Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
Nach Schauerroman, Heldenreise, Sword & Sorcery, Märchen und einigen weiteren Literaturgattungen hat sich Hildegunst von Mythenmetz – oder vielmehr sein Übersetzer Walter Moers – eines weiteren Genres angenommen: Der Tierfabel.
Ordentlich angestaubt
Seit mindestens 4500 Jahren erzählen sich Menschen Geschichten von schlauen Füchsen und gierigen Wölfen um daraus etwas für das Leben zu lernen. Immer wieder haben Schreibende Fabeln neu aufgegriffen und heute können wir sie modernisiert, verfremdet, dekonstruiert, rekonstruiert oder möglichst originalgetreu lesen. Fabeln sind also vielseitig und – als sogenannte Lachfabeln oder kurz Flabeln – auch in Zamonien bekannt.
In Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte erzählt Moers 20 dieser zamonischen Flabeln. Einige kann das Lesepublikum als umgedichtete irdische Fabeln erkennen – aus Der Frosch und der Skorpion wird Der verantwortungsvolle Biber und der hinterlistige Kristallskorpion – andere sind einfach nur kurze, etwas morbide Geschichten. Eine ist unerwarteterweise eine Art Beatles-Biographie mit Insekten und alternativem Ausgang. In der Regel haben Flabeln weder eine Moral noch ein Happy End. Wer listig sein will, wird gefressen oder verprügelt. Wer wagt, gewinnt nicht sondern stürzt in die Tiefe. Flabeln bieten eher Desillusionierung als moralische Lehre. Ältere Moers-Leser*innen werden sich an seinen Cartoonband Wenn der Pinguin zweimal klopft oder die Abenteuer des kleinen Arschlochs erinnern.
Zynismus im Untergrund
Denn solche kleinen zynischen Storys, bei denen am Ende alle tot oder unglücklich sind waren typisch für die Underground-Comics der Siebziger und Achtziger. Auch die Umdichtungen von bürgerlich-hochmoralischen Märchen waren damals in Mode. Gewissermaßen kehrt Moers hier also zu seinen literarischen Wurzeln zurück. Wahrscheinlich sollte man heutzutage gar nicht anders mit Jahrhunderte alten Moralgeschichten umgehen, die Autoritätshörigkeit predigen und Vorurteile reproduzieren.
Die morbiden zamonischen Flabeln sind vor allem Geschmackssache. Aber ich fand sie meistens einfach lustig. Moers schafft es sehr gut, den Geschichten am Ende doch noch die am wenigsten erwartete Wendung zu verpassen. Oder eben gar keine Wendung. Zamonien-Fans können sich auch darauf freuen, bei der Lektüre die eine oder andere bekannte Figur wiedertreffen.
Wo ist Mythenmetz?
Nur einer tritt seltsamerweise nicht explizit auf. Keine Mythenmetzsche Abschweifung, keine Kurzbiographie des Meisters, kein langatmiges Vorwort, in dem er sich zum größten zamonischen Schriftsteller erklärt: Mythenmetz ist sich in seiner Flabelsammlung quasi abwesend. Das ist allerdings nach der Hildegunstschen Omnipräsenz der meisten Zamonien-Bücher eine willkommene Abwechslung
Was sagt das Ormometer?
Natürlich muss auch Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte in unser großes Orm-Ranking eingefügt werden. Wir haben Professorin Farah Kakapoks Ormometer angeworfen und kamen auf ein eindeutiges Ergebnis.
Ormometer: 13
Beste Illustration: S. 107 – die Lichtung im Großen Wald
Damit landet Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte auf Platz 5 im Fischpott-Orm-Ranking und verdrängt den Schrecksenmeister auf Platz 6.