Das Zamonien-Ranking: Alle Bände nach Ormgehalt – Teil II
Platz 5 bis 1
Welcher Zamonien-Roman enthält wohl das meiste Orm? Welches Moers-Märchen ist das beste? Fischpott hat alle Geschichten vom seltsamen Kontinent des Walter Moers einer literaturkritischen Analyse unterworfen. Dabei hat uns Professor Kakapoks Ormometer mindestens genauso geholfen wie das von jahrzehntelangem Fantasy-Konsum geschärfte literarische Gespür unseres Chefredakteurs Fabian.
Die Plätze 10 bis 6 findet ihr hier. Und jetzt kommt die bessere Hälfte unseres Rankings.
5. Der Schrecksenmeister
Dieser Roman spielt in der Stadt Sledwaya – endlich mal wieder raus aus Buchhaim! Aber ähnlich wie Buchhaim ist Sledwaya eine monothematische Stadt. Statt um Bücher dreht sich hier alles um Krankheiten und natürlich sind diese Seuchen von entzückend zamonischer Bizarrerie. So wie Nierenverzagen, Geisterstundenkopfschmerz oder Zwergenhusten, der nur Personen unter einem Meter befällt.1
Dabei sind die Hauptfiguren von Der Schrecksenmeister ziemlich gesund: Es handelt sich um den titelgebenden Schrecksenmeister Succubius Eißpin und den Protagonisten Echo. Echo ist ein Krätzchen, also eine zamonische sprechende Katze. Als halbverhungerter Streuner trifft er den Schrecksenmeister der Stadt, dem kochenden Alchemisten Eißpin. Dieser bietet ihm an, ihn einen Monat lang mit dem allerbesten Leckereien zu füttern. Im Gegenzug muss Echo sich töten lassen, damit Eißpin sein Fett für alchemistische Zwecke verwenden kann. Natürlich sucht der kleine Kater (oder das Kräterchen?) einen Ausweg aus dieser verzwickten Lage und trifft dabei seltsame Gestalten wie die Ledermäuse, die Schreckse Izanuela oder den Schuhu Fjodor F. Fjodor.
Mit Der Schrecksenmeister erzählt Walter Moers die Novelle Spiegel, das Kätzchen von Gottfried Keller neu und ein bisschen stellt sich beim Lesen die Frage: Warum? Spiegel, das Kätzchen ist eine durchaus lesbare, aber leicht angestaubte Lektüre mit mehr als 160 Jahre auf dem Katzenbuckel. Im Nachwort schreibt Hildegunst von Mythenmetz, der Autor dieser Neuerzählung 2 von seiner Hochachtung für den Autor des Originals, Gofid Letterkerl 3 und das lässt sich wiederum als Moers’ Begeisterung für Gottfried Keller interpretieren. Wobei der Grund natürlich auch eigentlich egal ist: Wahrscheinlich hatte Moers einfach Bock drauf. Spuren von Neuerzählungen finden sich ja auch in den anderen Zamonien-Romanen (dazu später mehr).
Auch wenn Sledwaya als Stadt der Seuchen eingeführt wird, geht es im Schrecksenmeister vor allem um das Essen. Eißpins Festmähler für Echo werden genau so minutiös-deliziös beschrieben wie Izanuelas Käseschrank. Dabei mäandert der Roman ein bisschen hin und her, führt uns des öfteren auf falsche Fährten, bis wir schließlich einen spannenden Showdown erleben – weitaus dramatischer als das Ende von Spiegel, das Kätzchen. Eine Nacherzählung muss schließlich einen draufsetzen.
Ormometer: 11
Beste Illustration: Ledermaus, S. 176 – So hässlich, das sie schon wieder schön ist.
4. Ensel und Krete
Das erste zamonische Märchen aus Moers’scher Feder ist auch das bisher beste. Zum ersten Mal erleben wir in Ensel und Krete, wie Hildegunst von Mythenmetz sich eine Geschichte aus Zamonien vorknöpft und neu erzählt. Auch wenn natürlich niemand weiß, wie der Originaltext lautet 4 ist es grandios, wie der selbstherrliche Dichterfürst durch den Text wütet, die Mythenmetzsche Abschweifung einführt, das Happy End erfindet, seine Kritiker beschimpft und sich dabei unablässig selbst lobt. Das klingt ein wenig nach anstrengendem Meta-Quatsch, ist aber verdammt unterhaltsam.
Gleichzeitig erweitert Moers in Ensel und Krete den zamonischen Kosmos: Der Buntbärenwald, bereits bekannt aus den 13½ Leben des Käpt’n Blaubär, wird erneut besucht und vertieft, Lebensformen wie Fhernhachen erhalten eine tiefergehende Charakterisierung und auch Fieslinge wie der Stollentroll kommen zurück. Dabei ist fast alles vertraute auch wieder ein wenig anders als bekannt – als ob die Autoren Blaubär und Mythenmetz jeweils einen eigenen Blick auf die Wahrheit über Zamonien haben. Natürlich erlaubt das Moers auch, beim Schreiben seiner Zamonien-Romane nicht allzusehr auf Kontinuität und Geschlossenheit achten zu müssen.
Moers’ cartooneske Illustrationen in Ensel und Krete erlauben dem Lesepublikum einen Blick auf die seltsame zamonische Flora und Fauna wie es nur ein zeichnender Autor (oder schreibender Illustrator) hinkriegt. Das moderne Märchen ist damit bereits ein literarisches Vergnügen – und dann kommt noch der Anhang! Mythenmetz’ halbe Biographie als Parodie auf typische Dichterbiographien im Gewand der Fantasy – das ist schon pratchettesk. Dieses, das zweite Zamonienbuch zeigt das Potential der Reihe. Auf den autobiographischen Reiseroman eines Seebären folgt das literarische Werk eines abgehobenen Autors. Zudem führt Moers/Mythenmetz hier das Orm ein, die Kraft hinter literarischer Begabung. Und natürlich der Gradmesser in diesem Artikel.
Ormometer: 17
Beste Illustration: S. 140-141 – Ensel und Krete entdecken die seltsame Flora tief im Wald.
3. Die Stadt der Träumenden Bücher
Und wieder einmal Mythenmetz – nur ist er in Die Stadt der Träumenden Bücher zum ersten Mal der Protagonist. Statt eines selbstherrlichen Literaturgiganten wie in Ensel und Krete lernen wir hier einen unsicheren Lindwurm kennen, der mit seinem Werk hadert. Also macht Moers das naheliegendste und befördert ihn nach Buchhaim. Hier, in der Stadt der träumenden Bücher, begegnet Hildegunst Verlegern, Antiquaren, Dichtern und landet schließlich in den Bücherkatakomben unter der Stadt. Diese und ihre Bewohner sind halb klassische Fantasy-Dungeons voller Todesfallen und Bücherschätze, halb gotische Schauer-Schauplätze mit einer Prise kosmischen Horror. Hier löst Mythenmetz das Geheimnis des Schattenkönigs und wird schließlich Zeuge einer kataklysmischen Katastrophe – wie später auch in Die Insel der Tausend Leuchttürme. Vielleicht sollte sich dieser Lindwurm von Touristenattraktionen fernhalten.
Die Stadt der Träumenden Bücher ist eine Ode an die Literatur. Allein der Schauplatz Buchhaim lässt Bibliophilen das Herz aufgehen. Und erst die Bücherkatakomben: Zwischen den niedlichen Buchlingen und den tödlichen Bücherjägern erlebt Mythenmetz das Abenteuer seines Lebens … zumindest das erste. Auch in der Stadt der Träumenden Bücher arbeitet Moers mit zahlreichen Zitaten. So erinnert der riesige Forscher an Lovecrafts Geschöpfe aus Der Schatten aus der Zeit oder die Geschichte des Homunkoloss’ an Carax’ Geschichte aus Carlos Ruiz Zafóns Der Schatten des Windes. Aber gerade so muss ein Roman in der Stadt der träumenden Bücher wohl geschrieben sein: Als Quintessenz aus Literaturgeschichte.
Ormometer: 23
Beste Illustration: S. 212-216 – die Buchlinge beim Lesen, Deklarieren, Büchertragen, kurz: bei ihren alltäglichen Beschäftigungen
2. Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
Der Anfang von allem: Walter Moers nutzt hier seinen Käpt’n Blaubär – bis dahin vor allem aus der Sendung mit der Maus bekannt – als Protagonisten eines Entwicklungsromans. Aus der Sicht des Blaubären erkunden wir beim Lesen den Kontinent Zamonien, seine seltsamen und fantastischen Orte und die mindestens ebenso originellen Lebensformen. Hier entdeckt das Lesepublikum auf fast jeder Seite etwas neues: Zwergpiraten, Rettungssaurier, Skorpionhydren, Bollogs … die Wunder der zamonischen Evolution nehmen fast kein Ende. Und schon vor Mythenmetz nutzt Moers die Abschweifung – oder eher den Nachtigallerschen Einschub. Denn sobald der Protagonist Nachtigallers Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung kennenlernt, erfahren wir bei jeder neuen Begegnung die Fakten, mit deren Hilfe der Blaubär diese Begegnung übersteht.
Dabei ist Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär mitnichten eine reine Abenteuergeschichte. Blaubär entwickelt sich vom Säugling zum Erwachsenen und ergreift dabei eine fantastische Kariere nach der anderen: Pizzaerfinder, Lügengladiator, Klabauterstar, Traumkomponist und viele mehr. Dabei lernt er die Höhen und Tiefen des Lebens und der zamonischen Gesellschaft(en) kennen bis er schließlich sein Schicksal erfüllt. Denn wirklich meisterhaft führt Moers am Ende fast alle Elemente aus Blaubärs Leben zu einem nahezu perfekten Ende zusammen. Und das, obwohl schon auf der ersten Seite des Buchs der mittlerweile zum geflügelten Wort gewordene Satz steht: „Das Leben ist zu kostbar, um es dem Schicksal zu überlassen.“ Aber auch die zahlreichen Widersprüche, die sich mit den folgenden Romanen noch vertiefen, gehören zu Zamonien. Was für Wahrheiten sollte es auch auf einem Kontinent geben, den wir nur aus den Erinnerungen eines Lügengladiators und eines selbstherrlichen Lindwurmschreiber kennen?
Ormometer: 27
Beste Illustration: S. 600-607 – der laaaaange Kanaldrache
1. Rumo & Die Wunder im Dunkeln
„Rumo als der beste Zamonien-Roman? Warum das denn?“ höre ich die Mythenmetz-Fans und die Blaubär-Freund*innen rufen – dabei ist das doch klar. Rumo & Die Wunder im Dunkeln hat alles. Fechten, Folter, Gift, wahre Liebe, Hass, Rache, Zyklopen, Nurnen, wilde Kreaturen jeder Art und in mannigfaltigster Beschreibung, Schmerzen, Tod … Rumo ist große Oper, Rumo ist Heavy Metal. Auch in Moers anderen Büchern reiht sich eine Gefahr an die andere, aber in Rumo & Die Wunder im Dunkeln sind die Herausforderungen noch einmal höher – schließlich ist der Held ein Wolpertinger! Auch der Blaubär und Mythenmetz sind humanoide Raubtiere und schon deswegen nicht wehrlos, aber Rumo ist als zamonischer Wolpertinger einer der besten Kämpfer des Kontinents.
Und wenn Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär ein Entwicklungsroman und Ensel und Krete ein Märchen ist, dann ist Rumo Sword and Sorcery 5. Rumo ist ein pelziger Conan, ein gehörnter Geralt oder ein hechelnder Elric 6, er ist ein zuschlagender Held, der von einer Lebensgefahr in die andere wandert. Dabei ist Rumo selbst ein bisschen unbedarft, aber keinesfalls dumm. Er kennt die Welt nicht so gut und lernt sie eben erst bei seinem Abenteuer kennen. Und was für eine Welt! In Rumo & Die Wunder im Dunkeln begibt sich das Lesepublikum in die die dunkle Seite von Zamonien, später sogar im wahrsten Wortsinn. Schon am Anfang fällt der Held als Welpe in die Hände von bestialischen Teufelszyklopen nur um in der zweiten Hälfte in die Untenwelt herabzusteigen.
Die Untenwelt ist das, was D&D-Spieler*innen als das Underdark oder eben das Unterreich kennen. Ein Netzwerk aus Höhlen, Tunneln und Kavernen, in denen nicht nur unzählige Monster sondern auch besonders bösartige Zivilisationen hausen. Aber im Gegensatz zur typischen D&D-Gruppe sucht Rumo hier keine Schätze sondern seine große Liebe und die Rettung der Wolpertingerheit. Es wird, schlicht gesagt, enorm episch. Dazu passt auch die Erzählstimme eines allwissenden Erzählers hervorragend. Hier erzählt kein schrulliger Lügenbär, kein selbstherrlicher Dinosaurier, hier geht es nicht um den Erzähler sondern um das Erzählte. Und das ist einfach fabelhaft.
Ormometer: 31
Beste Illustration: S. 5 – Deckblatt-Illustration voller Elemente des Romans.
Das waren die Plätze 5 bis 1 in unserem großen zamonischen Buch-Ranking – streng wissenschaftlich nach Orm-Güte geordnet.
- Und an Moers’ Buch Schöner Leben mit dem kleinen Arschloch erinnert, in dem der Autor mehrere ebenfalls sehr bizarre Krankheiten präsentiert. ↩
- den wir hier wohl einfach als Alter Ego des Autors interpretieren können ↩
- ein Anagramm von Gottfried Keller ↩
- vermutlich so ähnlich wie Hänsel und Gretel ↩
- Wobei es in Zamonien eigentlich gar keine Magie gibt. Es gibt Alchemie, Telepathie und seltsame Maschinen, aber Zauberei wird kaum genannt. Es handelt sich also eigentlich eher um Weird Fiction als um Fantasy. ↩
- mit dem er auch ein sprechendes Schwert als Begleiter gemein hat – und was für eins! ↩