How to blow up a pipeline
Du musst mal das Buch lesen. Ja, geschenkt. Man hört den Spruch fast schon seit Stummfilmzeiten. Es ist nun mal so, dass geschriebene Sprache und inszenierte Bilder, ob mit oder ohne Tonspur, fast nie auf einen Nenner kommen. Eine der wenigen Ausnahmen ist Frühstück bei Tiffany, aber halten wir uns damit nicht länger auf, sondern stellen fest: Zwei unterschiedliche Medien kriegt man kaum deckungsgleich – und sollte darüber nicht klagen, weil die Divergenz auch Gewinn sein kann. Nun drängt sich bei How to blow up a pipeline besonders stark der Wunsch auf, vielleicht mal das Buch zu lesen. Andreas Malm heißt sein Autor, laut Biographie ein schwedischer Humangeograph, Humanökologe und Politikjournalist. Ein Klimaaktivist zudem, dessen Buch eine bedeutsame Unterzeile trägt: „Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“.
Heißes Klima, heißer Kaffee
Anderes Thema: Der US-Bundesstaat Kalifornien verklagt fünf der weltgrößten Ölkonzerne wegen Irreführung. Den Beklagten sei seit den 1950er-Jahren bekannt, dass die Nutzung ihrer Produkte das Risiko der Erderwärmung birgt, doch das hätten sie verschleiert. Man muss abwarten, wie die Gerichte entscheiden, fragt sich aber schon jetzt, ob die Kläger eine Tüte zu viel geraucht haben. Amerika klagt sich einen Wolf, darüber grinst ganz Europa. Geklagt wird in den Staaten nun mal auch, weil nicht gewarnt wurde, dass man sich an heißem Kaffee die Flossen verbrennt, mit Zigaretten die Lunge versaut und von Schokolade einen dicken Arsch kriegt. Warum also nicht auch klagen, dass bei der Verbrennung von Ölprodukten Schadstoffe freigesetzt werden?
Man muss sich ein wenig in dieses Spannungsfeld einfinden, um die Verfilmung von Malms Buch durch den US-amerikanischen Regisseur Daniel Goldhaber einsortieren zu können. Während das Buch die Frage wälzt, welche Mittel und welches Handeln legitim sind, um der Umweltzerstörung entgegenzutreten, nehmen Goldhaber und sein Team den Buchtitel eine deftige Spur zu wörtlich. Will sagen: Sie beschäftigen sich geschlagene 104 Minuten lang tatsächlich damit, wie man eine Pipeline in die Luft jagen kann, ohne dass einen der Staat bei den Eiern packt. Der Vorteil dieser Umwidmung liegt darin, dass keine gesellschaftsrelevanten Debatten zu führen, keine Vertrauensfragen zu stellen, keine machtpolitischen Gesetzmäßigkeiten in Augenschein zu nehmen und sonstiger schwerlastiger Kehricht zu sortieren ist, dafür der Freibrief besteht, einen Thriller mit pseudokritischem Anspruch aufs Parkett zu legen.
Die ahnungslosen Acht
Acht Personen, weitgehend noch im selben Backfischalter wie Regisseur Goldhaber, treffen sich an einem verranzten Ort in Texas, um es den Multis mal gehörig zu zeigen. Ihr Ziel ist, ein Stück Ölpipeline zu sprengen. Das wirft unweigerlich die Frage auf: Wie macht man denn so etwas? Während das den Autor Malm gar nicht wirklich interessierte, wird dieses Ding im Film zur Kernfrage. Und die jungen Leute tasten sich mit den Mitteln an die Lösung heran, die heute nun mal Konjunktur haben. Wikipedia studieren, Tutorials glotzen, Content Creator nach der Farbe ihrer Unterhose befragen und Influencern die Posts durch ganz viele Likes aufpolieren. Nein, ganz so schlimm fällt es nicht aus, aber in der Tendenz fährt das Oktett einen solchen Kurs jener Ahnungslosen, die letztlich auch davor gewarnt werden möchten, dass man von Schokolade einen dicken Arsch kriegt.
Einigen der acht Personen hat das Schicksal schwer mitgespielt, ihre Gesundheit ist im Brötchen, weil zum rechten Zeitpunkt die eigenen und fremden Alarmglocken stumm blieben. Ein positiver Vermerk an dieser Stelle sollte festhalten, dass die biographischen Züge der acht Personen über die gesamte Länge des Films gestreut werden und so immer wieder neue Zeitebenen entstehen, was der ansonsten flachen Action-Ebene ein wenig Tiefgang verpasst. Blenden wir kurz in die Extras der DVD und dort in eine Aufzeichnung vom Toronto Film Festival, wo How to blow up a pipeline im Spätsommer 2022 seine Premiere feierte und die Macher zum Interview antraten. Denn in diesem Dokument wird das ganze Ausmaß der Verpeiltheit deutlich. Diese Crew meint das alles wirklich ernst! Sie glaubt, dass ihr Film einen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leistet! Dass keiner von etwas wusste, als die Multis sie verschaukelten! Und dass es absolut einleuchtet, bei der Sprengung einer Pipeline Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zu nutzen!