Die Möbius Affäre
Ein Spionagefilm für Frauen
August Ferdinand Möbius war ein Leipziger Mathematiker und Astronom. Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieb er erstmalig die zweidimensionale Struktur, die nur eine Kante und eine Oberfläche hat: das Möbiusband. Eine solche Struktur nennt sich auch nicht-orientierbar, weil man bei ihr zwischen oben und unten oder innen und außen nicht unterscheiden kann. Als Objekt ist das Möbiusband für jedermann leicht herzustellen: Man nehme einen Papierstreifen, verdrehe ihn der Länge nach um 180 Grad und klebe die Enden zusammen. Als Grundlage für einen Film hingegen erscheint dieses Teilgebiet der Mathematik eher schwierig: Für manche ist es sicherlich ein aufregendes Gedankenspiel, für alle anderen wirkt es wie intellektueller Scheiß.
Liebe in der Welt der ausspionierten Hochfinanz
Vergessen wir also den Titel des aktuellen Kinofilms des französischen Regisseurs Éric Rochant, der hier auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Schauen wir lieber auf das, was dieser Spionagethriller tatsächlich ist: ein netter Liebesfilm, der in der Welt von Hochfinanz und Geheimdiensten in mondäner Szenerie angesiedelt ist. Grégory Lioubov (Jean Dujardin) arbeitet für den russischen Geheimdienst FSB (das ist der Nachfolger des KGB – ständige Neubenennung hat in Russland große Tradition). Objekt seines Interesses ist der russische Oligarch Ivan Rostovski (Tim Roth), der mit seiner monegassischen Bank strafwürdige Finanzgeschäfte betreibt. Um an belastendes Material heranzukommen, macht sich Lioubovs Team an die amerikanische Finanzexpertin Alice Redmond (Cécile de France) heran. Maßgeblich am Lehman Brothers Bankrott und damit an der weltweiten Finanzkrise beteiligt, hat sie keine Chance mehr, in den USA zu leben und als Traderin zu arbeiten. Nun soll sie in Monaco Rostovski von sich und ihrer hohen Kunst der Geldwäsche überzeugen und als Gegenleistung die Rehabilitation durch die amerikanischen Behörden erhalten. Dass Alice mit diesen längst kooperiert, ahnen die russischen Geheimdienstler allerdings nicht. Der CIA hingegen gefällt die Idee, nun eine Doppelagentin in ihren Reihen zu wissen. So lassen die Verantwortlichen den Dingen ihren Lauf. Zu diesem Lauf gehört es auch, dass der eigentlich als Top-Spion bekannte Lioubov auf voller Linie versagt. Statt seinen Mitarbeitern zu vertrauen und sie ihre Arbeit machen zu lassen, mischt er sich ein und wirft seinen Blick auf die frisch rekrutierte Alice. In einem schicken Club, der keinen geringeren Namen trägt als »Destiny«, schafft er es nicht, dies von ihr unbemerkt zu tun. Alice schaut zurück. Mit der Folge, dass sich beide unsterblich ineinander verlieben.
Der Spion, den die Frauen lieben
Klingt zum Davonlaufen blöde? Ist es aber nicht. Tatsächlich ist es die Liebesgeschichte, die den Film sehenswert macht. Wer von einem Spionagefilm Action im Sinne eines »Mein Name ist Bond. James Bond.« erwartet, wird von der Möbius Affäre definitiv enttäuscht. Abgesehen von einer Kampfszene mit Todesfolge in einem Aufzug kommt der Film eher gemächlich daher. Die relativ verwirrende Doppelspionage-Nummer wird dabei so ausführlich erklärt, dass auch Zuschauer noch mitkommen, deren IQ für Fragestellungen der Differentialgeometrie nicht ausreicht. Ich selbst kam noch nicht einmal durcheinander, obwohl der Film neben der Doppelspionage auch noch ständig mit doppelten Namen spielt (Lioubov nennt sich auch Moïse; Codename und Pronomen für Alice sind maskulin) – dabei kann ich mir noch nicht mal im wahren Leben Namen merken. Zu diesem Erzähltempo hätte mehr Action einfach nicht gepasst.
Ohnehin strotzt Lioubov nicht gerade vor offensichtlich vorgetragener Top-Spion-Kompetenz. Selbst seine Mitarbeiter machen sich über ihn und seine lapidaren Anweisungen lustig – wie zum Beispiel, bei der Beschattung die Augen offen zu halten. Umgekehrt hält Lioubov aber auch nichts von ihren Fähigkeiten. Insgesamt ergibt sich so schnell der Eindruck, dass diese FSB-Einheit eine echte Gurkentruppe ist. Erst als der einstig jugendliche Verbrecher, der von einem hohen Tier des FSB vor einem Leben im Knast bewahrt wurde, alle Regeln hinter sich lässt, zeigt sich seine wahre Kompetenz: Sie liegt im Täuschungsspiel. Wenn er sich Alice mit melancholischem Blick als Autor vorstellt, der Ärger mit seinem Verlag hat, wirkt er zum ersten Mal glaubhaft und ganz bei sich. Gleichsam erkennt er aber auch: »Ich glaube, ich bin im Begriff, ernsthaft zu versagen.«
Kitsch as kitsch can?
Alice durchlebt einen vergleichbaren Wandel: Die ruchlose Traderin, die von ihrer Beteiligung an der großen Finanzkrise mit stolzer Begeisterung erzählt und jederzeit mit denselben miesen Wetten ganze Staaten über die Finanzklinge springen lassen würde, entwickelt sich unter seinem Blick zu einer sympathischen, offenherzig wirkenden, Liebe und Halt suchenden Frau. Eine »Liebe auf den ersten Blick«-Szene so glaubhaft umzusetzen, halte ich genauso für eine reife Leistung wie die sich anschließende Bettszene. Tatsächlich kann ich mich kaum erinnern, schon einmal eine derart innige Liebesszene gesehen zu haben. Regisseur Rochant sagt dazu, dass er mit der Art des Liebesaktes etwas über ihre Beziehung verraten wollte, über ihre Intimität, die alles Nachfolgende beeinflusst. Und das ist ihm gelungen. Auch wenn beide sich weiterhin ob ihrer Identitäten und Absichten belügen, bleibt keine Frage offen in Hinblick auf ihre Passung. Dem Gefühl, dass da zwei füreinander geschaffen sind. Wem das zu kitschig ist, sollte diesem Film unbedingt fernbleiben. Man muss vielleicht Frau sein, um sich an den Aspekten dieser Beziehung erfreuen zu können und sie eben nicht als Kitsch zu verstehen. Ohne dieses Liebesspiel jedenfalls wäre die Möbius Affäre nur irgend so ein Film mit Russen, der sich dank Titelgebung und deplatzierter Erklärszene den Anschein des Intellektuellen geben will.
Genau betrachtet könnte der Film übrigens auch den Titel »Die Kleinsche Flasche« tragen. Die Flasche, die eigentlich eine Fläche ist und nur wegen eines Übersetzungsfehlers zur Bottle wurde, ist auch so eine nicht-orientierbare Mannigfaltigkeit, die keine Trennung von Innen und Außen zulässt. Nun ist sie aber viel schwieriger zu beschreiben, und wahrscheinlich war den Verantwortlichen das Potenzial für Missverständnisse zu groß. Könnte doch einer auf die Idee kommen, mit der kleinen Flasche sei die Hauptfigur gemeint. Und das würde dem versagenden Spion, den die Frauen lieben, dann doch nicht gerecht werden.
Disclaimer: Fischpott hat eine Pressevorführung besucht.
Die Möbius Affäre läuft am 1. August in den deutschen Kinos an.