Im Land der Bären (DVD)
Brumm brumm brumm, Bärchen brummt herum
Kamtschatka ist die größte Halbinsel Ostasiens. Zwischen dem Nordpazifik und dem Ochotskischen Meer gelegen, ist sie zentraler Bestandteil des Pazifischen Feuerings. Kein Wunder, dass hier kaum Menschen leben, denn der Begriff Feuering ist im Falle Kamtschatkas wörtlich zu nehmen: Da hier die Pazifische Platte auf den Bering Block trifft und beide zusammen unter den eurasischen Kontinent abtauchen, hat sich auf der russischen Halbinsel eine Vulkandichte entwickelt, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Wissenschaftler zählen 160 Vulkane, von denen 28 als aktiv gelten. Im Jahr 2013 sind gleich vier von ihnen gleichzeitig ausgebrochen. Hinzu kommt das Tal der Geysire, in dem etwa neunzig Springquellen heißes Wasser in die Höhe spucken und für mächtige Dampfschwaden sorgen. Nach fünfzig Jahren, in denen die Region militärisches Sperrgebiet war, erklärte die UNESCO die Vulkane und das Tal der Geysire 1996 zum Weltnaturerbe. Davon profitiert auch die Fauna: Kamtschatka ist berühmt als das Land der Braunbären und der Lachse.
All you can eat
Aus Gründen, die auch den versiertesten Forschern nicht bekannt sind, haben Lachse das Bedürfnis, ihr Leben an dem Ort zu beenden, an dem sie geboren wurden. Als Wanderfische sind sie sehr anpassungsfähig: Geboren in Süßwasserseen wandern sie durch Flüsse in das Salzwasser des Ozeans, um dort den Großteil ihres Lebens zu verbringen. Zum Laichen aber kehren sie zurück, kämpfen sich hierfür flussaufwärts und überwinden dabei Stromschnellen und sogar niedrige Wasserfälle. Aber nur die Besten unter ihnen schaffen es tatsächlich, kurz vor ihrem Tod noch millionenfach Eier in dem kamtschatkischen Vulkansee ihrer Geburt abzulegen. Der Rest landet im dankbaren Maul eines der circa achttausend hier lebenden Braunbären, die schon hungrig auf sie warten. Lachse sind nicht nur in Ostasien die Lieblingsspeise des Ursus arctos. Auch an den Pazifikküsten des nordamerikanischen Kontinentes warten die Vertreter ihrer Art wie in einem Selbstbedienungsrestaurant darauf, sich nach dem Motto all you can eat die Bäuche vollzuschlagen. Irgendwoher muss der Speck ja kommen, damit so ein Bär seinen acht Monate dauernden Winterschlaf überlebt. Da kann eines dieser mindestens dreihundert Kilo auf die Waage bringenden Tiere schon mal locker an die fünfzig Fische am Tag verdrücken. Entsprechend liegt hier die Haupthandlung des Dokumentarfilms von Guillaume Vincent und seinem Team. Über den Verlauf der vier Jahreszeiten hat er das Land und seine Bären beobachtet. Und weil es zuvor noch keiner gemacht hat, hat er seine Tier-Dokumentation mit 3D-Technik realisiert. Dafür hat er den Spezialisten der Stereografie Manning Tillman engagiert, der unter anderem mit James Cameron für Avatar gearbeitet hatte. Mangels 3D-Ausstattung kann ich nur die 2D-Version bewerten. Die hat in meinen Augen aber nichts vermissen lassen. Wer spektakuläre Landschaftsaufnahmen mag, bekommt hier wahrlich was geboten.
Wenn sich Fellkugeln kugeln …
… so hatte ich kürzlich verkündet, müsse ich immer lachen. Auf die ein oder andere Weise üben sich alle kleinen Säugetiere im ineinander Verkeilen. Dazu braucht es nicht zwangsläufig Fell, auch kleine Menschen können das recht gut. Was anderen Arten aber zur Sozialisierung hilft – Hunde- und Katzenwelpen lernen so zum Beispiel, wie rau sie beim Spielen sein dürfen – wirkt bei den kleinen Bären wie die Vorbereitung darauf, möglichst rau mit Artgenossen umgehen zu können. Bären sind Einzelgänger und scheinen Ihresgleichen wahrlich nicht sonderlich zu mögen. Begegnen sich zwei Bären nicht gerade zur Paarung, endet die Begegnung schnell damit, dass der eine dem anderen zumindest mal eine wischt. Was bei fünfzehn Zentimeter langen Krallen keine nette Erfahrung sein kann. Von weiteren körperlichen Auseinandersetzungen ganz zu schweigen. Besonders übellaunig treten sie natürlich auf, wenn der Magen knurrt und das Lachsangebot noch dünn gesät ist. Nach dem achtmonatigen Winterschlaf sieht auch der stattlichste Vertreter ganz schön abgemagert aus. Ihrem Magen können Braunbären aber nicht direkt mit fettem Lachs kommen. Erst einmal gilt es, das Verdauungssystem mit Grünzeug wieder in Schwung zu bringen. Wenn sie dann an den Flussmündungen auf die erste Fischlieferung warten, sollte sich ihnen nicht unbedingt ein Artgenosse in den Weg stellen. Immerhin verstehe ich jetzt, warum der Teddy, den ich als Kind hatte, immer so unfreundliche Geräusche von sich gab, wenn man ihm auf den Bauch drückte. Retrospektiv kann ich dank des Films jetzt sagen: sehr naturalistisch, dieser Teddy. Nettes Aussehen ist eben nicht alles.
Unaufgeregte, aber reichlich konstruierte Erzählung
DVD-Klappentext und Erzähler Ole Pfennig sprechen von den Geschichten dreier Braunbären: Einer Bärenmutter mit ihren beiden Jungen, einem Jungbären in seinem ersten Jahr auf eigenen Tatzen und einem gestandenen Bärenmann. Alle drei, so das Versprechen, seien über das Jahr hinweg begleitet worden. Das können wir als geneigte Zuschauer so hinnehmen; zu schwer ist es für das ungeübte Auge ohnehin, hier einen Bären von dem anderen zu unterscheiden. Schaut man sich dann aber auch noch das sehr interessante 60minütige Making of an, so erschließt sich bald ein anderes Bild: Das Team schien über alle Bilder froh gewesen zu sein, die es schießen konnte. Von Verfolgung einiger spezieller Tiere ist hier jedenfalls nicht die Rede. Das wirft bei mir die Frage auf, warum die Postproduktion auf Teufel komm raus eine Erzählung um vermeintlich einzelne Tiere konstruieren musste, statt bei dem zu bleiben, was das Team tatsächlich dokumentiert hat. Dazu noch etwas mehr Fakten statt wiederkehrender Behauptungen – und das Ganze wäre eine richtig tolle Tierdoku. Zumal Sprecher Ole Pfennig eine angenehm unaufgeregte Art hat, die so beeindruckenden Bilder dankenswerterweise aber auch immer wieder für sich sprechen dürfen und die Musik – abgesehen von einigen wenigen unvermeidlichen Geigen-Crescendi – sehr passend wirkt. Alles in allem bietet Im Land der Bären abwechslungsreiche 85 Minuten Infotainment. Wer es wie ich lieber etwas genauer hat, muss halt woanders nachsehen.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD von der S&L Medianetworx GmbH erhalten.