Die Abenteuer des Robin Hood
Mit dem kooperativen Abenteuer Die Legenden von Andor ist Michael Menzel im Jahr 2012 quasi aus dem Nichts ein Welterfolg gelungen, der weit über die üblichen Vielspielerkreise hinaus bekannt geworden ist und mit ebenso vielen Auszeichnungen wie Erweiterungen und Fortsetzungen bis heute eine treue Fangemeinschaft hinter sich versammelt. Entsprechend hoch dürften die Erwartungen an Menzels neues, erneut kooperatives Spiel Die Abenteuer des Robin Hood sein, das im März beim Kosmos Verlag erschienen ist … und sich mit Pfeil und Bogen dagegen wehrt, in altbekannte Schubladen einsortiert zu werden.
Ein Gastbeitrag von Florian.
(Bewusst) verfehlte Schubladen und was ist eigentlich die Summe der Teile?
Es könnte so einfach sein: Ein wenig Worker-Placement hier, ein wenig Drafting da, schon steht die Rezension. Aber nein! Die Abenteuer des Robin Hood ist „anders“ – das dafür im bestmöglichen Sinne.
Möchte man dem Spiel dennoch ein Label aufdrücken, dann handelt es sich bei Die Abenteuer des Robin Hood wohl am ehesten um ein kooperatives Abenteuerspiel mit einer „offenen Spielwelt“.
„Offene Spielwelt? Also ist Robin Hood eine Art Rollenspiel?“
Nein. Gleichzeitig sind die Spielenden ungemein frei darin zu entscheiden, ob und wann sie die vielen Stationen rund um Sherwood Forest, Nottingham und Nottingham Castle auf dem liebevoll illustrierten und mit unzähligen Türchen bzw. in den Spielplan eingelassenen Plättchen und Zahlenkombinationen übersäten Spielplan aufsuchen wollen. Ebenso frei fällt die Bewegung der Charaktere Robin Hood, Little John, Maid Marian und Will Scarlet (Will … wer?) über das Spielbrett aus, die ganz ohne feste Felder auskommt.
„Wie bei einem Tabletop-Spiel mit Maßband?“
Klares Jein! Ja zur Bewegungsfreiheit, die nur von ein paar logisch einleuchtenden Hindernissen wie Wäldern, Burgmauern und Gebäuden eingeschränkt wird, Nein zum Maßband. Stattdessen werden 5 verschieden lange Holzfiguren aneinandergereiht, um die maximale Bewegungsreichweite einer Spielfigur zu ermitteln. An Anfang und Ende der so gebildeten Figurenkette stehen dabei stets zwei Figuren in Ruheposition. Die zurückgelegte Strecke dazwischen symbolisieren 2 kürzere und eine lange Figur in Bewegung, die beliebig aneinander angesetzt werden dürfen – sogar um Ecken. Wer seine Bewegung auf einem Feld mit Fragezeichen und Zahlencode beendet, darf die entsprechende Seite im enthaltenen Hardcover-Buch aufschlagen und je nach gespieltem Kapitel entsprechenden Passagen vorlesen.
„Aha! Also wie bei eine dieser alten Choose-Your-Own-Adventure-Büchern aus den 80ern!“
Hey, wer ist hier alt!? Aber ja, ziemlich genau so. Manchmal erfordern die Passagen weitere Entscheidungen, die die Spielenden gemeinsam treffen können, manchmal entspinnt sich der weitere Verlauf der Geschichte und manchmal bekommt ihr auch einfach nur einen nützlichen Gegenstand zugesteckt. Vielleicht hat der Händler am Wegesrand ja einen entscheidenden Hinweis für euch. Oder er bietet euch an Schwert an, das euch bei eurem Abenteuer gute Dienste leisten könnte? Vielleicht wird aber auch eines der vielen Plättchen auf dem Spielplan plötzlich gewendet und gibt einen neuen Ort frei, der euch sogar in den nachfolgenden Kapiteln erhalten bleibt.
„Wie bei einem von diesen Legacy-Spielen also, bei denen sich das Spiel mit jeder Partie verändert?“
Nah dran. Legacy-Spiele scheinen jedenfalls ein großer Einfluss für Die Abendeuter des Robin Hood gewesen zu sein, denn der Fokus des Spiels liegt eindeutig auf der erzählten Geschichte rund um Robins Bande von Geächteten und dem Entdecken neuer Spielelemente. Im Gegensatz zu Legacy-Spielen wird hier jedoch kein Material dauerhaft verändert oder wandert in die Tonne. Stattdessen werden sämtliche Entwicklungen und Fortschritte durch das Umdrehen bestimmter Plättchen dargestellt, die sich ganz einfach wieder zurücksetzen lassen, falls das Spiel noch mal gespielt werden soll.
„Klingt nach einer ungewöhnlichen Mischung. Funktioniert das denn?“
Und wie das funktioniert! Die Abenteuer des Robin Hood ist ein immersiver Spiele-Leckerbissen, der, wenn er einen mal gepackt hat, so schnell nicht wieder loslässt.
Brett, Buch, Beutel, Bogen – Go!
Schon bei Die Legenden von Andor bestand einer der größten Pluspunkte des Spiels darin, wie leicht es war, einfach loszulegen. Das damals verwendete Schritt-für-Schritt-Prinzip, das mit jeder Legende neue Spielelemente und Mechaniken einführte und so im behutsamen Tempo an der Herausforderung schraubte, ist auch in Die Abenteuer des Robin Hood mit von der Partie und funktioniert so gut wie eh und je. Auf gerade einmal einer doppelt bedruckte Seite sind die zentralen Regeln aufgeführt. Der Rest wird on-the-go innerhalb des ersten Kapitels erlernt, in dem zusätzlich zu den bereits erwähnten Spielfiguren allmählich auch ein Beutel, Holzwürfel und Holzscheiben eingeführt werden.
Die Scheiben des Schicksals und der Beutel des Betrugs (Echte Bezeichnungen abweichend)
Der Beutel kommt immer dann ins Spiel, wenn der Zufall die Zügel übernimmt. Das betrifft unter anderem die Zugreihenfolge oder Aktionen, die eine Probe erfordern – wie etwa das Überwältigen einer Wache.
Ob also gerade Robin oder doch Little John am Zug ist, wird über bunte Holzscheiben in den entsprechenden Figurenfarben bestimmt, die per Zufall aus dem Beutel gezogen werden. Dabei stete Gefahr im Nacken der Heldenbande: eine rote Scheibe, die für das unaufhaltsame Voranschreiten der Ereignisse steht und euch eurer Niederlage Sanduhrmarker für Sanduhrmarker ein Stück näher bringt. Habt ihr euch beim Gespräch mit einem Dorfbewohner gerade noch sicher geglaubt, kann es nach dem Ziehen der roten Holzscheibe so unter Umständen plötzlich in Nottingham vor Feinden nur so wimmeln – schließlich ist eure Bande von Geächteten beim Sheriff nicht gerade beliebt.
Um der Gefahr der Gefangenschaft zu entgehen, werdet ihr kaum umhinkommen, die eine oder andere Wache aus dem Weg zu räumen. Die erforderliche Aktion legt ihr mit Holzwürfeln ab, die während des Spiels ebenfalls in den Beutel wandern und von denen ihr bei einer Probe bis zu drei ziehen dürft. Lila Würfel, die meist ebenfalls durch die rote Holzscheibe, aber auch einige andere Ereignisse im Beutel landen können, stehen dabei für Fehlschläge, ein gezogener weißer Würfel reicht hingegen für einen Erfolg. Weiße Würfel erhält man vor allem, indem man „Kräfte spart“, also während einer Bewegung auf den Einsatz der längsten Spielfigur verzichtet. In Kombination mit dem meist knapp bemessenen Rundenlimit, einer stetig wachsenden Anzahl an violetten Würfeln und komplexeren Proben, kann das im Nullkommanichts zu verschwitzten Händen und blank liegenden Nerven führen.
Wiederspielwert? Volltreffer!
Habt ihr eure Chancen verblinzelt und der aktuelle Versuch ging in die Strumpfhose, startet das Kapitel einfach neu. Wer nun aber glaubt, mit den neu gewonnenen Informationen aus der ersten Partie leichtes Spiel zu haben, der darf sich auf die ein oder andere Überraschung gefasst machen. Wird ein Kapitel neu gestartet, werden für den zweiten Versuch nämlich teilweise neue Buchpassagen verwendet, die den Verlauf des Spiels maßgeblich verändern können. So könnte euch eine Person, die euch im ersten Durchgang einen entscheidenden Hinweis geliefert hat, im zweiten Anlauf mit einem wenig hilfreichen Gegenstand abspeisen. Diese kleinen bis größeren Änderungen sorgen dafür, dass sich nicht nur die einzelnen Kapitel extrem unterschiedlich spielen, sondern dass auch das erneute Spielen eines Szenarios einige unerwartete Wendungen mit sich bringt und ein neuer Durchgang stets motivierend bleibt. Und ist das letzte Szenario erst einmal erfolgreich bestritten, lockt auch schon ein zusätzlicher Spielmodus, der eure Spielegruppe vor neue, noch größere Herausforderungen stellt.
Der Schwierigkeitsgrad der insgesamt sieben Kapitel, die sich abhängig von einer im Spielverlauf getroffenen Entscheidung zeitweise sogar in zwei verschiedene Handlungsstränge aufspalten, bleibt dabei trotz steigernder Komplexität stets fair und immer im Bereich des Machbaren. Wer ein Kapitel verliert, weiß meist auch, woran es gelegen hat.
Spielehit mit leichten Abzügen in der B-Note
Leichter Einstieg, unverbrauchte Spielmechaniken und ein Spielbrett mit Wimmelbildfaktor und Adventskalender-Feeling, das Lust aufs Entdecken macht – alles eitel Sonnenschein also im Sherwood Forrest? Fast. Wäre da nicht das Problem mit den Plättchen. Denn damit die Bewegung der Figuren über den Spielplan reibungslos funktioniert, müssen die meisten Plättchen nach dem Herauslösen und Umdrehen wieder fest in den Spielplan gedrückt werden. Da einige Plättchen wie die Wachen sehr häufig von der einen auf die andere Seite gewendet werden, zeigen sich schnell erste Abnutzungserscheinungen am Material. Fingernägel sind zum Spielen jedenfalls dringend empfohlen, schützen aber auch nur bedingt vor unschönen Macken am Material. Für besonders Anspruchsvolle bleibt die erzählte Geschichte um Robin Hoods Kampf für Gerechtigkeit zudem vermutlich ein wenig sehr den altbekannten Themen und klassischen Motiven verhaftet. Die eine oder andere unerwartete Wendung hätte dem Spiel dann doch noch ganz gut getan.
Dem Spaß am Erkunden des Spielplans und den spannenden Spielmechaniken tut das jedoch keinen Abbruch. Die Abenteuer des Robin Hood ist ein außergewöhnliches Spiel für spielerfahrene Familien, die sich gerne gemeinsam gegen das Unrecht stellen und nach einer neuen Herausforderung suchen – und ein außergewöhnlich gutes ist es noch dazu! Wenn es da mal nicht zu einer Spiel bzw. Kennerspiel des Jahres-Nominierung reicht!
Mitspielende: 2 – 4
Alter: Ab 10
Spieldauer: 45 – 60 Minuten
Preis: ca. 50 €
Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar des Spiels vom Kosmos Verlag erhalten.
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