Helligkeit fällt vom Himmel von James Tiptree Jr.
James Tiptree Jr. ist eine Legende der Science-Fiction-Literatur. Unter diesem männlichen Pseudonym hat die Autorin Alice B. Sheldon zahlreiche Geschichten geschrieben, die heute zu den Klassikern der Science Fiction zählen. Der österreichische Septime Verlag hat 2011 mit der Veröffentlichung einer Gesamtausgabe begonnen. Darunter einer von zwei Romanen: Helligkeit fällt vom Himmel aus dem Jahr 1985.
Ein sterbender Stern
Eine illustre Schar hat sich auf dem idyllischen Wildnisplaneten Damiem versammelt: Ein alter Doktor, eine Offizierin, ein Künstler, ein kindlicher Prinz, ein Aquamann, ein Wissenschaftler, zwei Marquisen und vier Pornostars sowie ihr Regisseur. Sie sind die Gäste der Administratorin, des Verbindungsoffiziers und des Arztes vor Ort. Alle erwartet ein besonderes Spektakel: Die Novafront des „Murdered Star“ Vlyracocha wird über den Planeten ziehen.
Es wird das letzte Aufglimmen der Sonne sein, die vor vielen Jahren in einem interstellaren Krieg zerstört wurde. Aber schon bald gibt es Zweifel, ob alle Besucher*innen nur wegen der Novafront hier sind. Denn Menschen mit üblen Absichten haben eine grausame Verwendung für die wunderschönen Aliens des Planeten, die Dameii. Dazu kommen unausgesprochene Gefühle: Rache, Gier, Liebe, Lust – alle mögliche Motivationen für edle und üble Taten.
Psychische und physikalische Phänomene
Denn Helligkeit fällt vom Himmel geizt nicht mit Innenblicken. Viele Protagonist*innen werden durch die Ereignisse in schwere Gefühlskonflikte gestürzt, die Tiptree dem Lesepublikum auch mitteilt. Das lenkt nicht ab, sondern steigert ganz im Gegenteil die Spannung. Weil wir so einiges besser verstehen und eben auch die möglichen Handlungen den Romanfiguren durch den Kopf gehen. Weil sich hier reflektierte Menschen einer fernen Zukunft Gedanken machen. Die nicht immer rational sind. Aber das passt zu den kosmischen Ereignissen.
Denn die Novafront ist nicht nur ein Leuchten, das als Helligkeit vom Himmel fällt. Natürlich gibt es seltsame physikalische Ereignisse, die in einer Star Trek-Folge auch nicht fehl am Platz wären. Dazu kommt noch das Szenario. Wie man an der Gästeliste merkt, handelt es sich um ein Ensemblestück, bei dem die Vergangenheit aller Beteiligte mehr oder weniger durchleuchtet und Geheimnisse aufgedeckt werden. Das sorgt für Spannung und ist zudem auch noch wirklich gut erzählt. Außerdem sind die Handelnden alle ganz gut individuell beschrieben, was bei der großen Anzahl schon eine kleine Meisterleistung ist.1
Triggerwarnung: Erwähnung von Jugendpornographie
Was wahrscheinlich den meisten Lesenden übel auffällt ist die Pornotruppe. Denn die vier Darsteller*innen werden als Jugendliche, die schon lange im Pornobusiness aktiv sind beschrieben. Dabei wird ihr Regisseur und Manager als freundlicher Typ dargestellt, der die Jungs und Mädels vor einem übleren Schicksal bewahrt hat. Die anderen Figuren von zivilisierteren Planeten finden den Pornodreh zwar bedenklich, tolerieren das ganze aber. Wenn man das 2021 liest, merkt man schon, dass sich die Zeiten geändert haben. Pornographisch ist aber keine Stelle des Romans.
Helligkeit fällt vom Himmel: Lesenswert?
Davon abgesehen breitet Tiptree hier ein reichhaltiges Lesebuffet aus, das gehaltvoll Kolonialismus, Rache, Profitgier, Schönheit, Liebe, Hoffnung und Sterben thematisiert. Eine Empfehlung für alle, die gerne klassische Science Fiction lesen aber sonst nur Philip K. Dick oder Asimov kennen. Wobei der bessere Einstieg in die Zukunftswelten von Tiptree aber eher ihre Kurzgeschichten sind.
James Tiptree Jr.: „Helligkeit fällt vom Himmel“. Wien (Septime Verlag), 528 Seiten, 24,90 €
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar des Buches vom Verlag erhalten.
- Hier ein strenger Seitenblick zu Ich bin Gideon, wo acht Kavalier*innen und neun Nekromant*innen auf einem Dungeonplaneten festsitzen und ich kaum irgendwen auseinanderhalten konnte. ↩