Enough
Unlock a life of abundance starting right where you are
Wer nicht hören will, muss … ja, genau. Und zu fühlen bekamen wir in den vergangenen Jahren reichlich von dem, was uns mit den Kehrseiten eines Lebens auf der Überholspur konfrontiert. Da war die Banken- und Finanzkrise von 2009 als Folge eines spekulativ aufgeplusterten Immobilienmarkts. Da war und ist Covid-19, möglicherweise eine Zoonose als Ergebnis maßlosen Tierverzehrs und -handels. Da kam der Ukraine-Krieg, der das Unvermögen aufzeigte, globale Verflechtungen dauerhaft friedlich meistern zu können.
Es sind nur Beispiele eines Krisenkurses, möglicherweise die herausragenden des immer noch pubertären 21. Jahrhunderts. Spannend wäre die Frage, ob und wie wir in ein nächstes Jahrhundert wechseln. Ob wir oder eher die Reichen unter uns dann unsterblich sind. Oder ob uns die Künstliche Intelligenz nicht einmal mehr eine Spielwiese lässt. Weichen werden spätestens heute gestellt, also ist Handeln gefragt – nur bitte kein Handeln, das nicht bereit ist, aus gewohnten Bahnen auszuscheren. Genau an dem Punkt wurde 2009 eine große Chance vertan, war doch alle Welt hauptsächlich bemüht, den Fluss wieder in sein altes Bett zu zwingen.
Andere, private Ansätze entwickelt das Buch Enough: Unlock a life of abundance starting right where you are, 2021 bei Right Company Press erschienen und bislang nur in englischer Sprache erhältlich, doch wird eine deutsche Übersetzung vorbereitet. Das 195 Seiten starke Werk unter dem etwas sperrigen Titel scheint auf den ersten Blick das zu tun, was man hinlänglich kennt: Strategien für die vermeintliche Glückseligkeit stapeln. Doch die ungewohnte Perspektive der Autoren offenbart sich, wenn man dieses „enough“ nicht als „basta, jetzt reicht es“ interpretiert, sondern versteht, dass eine feinsinnigere Frage gestellt wird: „Was“ und nicht „wie viel“ ist genug?
Die Right Company gründete sich 2018 und war gedacht als eine Art virtuelle Selbsthilfegruppe der Kreativen, von denen aber keiner Hilfe benötigte. Vielmehr wurden unter starken Persönlichkeiten Gedanken und Lebenskonzepte ausgetauscht. Mit der Pandemie kam nicht Stillstand, sondern im Gegenteil viel Bewegung in den Dialog. Statt am Bildschirm abzuhängen und sich in sozialen Netzwerken mit Asozialem zu bewerfen, verliehen die Teilnehmer dem Konzept „Chat Room“ Substanz.
Einsteigen kann man in die Materie des Buches auf jeder Seite. 16 Personen – Firmeninhaber und Solo-Selbstständige – berichten in abgeschlossenen Kapitel, wie sie ihr Leben verbesserten, sich selbst und ihre Geschäftsziele verwirklichten. Darin folgt „Enough“ einer bewährten Regel der Medienbranche: Es wählt Menschen als Aufhänger für den transportierten Inhalt. Und schon nach dem ersten Fallbeispiel will man erfahren, was den nächsten und den übernächsten dieser Menschen treibt.
Verlassen wir die Ebene der Theorie und widmen uns einem konkreten Fall: Claudia Brose. Kultur und Religionen Ostasiens haben die gebürtige Kölnerin ebenso geprägt wie 14 Jahre in San Francisco. Heute lebt sie in Südtirol und organisiert von dort aus Events und Workshops für ambitionierte Fotografen, wobei Amateure auf weltbekannte Profis treffen, um einander zu beflügeln. Rheinland, Japan, Kalifornien und nun eben die majestätischen Dolomiten – die Stationen geben Hinweis, dass es nicht gleichgültig ist, welchen geographischen Weg das Leben geht. Nur muss nicht jeder die Welt abklappern, um zu sich zu finden, für manch einen kann es auch ein abgeschiedenes Dorf sein. Wo die Erfüllung wartet, muss jeder für sich herausfinden und dann dort sein Lebenskonzept real werden lassen, immer mit dem Blick darauf, die Arbeit in das Konzept zu integrieren.
Flexibilität und Freiheit bei der Auskleidung von Zeit und Umfeld, Vielseitigkeit von Arbeitsprojekten, intellektuelle Herausforderungen und internationalen Austausch hat Claudia Brose als ihre Conditio sine qua non definieren können. Die vielbeschworene Work-Life-Balance erschöpft sich dabei nicht in der flachen Auslegung, dass Arbeits- und Privatleben in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollen. Schließlich würde dies schnell auf das abgedroschene Muster hinauslaufen, in der Zeit zwischen neun und fünf stets auf 17.01 Uhr zu schielen. Nachdem die Balance in ihrem früheren Beruf trotz beachtlicher Erfolge auf der Karriereleiter nicht herzustellen war, vollzog Claudia den Bruch, wählte Südtirol zur neuen Heimat und arbeitete am Konzept ihrer Sommerakademie der Fotografie. Enough – genug – ist das vielleicht nicht, wenn sie finanzielle Maßstäbe wie einst ansetzt, sehr wohl aber in der Währung, die man Zufriedenheit und menschliche Nähe nennt.
Es lohnt, auch die 15 weiteren Lebenskonzepte des Buches zu lesen und dabei vielleicht das Modell zu finden, das den eigenen Nerv trifft.