestanden hätten. Capone hat aber schlicht und ergreifend nicht mehr zu bieten als das. Irgendwann nutzt sich die Kuriosität von Tom Hardys Performance ab und es wird einfach nur noch nervig.
Wenigstens den Darstellern neben Tom Hardy kann man keinen Vorwurf machen. Linda Cardellini und der immer wieder gern gesehene Kyle MacLachlan gehören zu den Highlights aus dem Cast, auch der chronisch unterschätzte Matt Dillon macht seine Sache gut. Der Soundtrack zu Capone wurde von Run The Jewels-Rapper El-P produziert – der elektronische Score ist durchaus solide, erinnert aber häufig stark an Trent Reznor und Atticus Ross, ohne an deren Klasse heranzureichen. Für einen ersten Soundtrack-Versuch aber durchaus ganz ordentlich.
Capone ist auf dem Mist von Josh Trank gewachsen, ein Mann, dem Kontroversen durchaus nicht fremd sind. Nachdem Trank mit seinem Erstlingswerk Chronicle einen echten Überraschungserfolg feiern konnte, schaffte er es, seinen großen Schritt in den Blockbuster-Mainstream mit dem filmischen Desaster Fantastic Four derart nachhaltig in den Sand zu setzen, dass der Senkrechtstarter in Hollywood brutal wieder auf den Boden der Tatsachen geholt wurde. Capone ist nun sein Herzensprojekt, er steckt als Autor und Regisseur in Personalunion hinter dem Projekt, in das ihm niemand reingeredet hat. Vielleicht hätte das mal jemand sollen.
Disclaimer: Wir haben ein Exemplar der Blu-Ray zu Ansichtszwecken erhalten.
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