Far Cry Primal
Ein Held vor unserer Zeit
Meine Keule, meine Höhle, mein Säbelzahntiger – mit diesen Statussymbolen punktete man in der Steinzeit. Wer dann noch Feuer machen konnte, war ein Held. So wie Takkar, die Hauptfigur von Far Cry Primal.
Schon die Prämisse von Far Cry Primal klang simpel, aber ansprechend: Ein Shooter in der Steinzeit. Ohne Zeitreisen oder anachronistische Dinos, dafür sollte der Spielcharakter ein „Beastmaster“ sein – der Anklang an den gleichnamigen Film aus den Achtzigern versprach jede Menge Spaß. Ein Versprechen, so viel sei im Voraus verraten, das Ubisoft einlöst. Als Held Takkar durchstreift man das Land Oros – eine mitteleuropäische Gebirgslandschaft 10 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung – auf der Suche nach Jagdbeute, wilden Bestien, Rohstoffen und Mitgliedern des eigenen Stammes. Denn diese, die Wenja, sind im ganzen Land verstreut. Feindliche Stammesmitglieder, die primitiven Udam und die fortschrittlichen Izila, müssen freilich mit Speer und Keule umgewemst werden.
The Good, the Mean, the Ugly
Blutvergießen ist also unausweichlich. Für einen ab-16-Titel geht es bei Far Cry Primal ziemlich ab. Takkar spaltet Schädel bis die Keule bricht, während seine gezähmten Bestien (Eulen, Wölfe, Bären, etc.) sich am Gemetzel beteiligen und schon einmal tote Gegner anknabbern. Gewalt ist Mittel zum Zweck, nach und nach erobert man Außenposten und Leuchtfeuer, um die anderen Stämme zurückzudrängen. Die sind aber auch echt wirklich böse: Die Udam sind kannibalistische inzuchtgeschädigte Pseudo-Neandertaler (die echten Neandertaler waren zum Zeitpunkt des Spiels schon ausgestorben). Die Izila sind zwar Ackerbauern, als religiös-fanatische Sklavenhalter gehören die mesopotamischen Einwanderer keineswegs zu den Guten. Dafür scheint bei ihnen – ebenso wie beim Stamm der Wenja – eine Geichberechtigung der Geschlechter zu herrschen, wie schon die taz festgestellt hat.
Die gute alte Zeit
Dass sich Ubisoft hier die eine oder andere künstlerische Freiheit und anachronistische Spekulation erlaubt macht aber nur wenig aus. Wahrscheinlich würden studierte Ur- und Frühgeschichtler_innen beim Spielen gar nicht mit dem Fazialpalmieren aufhören, dem Spielspaß interessierter (und uninteressierter) Laien tut das keinen Abbruch. Landschaft und Tiere wirken mehr oder weniger realistisch – wenn Schlaumeier auch schon darauf hingewiesen haben, dass Jaguare in Europa damals schon längst ausgestorben waren – und beim Streifen durch unberührte Wildnis fühlt man sich auf jeden Fall in die Steinzeit zurückversetzt. Dazu bei trägt die Wenja-Sprache, die von einem Expertenteam als mögliche indo-europäische Ur-Sprache entworfen wurde.
Looten und Leveln 10.000 BC
Bevor die Zeitreise ein Genuss werden kann, muss man sich allerdings erst einmal das Gameplay erarbeiten. Kenner der Far Cry-Reihe haben sicher kaum Probleme, ein FC-Noob braucht schon so um die drei Stunden, alle möglichen Aktionen und Tastenbelegungen zu internalisieren. Natürlich ist das Kennenlernen der Spielelemente pädagogisch in die Story eingebaut, Takkar erweitert erst nach und nach sein Fähigkeiten-Arsenal. Die bekannte Bestienzähmung kann zum Beispiel erst gelernt werden, wenn der Schamane Tensay in den eigenen Stamm eingegliedert ist. Der Aufbau des eigenen Dorfes ist eng mit dem Skilltree verbunden, Spezialisten wie Jägerin oder Handwerker schalten Fähigkeiten frei, wenn man ihre Hütten errichtet und/oder ausbaut. Ansonsten ist alles Standard-Gameplay, auch schon in der Steinzeit geht es um das Sammeln von Loot und XP. Takkars Beutetasche kann stetig erweitert werden, so dass man recht bald kiloweise Fleisch, diverse Häute, mehrere Keulen, Speere, Pfeile, etc. durch Oros schleppt. Recht hilfreich ist die Jägersicht, die die Welt in ein blasses Grau taucht, während Tierspuren, Blut und sammelbare Rohstoffe gelb oder rot erscheinen. Ansonsten würden die nämlich im Unterholz untergehen.
Nur eine Fleischwunde …
Eine entspannte Zeitreise ist Far Cry Primal natürlich nicht. An jeder Ecke der atemberaubenden Landschaft fallen Takkar Raubtiere oder gegnerische Höhlenmenschen an, nach dem Kampf wird ein Stück Fleisch gesnackt und schon ist die Health-Leiste wieder voll, weiter geht’s. Gehen Waffen kaputt, werden schnell neue gebastelt. Stirbt Takkar, wacht er in der nächsten Respawn-Hütte wieder auf. Einfach ist auch die Orientierung, alles ist schon im Voraus auf der Karte eingezeichnet. Das sorgt zwar für einen ununterbrochenen Flow beim Spielen, allerdings wünscht man sich manchmal etwas mehr Ruhe oder eine Spur Realismus. Zugegeben, tagelange Ziegenjagd oder wochenlange Höhlen-Reha wären sicher zu viel des Guten, aber ein klitzekleines Bisschen weniger Gamigkeit nach Schema F wäre schön. Das ist allerdings nicht das ausschließliche Problem von Far Cry Primal sondern generell prävalent in AAA-Spielen. So sah zum Beispiel auch eine typische Szene in Bioshock Infinite folgendermaßen aus: Der Held ist angeschossen, also schaut er in die nächste Mülltonne und findet in ihr eine Ananas. Er isst sie und schon geht es ihm besser. So eine Szene wäre in einem Roman sehr erklärungswürdig. Selbst in einem anspruchsvollen Computerspiel ist sie vollkommen normal.
Optionen waren keine Option?
Und auch in die andere bekannte Mainstream-Falle tappt Far Cry Primal. Trotz der stellenweise diversifizierten Stämme ist der einzige Spielercharakter ein weißer Dude. Zwar sind festgelegte Charaktere ein Markenzeichen der Far Cry-Reihe, aber gerade im Ausnahme-Titel Primal hätte Ubisoft doch einfach mal das Experiment wagen können, zwei oder mehr mögliche Spielercharaktere anzubieten. Gerne auch mal auf Seiten der Udam oder Izila. Aber wenn man von diesem Mangel an Innovation absieht, ist Far Cry Primal genau das, was der Titel verspricht: Ein solides, hochgradig süchtig machendes Far Cry-Spiel, das alles aus dem Steinzeit-Thema rausholt.
Charaktergalerie
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar für die PS4 erhalten.