Das Ende der Menschheit von Stephen Baxter
Mit Das Ende der Menschheit hat Stephen Baxter die Fortsetzung von Der Krieg der Welten geschrieben, 119 Jahre nach der Veröffentlichung des Science Fiction-Romans von H. G. Wells. Wir haben den fast 600 Seiten starken Retro-Science Fiction-Wälzer gelesen.
Das Ende der Menschheit1 spielt 13 Jahre nach dem Ende von Der Krieg der Welten. England hat die Invasion der Marsianer von 1907 überstanden, aber das Land lebt in Angst vor einem erneuten Angriff. Dank marsianischer Geräte wie Dreibeinern und Hitzestrahl hat sich die Menschheit zwar in technischer Hinsicht etwas weiterentwickelt, aber immer noch nicht vom Imperialismus befreit. Unter Premierminister Brian Marvin hat sich Großbritannien zu einem faschistoiden Land entwickelt, das im deutschen Kaiserreich einen engen Verbündeten sieht. So haben Marvin und sein Kriegsminister Winston Churchill nicht nur die Eroberung Frankreichs durch Wilhelm II. hingenommen, ja sie unterstützen ihn sogar an der russischen Front.
Mars attacks!
1920 ist es dann soweit: Der nächste Angriff vom Mars beginnt. Zuerst sieht es so aus, als ob das britische Heer perfekt auf den Gegner vorbereitet ist, aber schon bald stellt sich heraus, dass die Marsianer ebenfalls dazugelernt haben. Sie vernichten einen Großteil der Armee und errichten einen Brückenkopf in England. Nun wartet der Rest der Welt auf ihren nächsten Schritt. Zwei Jahre später reist die Ich-Erzählerin, Julie Elphinstone, auf einer geheimen Mission nach England. Ihr Ziel ist der Kordon, das von den Marsianern kontrollierte Territorium. Dort soll sie eigentlich mit den Marsianern Kontakt aufnehmen – gleichzeitig hat sie aber auch vom britischen Oberkommando einen anderen Auftrag bekommen, der den Eroberern den Tod bringen soll.
Dreibeinige Beherrscher der Venus
Baxter hat die Figur der Julie Elphinstone eng mit Der Krieg der Welten verknüpft, sie ist die Schwägerin des Ich-Erzählers, der von Wells keinen Namen erhalten hat. Und auch weitere Personen aus dem ersten Buch kommen vor: Major Eric Eden, Bert Cook (im Krieg der Welten nur „der Artillerist“ genannt) und natürlich der Erzähler selbst, der bei Baxter Walter Jenkins heißt. Das zeigt schon, wie Baxter jedes Detail von Wells’ Vorlage aufgesaugt und eingebaut hat. Sogar Kleinigkeiten, wie das Kennzeichnen der Venusoberfläche durch ein gigantisches marsianisches Schriftzeichen spielen in Baxters Buch eine wichtige Rolle.
Marsianer in New York, Berlin, Istanbul
Aber alle Akkuratesse macht Das Ende der Menschheit leider nicht zum kein Pageturner. Die Charaktere bleiben kaum im Gedächtnis und Baxter fügt der Originalgeschichte nur wenige neue Facetten hinzu. Selbst die potentiell spannende Einführung weiterer Außerirdischer greift Baxter nur zögerlich auf. Auch über die alternative britische Nachkriegsgesellschaft erfahren wir beim Lesen des Buches zu wenig. Gegen Ende des Buches wird es noch etwas spannend, wenn in einigen Kapiteln aus China, Russland, Südafrika, dem osmanischen Reich und Deutschland die globale Invasion der Marsianer im Stil von World War Z geschildert wird, aber das macht leider nur einen kleinen Teil von Das Ende der Menschheit aus.
Noch lange nicht das Ende der Menschheit
Dabei ist Das Ende der Menschheit kein Komplett-Reinfall. Baxter hat sich sehr viele Gedanken über eine plausible Taktik der Marsianer und das Vorgehen der Menschheit gemacht. Zwischendurch streut er kleine Hommagen an andere Interpretationen des Kriegs der Welten oder ähnliche Science Fiction-Werke ein. Der deaktivierte Dreibeiner auf dem Kinderspielplatz erinnert an Alan Moores Century, die otterartigen Kytherianer an die Hrossa aus C. S. Lewis’ Perelandra-Trilogie. Aber leider macht das nur einen kleinen Teil des Lesevergnügens aus. Die richtige Zielgruppe des Buches sind wahrscheinlich Riesenfans des Krieg der Welten, die schon alles – von Sherlock Holmes’s War of the Worlds über Jeff Wayne’s Musical Version of The War of the Worlds bis zu Die dreibeinigen Herrscher – konsumiert haben und dringend neuen Stoff brauchen.
Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar vom Heyne Verlag erhalten.
- Originaltitel: The Massacre of Mankind, ein Zitat aus The War of the Worlds ↩