Die rote Schildkröte
Niemand ist eine Insel
Die rote Schildkröte ist eine märchenhafte Zeichentrick-Robinsonade. Wir konnten uns die Koproduktion des legendären japanischen Filmstudios Ghibli und mehrerer europäischer Produktionsfirmen vor dem Kinostart per Streaming ansehen.
Alles beginnt im Meer. Wir sehen Wellen wie auf einem Gemälde von Hokusai. Mittendrin ein Mann, der auch aus einem Corto Maltese-Comic stammen könnte. Er schwimmt, kämpft gegen die Wogen, wird untergetaucht und irgendwann ist der Kampf vorbei. Er hat gewonnen. Er ist mit dem Leben davongekommen und hat es an einen Strand auf einer Insel, irgendwo im Ozean geschafft. Jetzt muss er Nahrung finden, Wasser, einen Schlafplatz. Und noch eines will der Fremde, dessen Namen wir nicht kennen, auch nicht seine Nationalität und auch nicht seine Epoche: Er will nach Hause. Er baut ein Floß aus Bambusstämmen. Doch seine Flucht von der Insel scheint aussichtslos.
Wie eine typische Robinsonade beginnt Die Rote Schildkröte von Michael Dudok de Wit. Doch schon bald entwickelt sich der Film in Richtung Liebesgeschichte, Märchen, magischer Realismus. Der Robinson des Films bleibt, so viel sei verraten, nicht alleine. Aus dem vielleicht sogar erwartbaren Abenteueranfang entwickelt sich eine tiefsinnige Reflexion über Leben, Sterben, Liebe, Familie, die ohne Worte auskommt. Und auch keine Fragen beantwortet, sondern zum Suchen nach eigenen Antworten einlädt.
Das alles kommt ein einer wunderschönen Optik zwischen Anime im Ghibli-Stil und Ligne claire daher, die auch der vermeintlichen Einfachheit der Insellandschaft immer wieder neue Blickwinkel und Facetten entlockt. Der Blick fürs Detail zeigt sich an der Rolle der Krabben, die den Helden wie ein griechischer Chor begleiten und manchmal sogar kleine Strandslapsticks aufführen, ohne jedoch wie vermenschlichte Disney-Geschöpfe zu wirken.
Wer mit Kindern in Die rote Schildkröte geht, muss allerdings damit rechnen, einige Fragen über den Tod zu beantworten. Vielleicht auch so was wie „Warum weinst du denn?“ Es schadet also nicht, ein paar Antworten parat zu haben.