Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster
In Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster von John Scalzi stellt sich die Frage, wer die größeren Monster sind: Titanische Riesenkreaturen aus einer anderen Dimension oder Internetmilliardäre.
Kaijū (japanisch 怪獣, wörtlich: „seltsame Bestie, rätselhafte Bestie“) ist ein japanischer Begriff, der sich auf fremdartige Kreaturen bezieht, besonders Riesenmonster, wie sie in japanischen Fantasiefilmen, -serien (Tokusatsu) und Anime dargestellt werden.
– irgendwer in der deutschen Wikipedia
Jamie Gray ist ziemlich am Arsch: Job verloren, die Coronapandemie bricht aus und die einzige Job-Option ist Essen ausliefern. Aber dann trifft Jamie einen alten Bekannten, der spontan einen gut bezahlten Job anbietet. Bei der GEK sei man ein paar Monate etwas abgelegen stationiert und setze sich für den Schutz von großen Tieren ein. Jamie hat nicht viel zu verlieren und sagt zu.
Nukleare Riesenviecher
Ein paar Wochen später findet sich Jamie als einzige Person ohne Doktortitel in einer Paralleldimension wieder, die von gigantischen Riesenmonstern bevölkert wird: Den Kaijū. Denn seit den Fünfzigern halten die Regierungen der Welt eine der größten Gefahren der Nutzung von Atomenergie geheim. Reaktoren und Bomben schwächen die Grenze zwischen unserer Dimension und eben jener der Kaijū. Außerdem haben die Riesenviecher auch Hunger nach Nuklearenergie, um ihren gewaltigen Energiebedarf zu stillen. Das klingt unglaublich abgefahren, wird aber von Scalzi hübsch erklärt – aber nicht zu genau. Und mehr braucht man ehrlich gesagt auch nicht zur Lektüre.
Kaijū sind in diesem Buch nicht einfach nur riesige Tiere sondern wandernde (manchmal fliegende) Mischungen aus Ökosystem und Atomreaktor, bevölkert von großen bis sehr großen Parasiten. Selbst die Expert*innen der GEK – also der Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster – können noch nicht alle Funktionsweisen ihrer Schützlinge erklären. Das ist aber auch nicht nötig, die Hauptsache in Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster sind die hochspannenden Actionszenen. Im neuen Job untersucht Jamie die Kaijū aus nächster Nähe und hilft sogar dabei, sie in Paarungslaune zu versetzen.
Unbeschreiblich groß
Allzu genau beschreibt Scalzi die Kaijū nicht – sie haben Mäuler, Kloaken, Parasiten, Flügel und Augen, wobei letztere anscheinend nicht so am Körper fixiert sind wie wir es von irdischen Lebewesen kennen. Trotzdem reicht das vollkommen aus, um sie sich vorzustellen. In dieser Hinsicht ist es wie bei Lovecraft: Ist die Beschreibung zu genau, wird es lächerlich. Und überhaupt, mit Beschreibungen knapst Scalzi in Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster. Protagonisten stellt er meistens nur mit Namen vor, den Rest muss sich das Lesepublikum selbst imaginieren. Aber auch das funktioniert erstaunlich gut und sorgt für einen flugsen Lesefluss, der vor allem von den Dialogen und der Action getragen wird.
So führt Scalzi die Lesenden immer tiefer in die Welt der Riesenmonster. Teilepisoden und Begebenheiten folgen einander und bauen dabei den Plot des Buchs fast unmerklich auf – bis wir zum Schluss damit konfrontiert werden, dass die schlimmsten Monster eben nicht hochhausgroße Kaijū sind. Damit setzt Scalzi auf das höchst unterhaltsame Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster noch das i-Tüpfelchen der Sozialkritik. Kaijūgroßes Lese-Kino!
Nachwort: Mr. Gray? Ms. Gray? Mx. Gray?
Ich hatte das Buch vor kurzem erst auf Englisch gelesen und mich gefragt, wie die Übersetzung ins Deutsche mit dem besonderen Kniff umgeht, dass Jamies Geschlecht im ganzen Buch nicht definiert wird. Scalzi hat Jamie nicht explizit nichtbinär geschrieben – es gibt nichtbinäre Charaktere im Buch – sondern bewusst offen gehalten, ob sein*e Protagonist*in männlich, weiblich oder nichtbinär ist. Das ist, so weit ich das bei meiner angefangenen Lektüre beurteilen kann, tatsächlich so weit beibehalten worden, wie es die deutsche Sprache ohne Sonderzeichen hergibt. Es funktioniert nur, wenn beim Lesen das generische Maskulinum wirklich generisch wahrgenommen wird. „Ich bin Jamie, ihr Auslieferator1“ geht leider nur als undefiniert durch, wenn die männliche Endung geschlechtsneutral gelesen wird. Und ob das möglich ist, wird ja seit Jahren diskutiert.
John Scalzi: „Die Gesellschaft zur Erhaltung der Kaijū-Monster“. 352 Seiten, Bielefeld (Splitter) 2024
Fischpott-Disclaimer: Wir haben vom Verlag ein Rezensionsexemplar des Buches erhalten.
- Ja, Scalzi hat im Buch eine Anspielung auf Neal Stephensons Snow Crash eingebaut, die gleich auf mehreren Ebenen aufgegriffen und diskutiert wird. ↩