Der Jesus-Deal von Andreas Eschbach
Rezension und Lesung der Fortsetzung von Das Jesus-Video
Ein 2000 Jahre altes Grab in Israel. Darin: Die Bedienungsanleitung einer Videokamera, die erst in vier Jahre auf den Markt kommen soll. So begann Das Jesus-Video, mit dem Andreas Eschbach uns 1998 an einer Jagd quer durch Israel teilhaben ließ. Denn: Wo eine Bedienungsanleitung, da auch das passende Gerät mit dem entsprechenden Datenträger. Und was soll darauf schon gespeichert sein, wenn nicht das Antlitz von Jesus Christus? 16 Jahre später schuf der Schriftsteller nun die Fortsetzung seines Erfolgsromanes. Da stellt sich direkt die Frage, was von einem solchen Sequel zu erwarten ist. Oder handelt es sich bei Der Jesus-Deal gar um ein Prequel? Bei Zeitreisen weiß man das ja nie so genau…
So manche wollten damals des Jesus-Videos habhaft werden, nicht nur der britische Ausgrabungsleiter Wilford-Smith. Auch Vertreter der katholischen Kirche hatten ihr erklärtes Interesse. Von Geheimdiensten ganz zu schweigen. Videojäger Nummer 1 und 2 aber waren der amerikanische Ausgrabungshelfer Stephen Foxx und der Medienunternehmer John Kaun, der die Ausgrabung finanzierte und sich seinerzeit auf Dauerkoks befand. Im ständigen Ringen um die Vorherrschaft bei der Jagd erhielten sie beide schließlich die Gelegenheit, sich das Video anzuschauen. Das hat mit beiden etwas gemacht. Während andere sich beim Betrachten fragten, wer denn bitte schön für die schlechte Ausleuchtung verantwortlich gezeichnet oder das miese Casting übernommen hatte, sahen Foxx und Kaun in diesen Aufnahmen den wahrhaftigen Jesus von Nazareth – und fühlten sich zutiefst berührt. Das Jesus-Video hat aus den beiden Ungläubigen keine Jünger gemacht. Aber es hat sie dazu gebracht, ihr Leben, ihre Absichten und ihre Ziele noch einmal grundlegend zu überdenken.
Von wahren, wiedergeborenen Christen
Hauptfigur in Der Jesus-Deal ist der zu Beginn der Erzählung vierzehnjährige Michael Barron. Als Zweitgeborener eines wahren, wiedergeborenen Christen, des wahrscheinlich reichsten Mannes der Welt Samuel Barron, steht für den Jungen außer Frage, dass ihm ob seiner Sünden eines Tages die Hölle droht. Sein Bruder Isaak jedenfalls käme nicht auf die Idee, den Zugangscode für Vaters Safe auszubaldowern. Doch ist es Isaak, der dem Verbot des Vaters trotzt und sich das im Safe befindliche Original des Jesus-Videos anschaut. Was Isaak in diesem Video sieht, entsetzt ihn derart, dass er seine Familie daraufhin für immer verlässt. Zuvor aber ringt er Michael noch das Versprechen ab, sich diese Aufzeichnung niemals anzuschauen. Zurück bleibt ein verschüchterter, höchst unsicherer Teenager, dem die Fußstapfen des Bruders viel zu groß erscheinen. Samuel Barron aber hat einen Plan, für den er dringlich einen ihm völlig ergebenen Erfüllungsgehilfen braucht: Samuel Barron will das Jesus-Video erst möglich machen! Denn noch ist die Videokamera gar nicht in die Vergangenheit gereist. Zusammen mit dem russischen Physiker Boris Demidow arbeitet Samuel Barron zudem an der Entwicklung einer Zeitmaschine, die Michael eines Tages in die Zeit von Jesus Christus befördern soll.
Die Krux mit den Zeitreisen
Auch wenn Michael erst einmal überhaupt keine Ahnung hat, was sein Vater mit ihm vorhat, genießt und fürchtet er gleichermaßen dessen Aufmerksamkeit. So zeigt Michael sich bemüht zu verstehen, was ihm der russische Physiker über Zeitreisen erklärt. Zeitreisen in die Vergangenheit, so erfahren auch wir, können niemals Einfluss nehmen auf Räume, über die Informationen vorliegen. Hui! Das ist aber auch eine Krux mit diesen Zeitreisen! Gut, dass sich die Zeit gegen Veränderung zur Wehr zu setzen vermag, das hatten wir ja schon bei Stephen King (Der Anschlag) gelernt. Auch andere Experten behaupten, dass es bei der Veränderung der bekannten Zeitlinie unweigerlich zur Entwicklung von Parallelwelten kommt – siehe zum Beispiel Zurück in die Zukunft. Andreas Eschbach aber erklärt uns, dass eine Veränderung nur möglich ist für Räume, über die keine Informationen vorliegen, und interpretiert hierfür das Gedankenexperiment von Prof. Erwin Schrödinger und seiner Katze eben nicht im Sinne der Viele-Welten-Theorie. Schrödingers Katze besagt, dass sich eine zusammen mit einem radioaktiven Präparat in einer Kammer eingesperrte Katze – entgegen jeder menschlicher Erfahrung – im Überlagerungszustand von tot und/oder lebendig befinden kann. Erst wenn einer die Kammer öffnet, entscheidet sich, welcher Zustand gilt. Bis zum Öffnen der Kammer aber ist alles möglich. Was auch bedeutet, dass durch eine Zeitreise in die Vergangenheit der Inhalt der Kammer ergänzt werden könnte durch – sagen wir – ein Metall von besonders hoher Dichte. Hui! Ich hatte nicht versprochen, dass das hier leicht wird, oder? Wie gut, dass Eschbach seinen Demidow eine Variante des Experimentes einem Vierzehnjährigen erklärt. Chance für uns Nicht-Physiker, da intellektuell auch noch irgendwie mitzuhalten.
Der Himmel hat seinen Preis
Nun dreht sich in Der Jesus-Deal nicht alles um die (pseudo)-wissenschaftliche Erklärung und Durchführung von Zeitreisen. Interessanterweise schlägt das über 700 Seiten starke Werk Wege ein, die zumindest ein Stück weit fast unverbunden wirken mit der ganzen Jesus-Geschichte. Hier kommt John Kaun wieder ins Spiel. Aus dem Mann, der einst den »Johngis Khan« gab, ist ein zurückgezogen lebender und liebender Familienvater geworden. Zusammen mit seiner Frau, der Ingenieurin Bethany, arbeitet er in der einzigen ihm gebliebenen Firma seines ehemaligen Multikonzerns und produziert Kartoffelchips. Um ihn webt Andreas Eschbach nun eine Geschichte, die ich so niemals erwartet hätte, die dem ganzen Buch aber eine wahrlich schön-traurige Tiefe gibt, ohne dabei zu irgendeinem Zeitpunkt kitschig zu sein. Von dem ehemaligen Tycoon bleibt durch die Konstruktion jedenfalls kaum etwas übrig, und das wiederum tut dem Werk richtig gut. Wenn schließlich Stephen Foxx in das Geschehen eingreift, haben sich die komplexen Zusammenhänge schon so weit entwickelt, dass es Zeit für ein wenig Action ist. Jesus-Video hin oder her: Ein Stephen Foxx kann im Zweifel dann doch nicht anders, als die ganz großen Weltthemen in die Hand zu nehmen. Was den Jesus-Deal als solchen ausmacht, erarbeiten letztlich doch andere. Michael Barron und John Kaun verstehen von Tiefgang nun mal erheblich mehr als der junge Heißsporn.
Das Fazit
Der Jesus-Deal ist wahrlich keine Fortsetzung im Sinne von Das Jesus-Video 2. Da, wo das erste Buch seinen Schwerpunkt auf die actionreiche Jagd gelegt hatte, liefert das zweite Hintergründe und Innenansichten. Weit deutlicher geht es auf das große Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen ein, stellt (fundamentalistisch) religiöse Einstellungen dar und wirft die sehr persönliche Frage nach dem eigenen Standpunkt auf. Dabei bezieht der Schriftsteller über den Verlauf der Geschichte hinweg immer deutlicher selbst Stellung und sorgt für Bewertungen, die er weniger über die konkrete Wortwahl denn über die Konstruktion realisiert. Bei den alternierenden Handlungssträngen von Michael Barron und John Kaun fällt es – auch dank des ein oder anderen Cliffhangers – sehr schwer, das Buch überhaupt aus der Hand zu legen. Gepackt von den philosophischen Fragestellungen rund um die physikalischen Betrachtungen zum Thema Zeitreise stellte die Lektüre für eine wenig Bibelfeste wie mich aber auch eine kleine Lehreinheit in Sachen Religionslehre dar.
Die Kölner Lesung von Der Jesus-Deal
Wenn man wie die Rezensentin Texte lieber im eigenen Tempo und in der eigenen vorgestellten Betonung rezipiert, sollte man sich von Hörbüchern und Lesungen besser fernhalten. Nur wenigen Schriftstellern ist es gegeben, ganz nebenbei auch noch derart großartige Vorleser zu sein, dass es Menschen wie mich mitreißt. Nun bieten manche Lesungen aber auch die Möglichkeit, dem Autoren Fragen zu stellen. Und dieser Teil einer Lesung – sofern er denn stattfindet – gefällt mir außerordentlich gut. Bei der Lesung am 13.10. in der Mayerschen Buchhandlung gab es diese Möglichkeit. Sehr wohl bewusst, dass es sich bei den meisten Fragen nicht um meine eigenen handelt, möchte ich hier einige jener, die sich auf das aktuelle Werk beziehen, exemplarisch wiedergeben. Den Reigen eröffnet und schließt jeweils eine Frage von mir. Alle andere stammen von interessierten Zuhörern.
Woher kommt die Begeisterung für den Superlativ: Der reichste Mann der Welt, Der beste Hacker der Welt, 1 Billion Dollar, 1 Trillion Euro?
Weil es interessant sei für die Erzählung: »Das klingt besser als der zweitreichste Mann der Welt oder der zweitbeste Hacker.«
Wie lange hat er für das Buch gebraucht?
An Der Jesus-Deal habe er ungefähr ein Jahr gearbeitet: »Schneller ging es nicht.« Für Der Herr aller Dinge habe er allerdings nur ein halbes Jahr gebraucht, obwohl es umfangreicher sei. Sein Tagesablauf: »Ich stehe morgens auf, dann gehe ich zu meinem Arbeitsplatz, dazu muss ich eine Treppe hochsteigen. Und dann schreibe ich, bis es abends dunkel wird.«
Wie lange war die Fortsetzung von Das Jesus-Video geplant?
Eine Fortsetzung wäre gar nicht geplant gewesen: »Ich wollte nicht die offensichtliche Fortsetzung schreiben. Auch wenn dem Verlag das bestimmt gefallen hätte: Das Jesus-Video 2, Das Jesus-Video 3…« Die Idee wäre ihm vor ein paar Jahren gekommen. Wobei er hoffe, dass niemand mit der Idee so gerechnet habe. »Es war schön, die Romanfiguren wiederzutreffen, wie bei einem Klassentreffen. Alle sind ein bisschen älter geworden, haben ein paar Falten mehr ihm Gesicht.«
Wie hat er für Der Jesus-Deal recherchiert? Gab es Kontakte zu Fundamentalisten?
Ja, er habe durchaus Kontakt zu Fundamentalisten gehabt. Auch zu solchen aus seiner Kindheit. Leider wäre er da nicht auf so viel Interesse und Gegenliebe gestoßen. Er selbst habe auch ein Problem mit dieser »Versicherungsvertreter-Mentalität« einiger Fundamentalisten. Er hätte aber sehr viel Literatur zu dem Thema studiert.
Wie steht er zur Verfilmung des Jesus-Videos?
»Die sogenannte Verfilmung…« Grundsätzlich sei es gut, ein verfilmter Autor zu sein. »Das ist, als ob man aus der Regional- in die Bundesliga aufsteigt. Scheißegal, wie der Film ist.« Insgesamt wünschte er sich, sie hätten »mehr aus dem Buch abgeschrieben«. Immerhin: »Lobend kann ich die Filmmusik erwähnen. Und die Technik.« Wobei der Film kein großes Budget gehabt hätte. Auch den Schauspielern könne er, bei all der Mühe, die sie sich bei zum Teil widrigen Bedingungen gegeben hätten, »nicht ernsthaft böse« sein.
Gibt es denn weitere Filmprojekte?
Filmprojekte gäbe es immer, es gäbe aber auch Geheimhaltungspflichten: »Wenn ich Ihnen Genaueres erzählen würde, müsste ich Sie alle töten.«
Warum ist Michael Barron zu Beginn der Erzählung 14 Jahre alt? Weil man ihm dann die schwierigen Zusammenhänge so erklären kann, damit auch wir Leser sie verstehen?
»Da haben Sie mich durchschaut!« Wobei es natürlich auch andere Gründe dafür gegeben hätte, dass er recht jung sein musste. Aber grundsätzlich wäre das eine Überlegung bei der Konstruktion gewesen.
Zum Schluss erklärte Andreas Eschbach uns noch: »Gäbe es ein Gesetz, dass Schriftsteller erst sterben, wenn sie keine Ideen mehr haben…« – die Schublade sei jedenfalls voll von Ideen.