Deadpool
Held, Hackfresse, Headshot
Deadpool ist vermutlich einer der kontroversesten Comic-„Helden“, die Marvel zu bieten hat. Ein großmäuliger, gewalttätiger, psychisch kranker Söldner, der zwar manchmal ein goldenes Herz offenbart, aber deutlich öfter mit dem Schniedel denkt. Da seine Superkraft außer tollen Reflexen und körperlicher Kraft auch einen wirklich leistungsstarken Heilfaktor umfasst, kann er sich erlauben, für einen guten Witz eine Kugel zu kassieren. Dummerweise geht diese Superkraft mit einem Äußeren einher, das an ein Ganzkörperbrandopfer erinnert – das allerdings nimmt Deadpool, wie alles im Leben, mit einer großen Portion Humor.
Alles zusammen macht ihn zugleich auch zu einem der beliebtesten Marvel-Helden. Und jetzt gibt es einen Film über ihn, einen Film, den die Fans ebenso sehnsüchtig wie angsterfüllt erwartet haben, denn sie haben noch den Film X-Men Origins: Wolverine in schmerzlicher Erinnerung, wo ihnen ein völlig entstellter (Wortspiel beabsichtigt) Deadpool präsentiert wurde, der mit der Comicvorlage so überhaupt gar nichts gemein hatte.
Schon die Werbekampagne zu Deadpool hat große Hoffnungen geweckt, denn sie wurde mit der gleichen anarchischen Freude am Humor und der kleinen Prise politischer Unkorrektheit gestaltet, die auch die Comics auszeichnet. Kann der Film diese großen Erwartungen erfüllen? Nein. Er übertrifft sie um ein Vielfaches!
Einige Warnungen vorweg: Ich bin ein ausgesprochener Deadpool-Fan. Vermutlich ist also jeder, der Deadpool nicht bereits für seine Comics liebt, gut darin beraten, ein paar Prozent Fanboy-Begeisterung abzuziehen. Der Film hat eine FSK-Freigabe von 16 Jahren, und das ist auch gut so, denn er zelebriert seine Kämpfe inklusive der Gewaltdarstellungen in einem Maße, das man an vielen Stellen zurecht als gewaltverherrlichend bezeichnen kann – das alles ist in Sachen Vorlagentreue ein Qualitätsmerkmal des Films. Wer aber zertrümmerte Knochen, abgehackte Gliedmaßen und brutale Schläge nicht sehen mag, ist in Deadpool falsch.
Was passiert?
Zuerst einmal ist der Film eine Origin-Story, erklärt also, wie aus dem Söldner Wade Wilson die Hackfresse Deadpool wird. Dann ist er (kein Scheiß!) eine waschechte Romanze, die sich in Sachen Romantikfaktor mit Klassikern wie Ghost messen kann. Allerdings ist die Liebegeschichte, wie alles an und in Deadpool, ein bisschen schräg und darum nicht so sehr für die erste Verabredung geeignet.
Wie passiert es?
Fangen wir mit dem Wichtigsten an, was ein Superheldenfilm haben muss: die Action. Die zahlreichen Kämpfe sind großartig choreographiert und gefilmt. Keine nervige Wackelkamera, keine hektischen Schnitte und eine konsequente und originelle Darstellung der verschiedenen Superkräfte (Heilfaktor, Superstärke, verbesserte Reflexe). Dabei wird natürlich auf den Computer zurückgegriffen, aber die Spezialeffekte betten sich so gut ein, dass sie die Action unterstützen und sich nie in den Vordergrund drängen.
Dann die Hauptfigur. Ryan Reynolds spielt Deadpool schlichtweg hervorragend und ist auch bereit, sich mit großer Ernsthaftigkeit selbst lächerlich zu machen, wie es bei so einer schrägen Figur wichtig ist. Mit einer teilweisen Animation vor allem der Augen macht der Film Deadpools Maske zudem so ausdrucksstark, dass Ryan auch darunter noch mit der Mimik spielen kann.
Und der Humor ist großartig. Wie in den Comics ist Deadpool sich darüber bewusst, dass er der Held eines Filmes ist und spricht darum auch schon mal direkt mit dem Publikum. Er referenziert auf andere Marvel-Filme, auf Ryan Reynolds bisherigen Superheldenfilme und ist darüberhinaus gespickt mit popkulturellen Anspielungen. Viele davon sind intelligent und fein gesetzt, auf der anderen Seite fehlen aber auch die bis über die Schmerzgrenze der Albernheit hinausgehenden Peniswitze nicht. Und gerade in diesem Spannungsfeld zwischen clever und vulgär bewegt sich Deadpool meisterhaft und schafft es immer wieder, überraschende neue Wege aufzutun, einen Scherz zu machen. Die Dichte guter Gags (visuell wie verbal) ist bei Deadpool höher als bei den meisten Filmen, die sich Komödie nennen.
Die Geschichte selbst ist über weite Teile Standard, wird aber auf raffinierte Weise mit Zeitsprüngen aufgelockert und besitzt einige Überraschungen. Sie macht sich aber beispielsweise gar nicht erst die Mühe, die „Bösen“ mit einer nachvollziehbaren Motivation auszustatten oder uns mehr über sie zu verraten, als dass sie böse sind. Unterm Strich ist die Geschichte der wohlgefällige Untergrund, auf dem sich die Figur Deadpool ausbreiten kann – und das ist auch völlig ausreichend.
Was fehlt?
In den Comics leidet Deadpool nach seiner Verwandlung unter schweren psychischen Störungen – wobei er selbst wahrscheinlich gar nicht sagen würde, dass er darunter leidet. Er besitzt zwei weitere Persönlichkeiten, die in seinem Kopf beständig mit ihm reden und erlebt häufig Halluzinationen. Das erste ignoriert der Film völlig, das zweite wird nur angedeutet. Darüber könnte man sich als Fan jetzt aufregen, aber erstens ist offensichtlich, dass diese beiden Elemente den Film nur verwirrend für den Zuschauer gemacht hätten, zum anderen bleibt der Film der Figur Deadpool so bis auf die (gebrochenen) Knochen treu, dass man ihm diese Abweichung leicht verzeiht.
Wir sprechen Deutsch …
Die Lokalisierung und Synchronisation des Filmes sind meisterlich gemacht. Es gab keinen Gag, bei dem ich vermutet hätte, dass er auf Englisch deutlich besser funktioniert, was für mich als Gagschreiber auf der einen und Übersetzer auf der anderen Seite ein absolutes Novum darstellt. Großes Kompliment an die so oft unbesungenen Helden des deutschen Kinos: die Übersetzer!
Fazit
Ich kann mich in den letzten zehn Jahren an keinen Film erinnern, der meine hohen Erwartungen so dermaßen übertroffen hat. An diesem Film ist wirklich alles großartig! Die schauspielerische Leistung, das Drehbuch, die Umsetzung, die Ausstattung, die Spezialeffekte, die Dialoge, die Action … mir fällt beim besten Willen nichts ein, was man an diesem Film hätte besser machen können. Allein der Vor- und Abspann zeigen mehr originelle Ideen, als andere ganze Filme enthalten. Wer also generell etwas mit Superhelden anfangen kann und sich von einem z.T. etwas derben Humor und blutiger Action nicht abschrecken lässt, muss meiner Meinung nach Deadpool sehen. Aber bitte keinen der typischen Marvel-Filme erwarten. Strumpfhosenpathos und vorgebliche moralische Dilemma sind hier nicht enthalten. Dafür Spuren von Nüssen.