Farin Urlaub Racing Team – Faszination Weltraum
Wer hat die Eier, ein – an und für sich gewöhnliches – Album (15 Tracks, 50 Minuten Spielzeit) mit zehn Monaten Vorlauf anzukündigen? Einer.
Faszination Weltraum ist das vierte Soloalbum von Farin Urlaub und das zweite, das er gemeinsam mit seiner Band, dem Farin Urlaub Racing Team (FURT), eingespielt hat. Wie schon bei den letzten beiden Alben Am Ende der Sonne (2005) und Die Wahrheit über’s Lügen wurde wieder ein (Un-)Titel gefunden, der mit der textlichen Realität des Werkes mal so gar nichts zu tun hat – Gleiches gilt übrigens für’s Artwork im Footballdesign. Man mag dies für Schwachsinn halten; ich find’s lustig. Es ist eine willkommene Abwechslung zu all denjenigen Alben, die stumpf nach einem ihrer Lieder benannt sind.
Faszination Weltraum ist gitarrenlastig. Faszination Weltraum ist, das fällt gleich beim Opener „Mein Lied“ ins Ohr, auf Livetauglichkeit produziert. Das Krach-zu-Ruhig-Verhältnis beträgt solide 2:1 und ist in dieser Hinsicht eher mit „Am Ende der Sonne“ als mit den anderen Alben zu vergleichen. „Mein Lied“ ist ein ähnlich gewaltvoller Auftakt wie seinerzeit „Mehr“ und, wohlgemerkt, ein (noch) besserer.
Es ist mir nicht möglich zu entscheiden, ob dieses Album besser oder schlechter wäre als seine Vorgänger – eingedenk dessen, dass mir schon zu diesen dreien kein Qualitätsranking einfallen würde. Sehr wohl ist aber festzuhalten: Es wird seinen eigenen Platz finden, weil es anders ist. Es ist weniger abwechslungsreich als Die Wahrheit über’s Lügen und die Reime kommen etwas weniger ausgefeilt daher als noch zuvor. Im Gegenzug aber gibt es keine Totalausfälle wie zum Beispiel „Seltsam“ oder „Unsichtbar“. Auch gibt es, wie schon bei der Sonne extrem starke Songs, die sicher bald zum Standardrepertoire auf Konzerten gehören: Dies gilt für „Immer dabei“, „Keine Angst“, „iDisco“ und, mit Abstrichen, „AWG“. Sie brauchen sich nicht hinter „Unter Wasser“ oder „Alle dasselbe“ zu verstecken.
Steigen wir ins Album ein. Die ersten vier Songs bilden den schwächsten Abschnitt. „Mein Lied“ ist eine starke Eröffnung, wird aber von „Dynamit“ – Sprengstoff als Idee zur Verschönerung von Innenstädten – und „Was die Welt jetzt wirklich braucht“ – dem Urlaubschen Bekenntnis zu Superman gegenüber Batman – textlich und musikalisch schwach fortgesetzt. Der Rhythmus kommt hier eintönig daher und die Reime sind eher gewollt witzig. Ob im Falle von Superman noch ein übertragener Sinn im Text steckt, erschließt sich mir nicht. „Herz? Verloren“ ist ein schöner, radiotauglicher Song über einen Mann, der seine Hormone nicht im Griff hat – das gewisse „Etwas“ fehlt aber auch hier.
Doch kurz bevor sich die erste, leise Enttäuschung einstellt, folgt nun der stärkste Teil des Albums, der – mit etwas Wohlwollen betrachtet – eigentlich gar nicht endet. „Alles wird gut“ ist der Klassiker der Urlaubschen Botschaften: Nun, alles wird gut. Und das gilt auch fürs Lied: Rhythmisch, schön gesungen, stark gereimt, alles gut. „Heute tanzen“ fällt geringfügig ab – wir hören eine etwas sinnlose Aufreihung der Lieblingsautoren von Farin Urlaub im Wechsel mit der Botschaft „genug gelesen, jetzt wird getanzt“. Im Grunde handelt es sicher aber um eine recht originelle Aufarbeitung des alten „Kopf vs. Herz“-Topos. Urlaub plädiert für: Beides. „iDisco“ ist der Reimkönig auf Faszination Weltraum, zum Beweis ein kleiner Auszug aus (einem) Refrain:
„Du bist umgeben von Idioten, lebendigen Toten –
Sie riechen schon ganz schlecht.
Du bist umgeben von Schwachmaten, sie wissen nichts, sie raten –
und haben trotzdem Recht.“
Das Schöne am Text: Er jammert nicht darüber, dass alle blöd sind. Er beschreibt das simple Gefühl, das jeder manchmal hat, wenn er für etwas argumentieren möchte und dann feststellt, dass es leider nicht Argumente sind, die die Diskussion definieren. „Find’ Dich gut“ ist ein eingängiger Bossanova, der Name ist Programm und entspricht Grönemeyers „So wie ich“.
„Keine Angst“ erzeugt dann einen musikalischen Bruch, denn die Stücke zuvor waren ruhiger, ska-lastiger. Dieses Lied steigt hingegen gleich mit hartem Beat und düsteren Riffs ein. Als ich den Titel las, hatte ich befürchtet, jetzt komme mal wieder die millionenfach besungene und an Blödheit kaum zu übertreffende Punk-Überlebensweisheit „Angst ist doof“ – doch besungen wird vielmehr eine Person, die viel reist (im Übrigen durch Wüsten) und … keine Angst hat. So einfach ist das. Es wird noch nicht einmal Partei ergriffen, ob das denn cool sei. Im Gegenteil, hat man am Anfang noch den Eindruck, es wäre ein mutiger Reisender beschrieben, erscheint er zunehmend isoliert und lebensmüde, wenngleich noch bewundernswert. Es ist ein erfrischend offener Text mit viel Interpretationsraum.
Die fünf folgenden Songs, „Fan“, „Newton hatte Recht“, „Das Traurigste“, „3000“ und „Sommer“, sind allesamt gute Lieder – jedoch ertappt man sich beim Zweithören leicht dabei, skippen zu wollen. „Fan“ beschreibt die abnehmende Begeisterung eines – naja, Fans – für seinen Lieblingsmusiker. Offen bleibt, ob’s am alternden Musiker oder Fan liegt. „Newton hatte Recht“ schlägt vor, einfach mal nicht zu versuchen, was nicht geht, um das Leben angenehmer zu gestalten. Die simple Botschaft bildet einen lustigen Kontrast zum hochtrabenden Titel. Der Refrain ist jedoch zu langweilig, um nachhaltig hängen zu bleiben. In „Das Traurigste“ wird Farin verlassen – natürlich, Farin wird häufig verlassen. Der interessante Kern des Textes ist jedoch, dass eben das Traurigste daran nicht (nur) sei, allein zu sein, sondern seinem Ex-Partner davon nicht erzählen zu können. Das kann man nachempfinden und dies gibt dem Song auch seinen eigenen Platz unter den zahlreichen (Anti-)Liebesliedern von Herrn Urlaub.
„3000“ taucht als Zahl gar nicht im Text auf. Es geht um die simple Frage, wie man sich denn in der sogenannten entgrenzten Welt wohl fühlen kann. Rhythmus und Melodie bleiben nicht sonderlich hängen, doch werden den Gewerkschaften ganz nützliche Slogans mit auf den Weg gegeben: „Was ich jetzt brauche, sind bequeme Überlebensstrategien für das dritte Jahrtausend“ und noch besser: „wir sind im Hier und Heute und wir schauen nur nach vorn“. „Sommer“ erinnert musikalisch stark an „Plug in, Baby“ von Muse und behandelt einen sommerlichen Roadtrip. Konterkariert wird der sehr optimistische Text durch einen sehr düsteren Sound, der doch eher nach Herbstgewitter klingt. Warum? Einer weiß es.
„Immer dabei“ schließt das Album ab. „Immer dabei“ ist der, meiner bescheidenen Meinung zufolge, – mit Abstand – beste Song des Albums und gehört zu den stärksten fünf Liedern der Solokarriere von Farin Urlaub. 1 Er baut sich musikalisch auf – er wird im Laufe der vier Minuten schneller, gitarrenlastiger, rhythmischer und der Gesang wird intensiver – und beschreibt den, wie ich sagen würde, „Fahrtenschreiber“ einer jeden Person: Egal, was wir tun, ob wir jemanden belügen, über etwas phantasieren, eine Handlung vollziehen – selbst wenn es keiner mitkriegt, wir selbst wissen es und merken es uns. Was da genau besungen wird – ob man es nun „Gewissen“, „Bewusstsein“, „Erinnerung“ nennen möchte – bleibt offen und ist meines Erachtens unerheblich, denn man kann die Botschaft so oder so nachfühlen. Man darf gespannt sein, wie das Lied live funktioniert.
„Faszination Weltraum“ ist ein rockiges Album, das getrost ungekürzt auf jedem Konzert dargeboten werden kann – auch wenn einem die Schlagzeugerin leid tun kann, wenn sie „Mein Lied“ spielen muss. Wer starke Reime mit zeitgenössischem Humor verlangt, ist vermutlich mit der neuen Platte von Kraftklub besser bedient – dafür schreibt Farin Urlaub auch eher abstrakt. Wer neue Ohrwürmer braucht, keine übermäßig ambitionierten Texte erwartet und Farins Stimme mag, kommt aber hier voll auf seine Kosten.
- die anderen vier sind im Übrigen „Bewegungslos“, „Abschiedslied“, „Alle dasselbe“ und „Unter Wasser“. ↩