Die Kunst des Nicht-Spielens
Etwas andere Computerspiele
Computer- und Videospiele haben schon immer ein sehr breites Unterhaltungsspektrum unter einen Hut gebracht. Von den Anfängen mit Pong, Pac-Man oder Space Invaders bis hin zu modernen Serien-Blockbustern wie Tomb Raider, Call of Duty oder Grand Theft Auto wollten die Macher stets den Spieler unterhalten und im besten Fall Emotionen hervorrufen – und sei es nur der Frust über den virtuellen Tod (und dem einen oder anderen Markstück in der Spielhalle). Es gab dabei aber immer schon Spiele, die mehr wollten. Mehr geben. Mehr sind. In diesem kurzen Artikel stelle ich einfach mal vier Spiele vor, die in erster Linie eigentlich genau das nicht sind: Nur ein Spiel.
Dabei habe ich für diesen Artikel ein paar Kriterien zusammengestellt. Zum einen muss das Erlebnis im Vordergrund stehen. Dann sollte die Interaktion mit dem Spiel eher im Hintergrund liegen. Es dürfen in dem Sinn keine komplexe Steuerung, keine richtigen Rätsel oder gar Kämpfe in dem Spiel vorkommen. Und es darf auch, und darauf kommt es hier vor allem an, eigentlich gar kein Spiel sein.
Aber wo beginnt ein Spiel und wo hört es auf? Ein gutes Beispiel ist The Graveyard (Entwickler: Tale of Tales, erhältlich hier: oder bei Steam). Man steuert hier sehr langsam und sehr schwerfällig eine alte, am Stock gehende Dame über einen Friedhof. An einer Kapelle setzt man sich auf eine Bank, hört sich einen Song an und geht wieder zurück. Das alles in recht unspektakulärer Schwarz-weiß-Optik. Wenn man das Spiel kauft und nicht die kostenlose Demo spielt, gibt es noch die Möglichkeit des eigenen Todes am Ende. So oder so ist das Erlebnis nach ungefähr 5 Minuten vorbei.
Jetzt fragt sich manch einer natürlich: Wozu sollte ich dafür meine Zeit oder gar mein Geld hergeben? Was genau habe ich davon? Im Fall von The Graveyard eigentlich nicht viel, außer die Chance über genau das nachzudenken: Das Leben, den Tod, dem Sinn der Nutzung seiner Zeit auf diese oder andere Art. Ist es jetzt sinnvoll, sich mit Online-Rollenspielen zu beschäftigten? Ist es sinnvoller stattdessen öfter mal Sport zu machen? Muss man, um sein Leben zu leben verreisen, auf Süßigkeiten verzichten (oder erst recht welche essen)? Antwort hierauf gibt es in The Graveyard sicher nicht, aber Raum, das Erlebte sacken zu lassen und nachzudenken. Oder eben auch nicht.
Kommen wir jetzt aber mal zu den versprochenen 4 Spielen. Erhältlich sind diese unter anderem bei Steam und kosten jeweils unter 20 Euro.
The Stanley Parable (von Galactic Cafe)
Angefangen als Mod für Valves Source Engine ist dieser Titel Ende 2013 auch für PC (Windows und Mac OS X) als eigenständiges Spiel erschienen. Man spielt den Bürohengst Stanley. Dieser sitzt in seinem Büro an seinem Schreibtisch und drückt auf seiner Tastatur Tasten, die auf seinem Bildschirm angezeigt werden. Eines schönen Tages werden aber keine Befehle mehr auf den Monitor geworfen und genau hier setzt das Spiel ein.
Besonderes Merkmal der Stanley Parable ist, dass jede Aktion von einem Erzähler kommentiert wird. Egal was man macht, es wird kommentiert. Meist ein wenig vorausschauend, manchmal auch hinterfragend oder ironisch. Und es wird auf die Aktionen des Spielers eingegangen. Wenn der Erzähler gerade beginnt zu sagen, dass Stanley beschließt sein Büro zu verlassen, um zu schauen was los ist kann man auch einfach die Tür zu machen. Sofort schwenkt der Ton des Erzählers um und er ergänzt „Aber Stanley konnte einfach nicht den Mut aufbringen, durch seine Tür das Büro zu verlassen“. Das ist jetzt nur ein Beispiel, das Spiel geht teilweise auf sehr lustige Art auf die eigenen Aktionen ein. Ein wirkliches Ziel gibt es nicht, eher viele Wege zu vielen Zielen. Man kommt an Weggabelungen, kann einmal sogar in einen Abgrund springen, kann diesen oder jenen Weg gehen und egal was man macht, der sehr gute englischsprachige Erzähler geht auf die Aktionen ein, versucht einen auf einen anderen Weg zu führen oder gibt auf und kommentiert einfach weiter.
Dabei habe ich mich dabei ertappt, erst einmal genau das Gegenteil von dem zu machen was ich machen sollte. Oder sollte ich genau das Gegenteil machen, indem mein Handeln vorhersehbar ist? So oder so habe ich irgendwann eine Art Ende erreicht und kann das Spiel sofort neu starten. Und all die anderen Wege ausprobieren. Und dabei entdecke ich immer neue Optionen und will auch wissen, was hier noch alles versteckt ist. Und ob es noch mehr Enden gibt. Und genau das macht The Stanley Parable aus. Die Steuerung ist dabei einfach, ich kann in alle Richtungen gehen, mich drehen und per Mausklick Aktionen auslösen (Türen öffnen zum Beispiel). Das war’s. Und mehr braucht es auch nicht.
Nach ungefähr 2 Stunden hat man dann alles gesehen. Wer sich jetzt noch unsicher ist: Es gibt eine kostenlose Demo, die gar nichts mit dem Spiel zu tun hat aber einem das Spiel auf eine ganz eigene Art erklärt. Zum freien Download.
Dear Esther (von Chinese Room)
Ebenfalls als Mod für die Source Engine entwickelt erschien 2012 Dear Esther als eigenständiger Titel. Man befindet sich auf einer nicht näher genannten Insel und muss einem meist vorgegebenen Pfad folgen. Dabei findet man immer wieder Fragmente von Briefen beziehungsweise Notizen und diese werden dann von einem Erzähler vorgetragen. Die Insel ist dabei absolut schön gestaltet, es wiegen sich Binsen am Wegesrand, die Natur ist eher rau, es wird im Laufe des Spiels dunkel. Man geht dabei bergauf und bergab über die Insel, entdeckt unter anderem ein Schiffswrack und diverse Höhlen und lauscht der Stimme des Erzählers und der sehr atmosphärischen Musik.
Dabei erschließt sich einem nach und nach die Geschichte eines persönlichen Dramas, dessen Ende man sich unaufhörlich nähert. Und man denkt über den Sinn des Gehörten nach. Gerade die sehr stimmige Optik und das jenseits der Zivilisation befindliche Setting haben mir sehr gut gefallen. Wie Abendspaziergang irgendwo am Meer, wo man mal die Tücken des modernen Lebens hinter sich lassen kann und sich ganz auf den Weg vor sich und die Umgebung um sich herum konzentrieren kann.
Mehr passiert allerdings auch nicht. Das Spiel speichert an- und ab automatisch zwischen und ist nach ungefähr 100 Minuten vorbei. Dear Esther hat mir gut gefallen und ich kann es jedem mit einem Faible für Philosophie, Geistergeschichten und stimmiger Optik sehr empfehlen.
Gone Home (von The Fullbright Company)
Stellt euch vor, ihr kommt nach einem längeren Trip in Übersee wieder nach Hause und es ist niemand da. Genau das passiert der Protagonistin in Gone Home. So beginnt das Spiel auch vor einer verschlossenen Haustür und einem kleinen Rätsel: Wie komme ich jetzt nur ins Haus? Da es abends ist, erwartet mich erst einmal auch ein eher dunkles Gebäude mit diversen Räumen und insgesamt 3 Stockwerken (Keller, Erdgeschoss, 1. Etage). Man kann dabei nicht nur herumgehen, sondern auch diverse Schubladen, Schranktüren oder Kisten öffnen und viele Gegenstände aufnehmen und näher anschauen. Und natürlich Lichtschalter betätigen.
Nach und nach findet man über diverse Schriftstücke heraus, wie es der eigenen Familie in den letzten Monaten (beziehungsweise Jahren) ergangen ist. Das Spiel ist dabei sehr linear, wenn eine Tür verschlossen ist muss man erst mal den Schlüssel finden, manchmal entdeckt man auch Hinweise auf Geheimgänge und öfter kann man Musikkassetten mit der Musik einer bestimmten Garagenpunkband anhören. Das Spiel fängt dabei sehr gut eine Stimmung der 1980er und frühen 1990er Jahre ein. Man findet Hinweise auf damalige Nintendo-Spiele, der Vater hat offenbar fiktive Bücher über JFK geschrieben und die Schwester hat sich mit einem Mädchen aus der Schule angefreundet. Und viele Details aus Briefen oder Tagebüchern entdeckt man auch in den Räumen des Hauses wieder.
Gone Home ist ein sehr stimmungsvoller Titel, der einem nach und nach eine sehr schöne Geschichte erzählt, die sich vor allem beim Spielen entfaltet. Das Spiel hat vor kurzem den Preis für das beste Videospieldebut der British Academy of Film and Television Arts (BAFTA) gewonnen. Nach ungefähr zwei Stunden hat man aber auch alles gesehen. Zu erwerben ist Gone Home auf der eigenen Website für 19,99 US-Dollar.
Go! Go! Nippon (von Overdrive/MangaGamer)
Zum Schluss noch mal was komplett anderes. Go! Go! Nippon – My First Trip to Japan ist eine sogenannte Visual Novel. Also eine durch Bilder und Musik untermalte Geschichte. Davon gibt es so einige, vor allem im Bereich der Dating-Simulationen, aber auch die Phoenix-Wright-Spiele könnte man in dieses Genre stecken. Man klickt sich meist durch viele Dialoge, trifft Entscheidungen und beeinflusst damit das Ende der Geschichte. Das ist prinzipiell hier nicht anders, nur dass Go! Go! Nippon dabei auch noch vor allem ein interaktiver Reiseführer für Japan sein will.
So gibt man direkt am Anfang neben seinem Namen auch den möglichst aktuellen Umrechnungskurs von Yen in Euro (oder Dollar) ein. Danach ist man auch schon am Flughafen in Tokio. Man will zwei Chatfreunde namens Makoto und Akira treffen und vor allem seinem Lebenstraum, einmal nach Japan zu fliegen, nachgehen. Natürlich stellen sich Makoto und Akira als zwei hübsche Anime-Mädels heraus, die auch noch allein im Haus der Eltern wohnen. Aber Stopp, natürlich gibt es noch eine Romanze, aber hier geht es wirklich in erster Linie darum, Japan kennenzulernen.
Damit sich die Interaktion auf ein Minimum beschränkt, kann man die ganzen Texte auf Autopilot stellen und auch die Geschwindigkeit einstellen. So kann man eigentlich die ganze Zeit zuschauen und an sehr wenigen Stellen auch mal entscheiden, was man jetzt essen will oder wohin es als Nächstes geht. Dabei stehen einem sechs Reiseziele in Tokio zur Verfügung, von denen man im ersten Durchgang drei schafft. Dann geht es noch nach Kyoto und zu einem weiteren Ziel, abhängig davon, bei welchem der beiden Mädels man besser ankommt. Das ist von der Auswahl der Ziele abhängig, eines der beiden ist immer als Reiseführer dabei und das Mädchen, das man öfter dabei hatte, kommt am Ende zum letzten Ziel mit. Da man alle gesehen Szenen auch wegdrücken beziehungsweise vorspulen kann ist das aber kein Problem, ich hab das Spiel einfach zweimal durchgespielt.
Gut fand ich, dass man wirklich recht viel über Japan lernt. Wie fahre ich Zug, wie benutze ich die Suica-Geldkarte, wo gibt es überall Toiletten, darf ich Ramen schlürfen, was heißt die Endung „-shima“ (Insel), wie sicher ist Japan abends, was ist japanische Pizza, ja, hier lernt man wirklich einiges. Und die Kosten für Zugfahrten oder Eintrittspreise werden auch immer eingeblendet. Wer will kann auch japanische Texte zusätzlich zu den englischen Texten zuschalten. Wer also gern mal nach Japan will bzw. einfach mal was über Japan lernen will und dabei auch noch gut unterhalten werden will, kann Go! Go! Nippon! auf jeden Fall mal spielen.
Das Spiel kommt in sehr süßer Anime-Optik daher und hat auch wirklich mitreißende (wenn auch generische) Musik. Ich hab 5 Stunden gebraucht um es zwei Mal durchzuspielen, dank der Vorspulfunktion ist man aber durch die bereits bekannten Stellen in Zeiten unter einer Minute durch. Go! Go! Nippon! bei Steam.
So, ich hoffe, ihr seid ein wenig neugierig geworden und wagt den Blick über den Monitorrand.
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