Frequency Unknown – Geoff Tate’s Queensrÿche
Ist der Ruf erst ruiniert …
Bis vor etwa einem Jahr war es um Queensrÿche hierzulande reichlich still geworden. Mit dem Zerwürfnis der Bandkollegen taucht der Name aber auch bei uns immer häufiger auf: Auf Fischpott nun schon zum zweiten Mal, und die Berichterstattung in den Musikmagazinen bezeichnete ein Leser jüngst als Daily Soap. Kein Wunder, gibt es bis zum endgültigen Urteil im kommenden November gleich zwei Kombos, die unter der Marke veröffentlichen, solange sie noch können. Bevor im Juni die alte Band mit neuem Sänger Todd La Torre ihr Album auf den Markt bringt, ist Geoff Tate’s neue Formation mit »Frequency Unknown« nur wenige Monate nach seinem zweiten Solo-Album bereits seit Ende April am Start.
Um es gleich vorwegzunehmen: »Frequency Unknown« könnte ein echtes Knaller-Album sein. Zum ersten Mal seit Jahren hat eine Band namens Queensrÿche hier etwas vorgelegt, das in Teilen an die Anfänge erinnert und sich dabei gemäß dem Marken-Motto nicht wiederholt. Eine Gitarren- und Bassarbeit wie in »Care«, »Slave« oder »Running Backwards« war ja schon gar nicht mehr denkbar! Wer spätestens nach dem letzten Queensrÿche-Output »Dedicated to Chaos« geglaubt hat, Mr. Tate sei von einer gewissen Altersmilde getroffen und würde nie wieder etwas auf die Beine stellen, das der Bezeichnung Metal würdig ist, hat sich schlicht getäuscht. Zum ersten Mal seit Jahren haben wir es hier mit einer Art von Metal zu tun, die so manches Haupthaar fliegen lassen und eine Herausforderung für in die Jahre gekommene Halswirbel darstellen sollte. Typisch für Geoff Tate bleibt es aber eben nicht bei einer stilistischen Ausrichtung. Zu wichtig scheint es ihm wie schon immer, Vielfalt unter Beweis zu stellen. So gibt es auch auf seinem aktuellen Angebot straighte Rocknummern wie die erste Auskopplung »Cold« oder popsongartige Darbietungen wie die sehr eingängigen »Give it to you« und »Everything«. Krönender Abschluss der neuen Songs ist dann traditionsgemäß eine tragende Nummer, die in diesem Fall auch noch den passenden Titel hat: »Weight of the World«. Letztlich wird das Album dann noch um vier alte Songs ergänzt, die hierfür eigens neu eingespielt wurden. Reichlich überflüssig, wie es scheint. Die Plattenfirma bestand aber darauf und gab eine Stange Geld für die Rechte.
Video-Link: http://youtu.be/WzDJHuxBTUw
»Cold« Geoff Tate’s Queensrÿche (official video release)
… lebt’s sich völlig ungeniert: F.U.
Aber wen interessiert das alles, wo es doch nur ein Thema zu geben scheint? Seit Mr. Tate vom Image des respektvoll und klug auftretenden Rockers für Intellektuelle in das Lager der Bad Boys gewechselt ist, mögen sich die übriggebliebenen Fans gar nicht mehr einkriegen. Angefeuert wird dieser Zustand neuerdings auch noch durch das Cover-Design, das eine drei Ringe tragende Faust zeigt: Zu sehen sind ein F, das Bandsymbol und ein U. „Und?“, mag da einer fragen, „wo ist das Problem?“ Das Problem, liebe Kinder, die ihr des internationalen Fluchens nicht mächtig seid, besteht in der Möglichkeit, die beiden Buchstaben als Abkürzung für ein deutliches FUCK YOU zu lesen. Ob diese Lesart intendiert sei, kommentierte Geoff Tate in einem Radiointerview kürzlich mit einem relaxten: „Oh gosh, people read so much into everything. It’s kind of funny, isn’t it?“ In demselben Interview erklärte er auch, dass er sich für das Schaffen seiner ehemaligen Kollegen nicht länger interessiere und von niemandem erwarte, sich für ein Lager zu entscheiden. Das Leben sei zu kurz, um sich mit solchen Schauplätzen aufzuhalten. Und das ist dann auch wieder der Geoff Tate, dessen Karriere ich schon so lange Jahre verfolge.
Unbekannte Frequenz kaum hörbar
So ganz nehme ich ihm die Rückkehr zur Besonnenheit aber nicht ab. Ich hatte gesagt, »Frequency Unknown« könnte ein echtes Knaller-Album sein. Ich habe nicht gesagt, dass es das ist. Grund dafür ist die auffallend schlechte Produktion. Und der Grund dafür kann nur in der kurzen Produktionszeit liegen. Da hat es offensichtlich einer sehr eilig gehabt, der erste am Start zu sein! Dem Produzenten und Tontechniker Jason Slater, der zuvor schon sehr gute Arbeit abgeliefert hatte, ist es hier jedenfalls überhaupt nicht gelungen, einen Sound zu kreieren, der die Marke Queensrÿche verdient hätte. Je nach Abspielgerät klingen die meisten Songs mehr oder weniger schrottig und verwaschen, wobei sich das Hörergebnis auch durch den Einsatz von hochwertiger Hardware nur unwesentlich steigern lässt. Ist das also das Geheimnis der unbekannten Frequenz: dass man erst das passende Abspielgerät dafür finden muss? Mir als Fan von schweren, breiten, satten Sounds lässt das Tränen in die Augen schießen. Ich stelle mir vor, das wunderschöne, so tief traurige »Weight of the World« mit seinem bezaubernden eröffnenden Gitarren-Picking wiese eine Klangtiefe und -breite auf wie einst »Anybody Listening?« vom so erfolgreichen Empire-Album. Plötzlich wäre sie wieder da, die Magie, die von dieser Band einmal ausging. Was könnte »Frequency Unknown« für ein tolles Album sein!
Nun scheinen die beteiligten Musiker und ihre Plattenfirma Cleopatra Records selbst nicht begeistert zu sein von der klanglichen Qualität des ansonsten doch gelungenen Albums. Kaum war es auf dem Markt, wurde bereits der Remix in Auftrag gegeben. Und tatsächlich bietet die Record Company ihren Kunden an, den misslungenen alten Mix gegen den hoffentlich besseren neuen kostenlos auszutauschen. Auf Metal Sludge heißt es: „Simply email us a scan of your actual receipt for the physical CD to Queensryche@cleorecs.com and we’ll happily send you a replacement disc – at no charge whatsoever – no questions asked!“ Das werde ich sicherlich ausprobieren!
Metal kein Mülleimer für Lebensfrust
Jetzt könnte man der Firma für diese Maßnahme durchaus einen Gummipunkt verleihen (auch wenn das zugrundeliegende Problem ja ein selbstgeschaffenes ist). Nahezu zeitgleich ruft sie aber zum großen Bashing auf: Wer das eindrucksvollste Hassvideo (Archivlink) gegen das Album auf Youtube veröffentlicht, kann ein VIP-Ticket für die laufende »Operation Mindcrime 25th Anniversary Tour« gewinnen. Ja, wer bitte schön leidet denn da an akuter Hirnerweichung nach zu viel was-auch-immer-Konsum? Lieber schlechte Publicity als gar keine?
Im Juni kommt dann das Gegenangebot der anderen Queensrÿche auf den Markt. Die Band mit ihrem neuen Sänger, der mein Herz noch so gar nicht erwärmen konnte, gibt auch Mitte Mai einen der Headliner des diesjährigen RockHard-Festivals (Archivlink). Spätestens im November jedenfalls sollte es endlich vorbei sein mit der Namensverwirrung. Vielleicht kann sich Geoff Tate dann auch endlich dazu durchringen, den – wie ich finde – sehr guten Vorschlag eines Fans umzusetzen, der »Taterÿche« für den passenden Namen hält. Entsprechend mein Vorschlag an alle Metal-Fans, einmal tief durchzuatmen und die musikalischen Angebote von welcher der beiden Kombos auch immer zu sehen als das, was sie sind: Metal – und keine Mülleimer für den eigenen Lebensfrust.