Der Andere Blick im Odysseum Köln
Michelangelos Fresken der Sixtinischen Kapelle
Michelangelo. Fresken. Sixtinische Kapelle. Die meisten Menschen mit christlichem Hintergrund und durchschnittlichen Alters haben bei diesen drei Begriffen wahrscheinlich einen Bildausschnitt vor Augen: zwei Hände, die sich einander nähern. Die eine tendenziell schlaff, die andere sehr zielgerichtet mit dem Zeigefinger deutend. Vielleicht wissen diese Menschen auch noch, dass der zielgerichtete Zeigefinger zur Hand Gottes gehört, der dem noch reichlich müden Adam Leben einhaucht. Bildungsbürger können es sicherlich auch noch als eines von neun, chronologisch rückwärts erzählten Deckengemälden des Renaissance-Meisters benennen, als eines der zentralen Motive des Alten Testaments: Die Erschaffung Adams. Spätestens an dieser Stelle stößt allerdings die Fischpottsche Bildungssituation an ihre Grenzen. Grund genug, zwei Redaktionsmitglieder zu Der Andere Blick in das Kölner Mitmachmuseum zu senden, um mehr herauszufinden.
Ein Artikel von Britta und Fabian.
Nord- und Südwand
Und da standen wir nun, beide bewaffnet mit einem telefonhörerartigen Audiogerät, das uns durch die Ausstellung führen sollte. Jedes Ausstellungsstück sei mit zwei Nummern gekennzeichnet, hieß es bei der Übergabe der Audio-Guides, einer schwarzen für die Audiospur für Erwachsene und einer roten für Kinder. Natürlich entschieden wir uns für die erwachsene Variante und betraten den ersten Bereich der Ausstellung. Der zeigt neben einem Überblicksfoto des Kapellenraums die Wandgemälde der Nord- und Südwand der Kapelle. Die ausgestellten Reproduktionen wurden vom Vatikan höchst selbst erstellt, hängen an Gerüsten und stammen von unterschiedlichen Renaissance-Malern, die mit ihren Werken Geschichten aus dem Leben von Jesu und Mose erzählt hatten. Fast eine Viertelstunde dauert die Audioführung in diesem Bereich, schickte uns erst auf die Suche nach vier einzelnen Bildern, auf denen sich ein weißer Hund versteckt, um uns dann jedes der insgesamt vierzehn Motive einzeln vorzustellen.
Britta: Ich gebe es hier offen zu: Bereits nach diesen rund fünfzehn Minuten war ich ermüdet. Dass es vierzehn Motive waren, musste ich gerade nachlesen. Von wem sie stammen, habe ich längst vergessen. Hängengeblieben ist bei mir eigentlich nur der weiße Hund, den ich allerdings nur auf drei Bildern fand.
Fabian: Zwischen den überwiegend Ü60-Besuchern mit den Audiogerät ans Ohr gepresst von Bild zu Bild springen, den Anschluss verlieren und dann wieder zurück zu Bild Nr. 1 – der erste Eindruck von Der Andere Blick war nicht so berauschend. Natürlich hätte man auch auf Pause drücken können, aber noch fühlt man sich ja jung-dynamisch.
Dynamisch sind auf jeden Fall die Bilder der Renaissance-Meister Boticelli, Perugino, Signorelli, Ghirlandaio und Roselli, welche die Leben von Jesus und Moses schildern. Im sequentiellen Stil, denn auf einem Bild ist Moses mehrfach zu sehen: Wie er einen ägyptischen Aufseher erschlägt, wie er nach Midian flieht, seine Frau kennenlernt, etc. Zum Nachfolger Comic fehlen nur noch Panelrahmen und Sprechblasen.
Von Propheten und Sibyllen
Im zweiten Bereich, dem der Propheten und Sibyllen, hat jedes Gemälde seine eigene Nummer, wenngleich keine für Kinder. Die hätten wir an dieser Stelle gerne mal ausprobiert, erhofften wir uns von dieser Tonspur mehr Klärung für unsere offenen Fragen: Was zum Teufel sind Sibyllen? Warum sehen Männer und Frauen einander so ähnlich? Beide zeigen beeindruckende Schultern und Oberarme und zudem oft gar ähnliche Gesichtszüge. Und wie genau passen diese einzelnen Puzzleteile im Original eigentlich zusammen?
Britta: Spätestens hier hätte ich mir mehr Mitmachmuseum gewünscht. Stichwort Puzzle: Würde jedes Exponat ein Puzzleteil offerieren, das sich zu einem Gesamtwerk zusammenfügen ließe – die Sixtinische Kapelle wäre plötzlich sehr erlebbar. So aber wusste ich hier nicht mehr, wo im Raum ich mich eigentlich gerade befand.
Fabian: „Mamma, warum hat die Tante da auf dem Bild so dicke Oberarme?“ Diese Frage wird wahrscheinlich das eine oder andere mal fallen, wenn Kinder mit Eltern die Ausstellung besuchen. Leider hören wir im Audiokommentar dazu nichts. Dabei sind die muskulösen Körper – auch die der Frauen – mehr als auffällig. Eine moderne Erklärung dazu ist, dass Michelangelo auf Männer stand und deswegen alle seine Figuren Bodybuilderkörper haben. Eine andere, dass er nur ein paar Modelle hatte, weil nackt für Bilder zu posieren noch stark verpönt war. Und das waren halt zufälligerweise alles Renaissance-Schwarzenegger.
Die Eckzwickel
Eckzwickel nennen sich die Dreiecksfelder an den vier Ecken des Gewölbes, die heroische Ereignisse aus dem Alten Testament erzählen. Hier gab es dann wieder eine Kinder-Tonspur, die wir zu schätzen lernten. Im Gegensatz zum erwachsenen Audio-Guide bietet die Kinder-Variante immer zwei Teile, wobei der erste nah am konkreten Werk bleibt, während der zweite den Kontext beleuchtet. So erhalten auch Menschen mit überschaubarer Bibelkenntnis nötige Informationen, die der erwachsenen Information weitgehend fehlt.
Britta: Schieben wir den Stolz beiseite: Für mich war die Kindervariante gerade gut genug. Erst hier wurde mir bewusst, wie schwierig ich die erwachsene Variante empfunden hatte in Hinblick auf »den Besucher dort abholen, wo er steht«. Bibelfesten muss man die Figuren des Alten Testamentes wahrscheinlich nicht erklären, kunsthistorisch Vorgebildeten hingegen nicht jeden Aspekt der Renaissance-Malerei. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich bei der Mehrheit der Besucher beide Kompetenzen vereinen? Angaben wie »Im Vordergrund sitzt eine Frau mit weißem Oberteil und grünem Rock« braucht meiner Ansicht nach jedenfalls keiner. Interessanterweise verzichtet die Kinderversion auf die Art von Bildbeschreibung.
Fabian: An dieser Stelle verdient der Sprecher der Kindervariante, der Kabarettist und Komiker Zeha Schmidtke großes Lob. So lebendig wie er liest macht das Informationen aufnehmen richtig Spaß. Allerdings sollten die Informationen dann auch stimmen. Wenn Johannes Gutenberg als Erfinder des Buchdrucks vorgestellt, ist das nicht ganz korrekt. Der gute Mainzer hat die beweglichen Lettern erfunden und den Buchdruck revolutioniert. Da haben wir es wohl leider mit der weit verbreiteten Auffassung zu tun, dass Kinder mit historischen Details überfordert sind und deswegen nicht mit ihnen belastet werden sollten.
Der Andere Blick auf die zentralen Bildfelder
Der letzte Bereich nun stellt die neun zentralen Bildfelder dar. Hier erhält die Ausstellung dann auch ihren Titel. Der Andere Blick stellt die Perspektive auf den Kopf: Statt unterhalb des Deckengewölbes zu stehen und mit dem Kopf im Nacken nach oben zu schauen, stehen die Besucher auf einem Gerüst in 1,75 Meter Höhe und schauen auf die am Boden liegenden neun Reproduktionen herunter. Bevor man allerdings das Gerüst besteigt, geht es noch am Jüngsten Gericht, dem großen Altargemälde vorbei.
Britta: Am Tag danach erzählte ich einer Bekannten von dem Besuch im Odysseum. Sie erzählte mir, dass sie die Fresken schon einmal im Original gesehen hatte. Beeindruckt hatte sie vor allem das Altargemälde, auf dem Michelangelo in bester Hitchcock-Manier sich selbst dargestellt und mit dem er seine Frackigkeit gegenüber seinem Auftraggeber zum Ausdruck gebracht hatte. So hatte er reihenweise nackte Menschen dargestellt, die die Kirche als obszön empfunden hatte, so nicht im Altarraum haben wollte und deshalb in der Folge mit Feigenblättern übermalen ließ. Tja, vielleicht hätten wir hier den Audio-Guide doch anwerfen sollen. Stattdessen hatten wir uns über einige recht skurril anmutende, mehr oder wenige nackte Gestalten gewundert – und es ansonsten bei unserer Unkenntnis belassen.
Fabian: Wie in der sixtinischen Kapelle ist die Reihenfolge der Fresken eine Zeitreise, beginnend mit der nachsintflutlichen Szene der Verfluchung Hams bis zur Erschaffung der Welt. Die Kindervariante des Audioguides versucht so gut wie es eben geht, die stellenweise bizarren Bibelstellen zu erklären. So wird darauf eingegangen, dass Moses seinen Sohn Ham nicht nur verflucht, weil der ihn nackt gesehen hat, sondern dass da noch mehr dahinterstecken muss. Was, ist allerdings seit Jahrhunderten unter Bibelauslegenden umstritten. Außer Bibelgeschichten hören wir hier auch etwas über die Widersprüche zwischen dogmatischer Lehre, wissenschaftlichen Fortschritten und sozialen Veränderungen in der Renaissance, die nicht zuletzt in Reformation und Kirchenspaltung münden. Wobei hier vielleicht eine kleine katholische Spitze zu hören ist, wenn die Reformation in der kindgerechten Version als „großer Streit“ bezeichnet wird.
Unser Fazit
Nach gut zwei Stunden verließen wir die Ausstellung – reichlich ermüdet und leider nicht allzu viel schlauer als zuvor. Wem sollten wir den Anderen Blick empfehlen? Wer einen ausführlichen Blick auf Michelangelos Fresken werfen will, ohne nach Rom zu reisen, kann das in der Wanderausstellung tun. Allerdings ohne das Arrangement in seiner Gesamtheit erfahren zu können, die Decken- und Wandgemälde sind ja über die ganze Halle verteilt. Wer sich schon mit Renaissancekunst und Bibelmythologie auskennt, fühlt sich vielleicht vom Audioguide für Erwachsene angesprochen, lernt dann aber auch nichts neues. Familien sind beim Kinder-Audioguide gut aufgehoben, aber Renaissancekunst stinkt wahrscheinlich gegenüber möglichen Alternativen wie Dinosauriern und Star Wars gewaltig ab. Dazu kommt der Preis, ein Ticket kostet 16 Euro für Erwachsene, 8 für Kinder, Familien (2 Erwachsene, 2 Kinder) zahlen 44 Euro. Vielleicht ist Der Andere Blick nur etwas für knallharte Michelangelo-Fans, die wirklich alles gesehen haben müssen. Wobei auch denen im Grunde nichts neues geboten wird. Tja.
Die Ausstellung im Odysseum läuft noch bis zum 23. Oktober 2016.
Ein wunderbarer Artikel. Danke.
Die Fakten: Michelangelo – Der andere Blick.
Transparenz in der AWC Ausstellung im Odysseum Köln: Michelangelo – Der andere Blick.
Ingo Langner, der Ausstellungskurator, sagte am 15.6.16 in einem Interview bei Dom Radio: “… wir haben jetzt diese Bilder von der Decke geholt
… ja ist ja eine Länge von ungefähr 9 Metern”,
die Pressemitteilung der AWC Ausstellung im Odysseum vermerkt:
“…In nahezu originalgetreuer Größe werden die Deckenfresken wortwörtlich auf die Erde geholt”.
Die Fakten: die Fresken der Schöpfungsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle sind z.B. über eine Länge von 30 Meter gemalt worden.
Beide Informationen stimmen nicht, weder die 9 Meter von Langner, noch weniger die AWC Presse Aussage nach der die Fresken in “nahezu originalgetreuer Größe” zu sehen sind.
Ingo Langner, der Ausstellungskurator, sagte am 15.6.16 in einem Interview bei Dom Radio: “Ja, das haben wir wirklich geschafft. Es ist die komplette Decke”.
Die Fakten: die 14 halbkreisförmigen Lünetten mit den Vorfahren von Christi fehlen gänzlich in der Ausstellung. Das entspricht über einem Viertel des gesamten Sixtinischen Kapelle Decken-Gemälde von Michelangelo.
Fazit: die Fresken der Schöpfungsgeschichte sind in der Ausstellung wesentlich kleiner als im Vatikan und in der Pressemitteilung genannt. Auch fehlt über ein Viertel des Deckengemäldes gänzlich.
Der Eintritt Preis von 16 Euro stimmt immer noch.