Die Flüsse von London − Wassergras von Aaronovitch, Cartmel, Sullivan
Auch als frisch gebackener Detective Constable der Metropolitan Police darf man offenbar immer noch auf Partys mit kiffenden Studierenden abhängen. Aber wenn die angebotene Ware „Werlicht-Gras“ genannt wird und bei DC Peter Grant fiese Halluzinationen hervorruft, dann muss vielleicht doch jemand verhaftet werden …
Ein Gastbeitrag von N. Balnis.
In der Urban-Fantasy-Reihe Die Flüsse von London erzählt Ben Aaronovitch die Abenteuer des Londoner Polizisten Peter Grant. Weil der junge Mann nicht so recht weiß, was gut für ihn ist, wird er eher versehentlich zum Zauberlehrling in der magischen Abteilung der Metropolitan Police, dem Folly. Anschließend verliebt er sich in die Flussgöttin Beverley Brook − ein echter Gefahrensucher. Diese Beziehung stellt sich im Laufe der Reihe entgegen aller Befürchtungen als relativ ungefährlich und ziemlich stabil heraus. Und so sind Beverley und Peter auch in Wassergras, dem sechsten Band der begleitenden Graphic Novels, ein Paar.
Zu Beginn der Geschichte stolpern Beverleys kleine Schwestern Chelsea und Olympia in einen Drogendeal und fordern prompt von den Dealern einen Tribut, der einer Flussgöttin würdig ist. Ärgerlich nur, dass die große Schwester auftaucht und das Cannabis sofort konfisziert, um es „auf angemessene Weise“ zu entsorgen.1 Und dank Beverley kommt auch Peter auf einer Party in den Genuss des „Werlicht-Gras“. Statt Freude und Entspannung spürt er allerdings nur Angst und Ohnmacht – und eine Spur von Magie. Scheinbar werden Magier*innen gefoltert, um diese perfekte Droge zu kreieren. Also macht sich Peter auf die Jagd nach der Quelle, der mysteriösen „Hoodette“.

Das sehr coole Cover von Wassergras ist keine Mogelpackung, innen geht es genau so glatt und elegant weiter. Und dieser kühle, perfektionistische Zeichenstil hat durchaus etwas für sich: An mehreren Stellen schenkt Lee Sullivan den Leser*innen sehr schicke Kompositionen, die auch gut als Filmplakate taugen würden. Aber nicht jedes Panel kann ein dramatisches Stillleben sein, und so hangelt sich das Auge von einem ausdrucklosen Gesicht zur nächsten eingefrorenen Kampfszene.2 Celeste Bronfmans „Geschichten aus …“ am Ende des Bandes kommen danach wie ein erfrischender Weckruf daher − Brian Williamsons etwas rauer, skizzenhafter Stil wirkt lebendig und charmant. Und auch Mariano LaClaustra haucht Peter Grant durch die sehr sorgfältig gezeichnete Mimik auf drei Panels mehr Leben ein als Sullivan auf allen Seiten davor.
Geschrieben werden die Comics von Ben Aaronovitch selbst, zusammen mit Andrew Cartmel. Dennoch unterscheidet sich der Erzählstil merklich von den Büchern: Im Gegensatz zu den Romanen werden die Graphic Novels in der dritten Person erzählt, ermöglichen also neue und andere Einblicke in die magische Welt des Folly und seiner Bewohner*innen. Schon allein dadurch stellen die Comics eine echte Bereicherung dar. Allerdings ist dieser Perspektivwechsel für einige Fans sicher auch der größte Haken an der Sache: Der trockene, selbstironische Ton von Peter Grants innerem Monolog macht die Bücher ja erst so liebenswert. Die Graphic Novels verzichten leider, von gelegentlich eingestreuten Gedanken einmal abgesehen, vollständig auf diesen laufenden Kommentar. Und natürlich lässt sich auf 128 Seiten nicht so eine verwickelte Geschichte erzählen wie in den Romanen der Rivers-of-London-Reihe. Spannend liest sich Wassergras natürlich trotzdem.
Insgesamt bleibt aber ein etwas ambivalentes Gefühl zurück. Vermutlich wäre der Bruch zwischen Roman und Graphic Novel weniger stark, wenn ich nicht alle Romane auf Englisch, Wassergras aber auf Deutsch gelesen hätte. Ob ich die englischen Comics aber noch nachhole, hängt wohl davon ab, ob sie einmal doch für das Verständnis der Romane notwendig werden. Bisher ist das trotz der dichten Verflechtungen zwischen beiden Reihen nicht der Fall. Und das ist ja auch sehr schön: Wer Spaß an World Building hat und von der Magie Londons einfach nicht genug bekommt, der wird mit den Graphic Novels gut versorgt. Und wer Comics albern findet, muss sich keine Sorgen machen, etwas Wesentliches zu verpassen.
TL;DR:
Für wen „Wassergras“ etwas ist: für Fans amerikanischer Comics. Für Menschen, die Rivers of London für die verrückten Gestalten und mystischen Welten lieben. Für alle, die in Herr der Ringe freiwillig auch die Anhänge gelesen haben. (Und natürlich für alle, die die ersten fünf Bände gelesen haben.)
Für wen „Wassergras“ nichts ist: Für Fans japanischer Comics. Für Menschen, die Rivers of London wegen Peter Grants innere Stimme lieben.

Ben Aaronovitch, Andrew Cartmel und Lee Sullivan: „Die Flüsse von London − Wassergras“. Stuttgart (Panini Verlags GmbH) 2020, 128 Seiten, 17,- €
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der deutschsprachigen Übersetzung des Buches vom Verlag erhalten.
- Wer einmal erwachsen war, weiß, was das heißt. ↩
- Ich gebe zu, dass ich nicht mit Spiderman und Superman, sondern mit Asterix und Gaston aufgewachsen bin – um mich dann mit Anlauf in die Welt des Manga zu stürzen. Wer einmal gesehen hat, wie viel Dynamik in einer schwarzen Fläche stecken kann, der findet meines Erachtens nur schwer den Weg zurück in die Welt klassisch westlicher Comics. ↩
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