Dead Man’s Shoes (2004)
Rache. Gibt es etwas Schöneres? Als Filmmotiv, meine ich. Dead Man’s Shoes zeigt den düsteren Rachefeldzug eines desillusionierten Soldaten inmitten der Bilderbuchlandschaft Nordenglands. Mit geringem Budget und nur drei Wochen Drehzeit gelingt Regisseur Shane Meadows ein kurzes, verstörendes Drama, in dem definitiv niemand gewinnt.
Richard ist zurück
Sieben Jahre ist es her, als ein paar Unterschichtenjunkies um ihren Anführer Sonny den geistig behinderten Anthony quälten und demütigten. Sein Bruder Richard (Paddy Considine) kehrt nun, nachdem er seine Pflicht und Schuldigkeit als Fallschirmjäger der British Army getan hat, in seinen Heimatort Matlock zurück, fest entschlossen, die Peiniger seines Bruders zur Strecke zu bringen. Und so klar seine Motivation von Anfang ist, umso weniger ist es seine Strategie: Richard zeigt sich seinen Gegnern vom ersten Moment an und lässt keinen Zweifel an seinem Ziel. Es scheint ihm fast egal zu sein, ob er sie erwischt. Wenn sie fliehen wollen, können und sollen sie das tun. Solange sie dort bleiben, wo sie sind, werden sie jedoch keine schöne Zeit haben:
Sonny: You’re making me very nervous, Richard.
Richard: Well you should be. If I were you, i’d get in that fuckin‘ car and i’d get out of here man. I’d gather them goonies and get whatever you’ve got comin‘ mate… ‚cause i’m gonna fucking hit you all.
Britisch, billig, gut
Dead Man’s Shoes ist ein Billigfilm mit einem Budget von rund 700.000 Pfund, der ohne fertiges Drehbuch mit allerhand Improvisation in nur drei Wochen gedreht wurde. Das gereicht dem Ergebnis keineswegs zum Nachteil, denn Regisseur Shane Meadows, der den meisten aus This is England bekannt sein dürfte, hatte offenbar eine ziemlich klare Idee von dem Film, den er drehen wollte, hatte mit Paddy Considine einen starken Hauptdarsteller, Co-Autor und Freund an seiner Seite und bewegte sich auf heimischem Terrain, weil er, wie für alle seine Filme, die englischen Midlands als Kulisse nie verlässt.
Szenisch sind die Midlands und Paddy Considine als Hauptdarsteller die tragenden Säulen: In allen Szenen, in denen Richard alleine oder mit seinem Bruder dargestellt wird, werden beruhigende, traumhafte Panoramaaufnahmen der Nottinghamshire eingesetzt. Wann immer wir Richard mit seinen Opfern in spe interagieren sehen, greift die Szenerie dreckiger und veramter Reihenhäuser des nordenglischen Drogenmilieus. Considine – „the best-kept secret in British movies“1 – trägt die Handlung, trotz starker Performances seiner Co-Darsteller, weitgehend alleine. Die Motivation seines Charakters bleibt in Teilen unklar und seine Guerillataktiken sind überraschend und beängstigend – und so entsteht in Teilen eher ein Horror- als ein Actionfilm. Seine Anziehungskraft beruht nicht darauf, dass die Selbstjustiz des Hauptdarstellers dem Zuschauer Genugtuung verschafft, wie in diesem Genre sonst üblich (Dexter, Law Abiding Citizen, Taken): Man hat einfach Angst vor ihm. Und wer das nicht hat, hat vermutlich auch keinen Puls. Für Considine war diese Rolle zumindest eines der Sprungbretter für eine inzwischen beachtliche internationale Karriere, die von Actionfilmen (The Bourne Ultimatum, Blitz) über geniale Comedyrollen (Hot Fuzz) reicht.
Was war da los vor sieben Jahren?
Doch noch einmal zurück zum Inhalt: Was mit Richards Bruder Anthony vor sieben Jahren geschah, lernen wir graduell in klug eingesetzten Schwarzweiß-Rückblenden. Ohne zu spoilern, lässt sich nur schwer ableiten, ob die Übeltäter jener Zeit wirklich die Behandlung „verdient“ haben, die Richard ihnen zuteil werden lässt. Verkompliziert wird die Lage durch die Warnung Richards: Alle wussten, was auf sie zukommt. Es gibt eine Szene zur Mitte des Films, in der es den Junkies beinahe gelingt, Richard zu töten. Mich nervte diese Szene zunächst, denn es wollte so gar nicht zu meinem Bild des unbesiegbaren Racheengels passen, welches ich aus anderen Filmen kannte. Und doch, je länger man darüber nachdenkt: Das ist kein normaler Rachefilm. Richard hat den Trieb, seinen Bruder zu rächen. Er wird diesem Trieb folgen, solange er kann. Aber ob es ihm gelingt, ist ihm ziemlich egal.
Dead Man’s Shoes ist ein packender Rachethriller mit starken Dialogen, einem großartig inszenierten Drogentrip, einem beängstigenden Hauptcharakter, einem verschärfenden Twist im späteren Verlauf und einem Ende, das so vermutlich nur die wenigsten kommen sahen. Fünf von fünf Fischen im Pott.
1 https://www.theguardian.com/film/2001/mar/11/features.review