Ender’s Game
Das große Spiel
Mit Literaturverfilmungen ist das ja so eine Sache. Die Verantwortlichen haben fast immer nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder enttäuschen sie die Fans des Buches oder diejenigen, die das Buch nicht kennen. Dummerweise habe ich vor ein paar Wochen das Ender’s Game von Orson Scott Card gekauft und gelesen, sitze also in der Pressevorführung und komme fast nicht aus dem Abgleichmodus: „Das war im Buch aber im All, nicht in der Erdatmosphäre.“ „Da fehlt aber was.“ „Wann kommt noch mal die eine Stelle?“ flüstert mir die ganze Zeit mein Gehirn zu.
Mächtig gewaltig
Deswegen vor der Story erst mal ein Umweg über die Sehnerven: Ender’s Game zeigt prächtige Science-Fiction-Szenen. Übungskämpfe in Null-Schwerkraft. Gewaltige Raumflotten im Simulator. Alienplaneten. Raketenstarts in malerischer Bergkulisse. Die Geschichte des Jungen Andrew ‚Ender‘ Wiggin (Asa Butterfield), der an einer Militärakademie (in Space!) für den Kampf der Menschheit gegen die außerirdischen Formics ausgebildet wird, ist optisch hervorragend umgesetzt. Dazu passend serviert Komponist Steve Jablonsky einen Soundtrack, der in die Vollen geht. Dräuend, drängend, treibend.
Mobbing im Weltraum
Der Film setzt die psychologischen Element der Vorlage um. Ender wird permanent unter fast schon unmenschlichen Druck gesetzt, um zum taktischen Genie und zum perfekten Anführer geformt zu werden. Der für ihn verantwortliche Colonel, Hyrum Graff (Harrison Ford) isoliert ihn vorsätzlich und macht ihn zur Zielscheibe seiner Klassenkameraden, damit er sich niemals auf Hilfe von außen verlässt und sich jeden Respekt selbst erkämpft. Graff sieht in Ender die letzte Hoffnung der Menschheit und tut alles, damit er sich ‚richtig‘ entwickelt. Dass die Armee die Kindheit des Kindersoldaten Ender stiehlt und er beinah an der Manipulation zerbricht, geht im Film von Regisseur Gavin Hood etwas unter.
Ebenfalls wird Enders taktisches Genie der Zuschauerin kaum nahegebracht, ebensowenig seine ständigen Überlegungen und seine Persönlichkeit als einsames Genie, das nur Respekt, aber nie echte Freundschaft erfährt. Die Kämpfe der Schülertrupps in Schwerelosigkeit machen den größten Teil des Buches aus, in den Film schaffen es nur zwei Kämpfe sowie ein paar Übungen. Zum Teil sicher auch ein Kampf gegen die Überlänge, den Hood mit 114 Minuten knapp gewonnen hat. Einen langen, verzweigten Nebenplot des Buches hat Autor Card persönlich gestrichen – vollkommen zu recht. In ihm bauen Enders Geschwister über Jahre hinweg mit Internet-Pseudonymen politischen Einfluss auf, um einen Krieg auf der Erde zwischen dem Westen und dem Warschauer Pakt zu verhindern. Wobei dieses Element natürlich wunderbar demonstriert, wie veraltet und visionär zugleich die Vorlage ist.
Die Kontroverse(n)
Vor der Filmveröffentlichung kam es zum Skandal: Organisationen von Lesben und Schwulen hatten zum Boykott aufgerufen, weil der Mormone Card sich öffentlich gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen hatte und sich homophobe Elemente in manchen seiner Werke finden. In Ender’s Game finden sich solche Elemente im Grunde nicht, wenn man davon absieht dass sich die Kindersoldaten auch schon mal als ‚Arschküsser‘ beschimpfen und die Aliens nicht Formics, sondern Buggers heißen – ein Slangwort (unter anderem) für Schwule. Aber auch hier sollte die Trennung von Werk und Autor gelten. Wobei Card einer der Produzenten des Films ist und jeder Filmbesuch ihm ein paar Cent einbringen wird.
Dabei sind Buch und Film selbst kontrovers, weil sie Fragen aufwerfen wie: „Darf man Kinder brechen, wenn die Menschheit auf dem Spiel steht?“ „Kann Völkermord vergeben werden?“ „Wann hörst du auf, zuzuschlagen – wenn dein Gegner am Boden liegt oder wenn er dich nie mehr gefährden kann?“ „Was machen wir nach dem Krieg mit unseren Kindersoldaten?“ und am Rand auch moderne Themen wie Drohnenkrieg und Überwachung thematisieren. Ohne eine explizite Kritik wohlgemerkt, was auch erklärt, warum das U.S. Marine Corps Ender’s Game als Lektüre empfiehlt.
Einer der Pressekollegen sah in Ender’s Game eine Mischung aus Napola und Starship Troopers ohne Ironie. So weit würde ich nicht gehen. Ein bisschen kritische Distanz kann nicht schaden, aber insgesamt handelt es sich beim großen Spiel des Ender Wiggin um ein sehenswertes Stück Science Fiction und eine gelungene Literaturverfilmung.
Disclaimer: Fischpott hat die Pressevorführung in der deutschen Synchronisation gesehen.