Instinct – Gefährliche Begierde
Der Blockbuster Ziemlich beste Freunde jagte nicht nur das Rentnergeschoss Maserati in eine neue Liga, sondern verschaffte auch einem arabischen Vornamen Gehör: Idris. Der kommt im Koran nicht oft vor und erhielt im Film auch gleich den Dämpfer, dass der dunkelhäutige Protagonist diesen Namen in der unschön verstümmelten Form Driss trägt. Ich weiß nicht, wie es euch damit geht, aber bei mir in der Gegend ist das sehr geläufig als „Drieß op d’r Driss“ und bedeutet „Scheiß auf den Scheiß“.
Ein anderer Idris, der aus dem Drama Instinct – Gefährliche Begierde von Halina Reijn, geht damit an einen schwierigen Start – so wie sein tunesisch-niederländischer Darsteller Marwan Kenzari. Im Berufsleben ein Sympath, der schon den Mord im Orientexpress von 2017 überlebte, wird Kenzari hier zum linkischen Kotzbrocken mit Irokesenfrisur und so geringem Hang zum Wäschewechsel, dass er mindestens unter den Armen wie ein Pavian stinken dürfte. Sein Gegenpart Nicoline (Carice van Houten) scheint dagegen die Reinheit in Person, hegt ein klar definiertes Bekenntnis zur properen Kluft und zur Körperpflege.
Nun haben die beiden auch abseits des Äußerlichen nur wenige Gemeinsamkeiten. Idris hat eine Karriere als Sexualverbrecher hinter sich, aber die Gefängnisbelegschaft ist sich halbwegs einig, dass man ihn wieder auf die Menschheit loslassen könne. Nicoline als gefragte Psychologin hat Zweifel. Man könnte allerlei aus dieser Ausgangssituation entwickeln, die ja nun schon in diversen Spielarten durchgekaut wurde: als Überkreuz-Thriller mit dem kannibalistischen Psychiater Hannibal Lecter und der FBI-Azubine Clarice Starling im Schweigen der Lämmer, als Truffaut-Komödie, in der Soziologie-Dozent Stanislas Prévine in seiner ganzen Verklemmtheit dem „schönen Mädchen wie ich“ Camille Bliss auf den Leim geht, als Trauma-Drama mit Therapeutin, Vergewaltigungs- und Suizidopfer Hanna Rautenberg in Sieben Stunden. Halina Reijn macht ein andere Fass auf, in dem ein wenig vom Generalverdacht schlummert: Psychologinnen haben nicht alle auf dem Christbaum.
Wieder und wieder schnüffelt Nicoline an genau diesem Idris-Braten, der ihr überhaupt nicht schmeckt, von dem sie zugleich aber auch nicht lassen kann. In einer Szene folgt sie dem Ekelpaket durch eine Dünenlandschaft und lässt geschehen, dass er in den Sand pinkelt, um ihr dann den uringetränkten Finger in den Mund zu schieben. Wie gesagt: Psychologinnen haben nicht alle auf dem Christbaum. Das Wandern zwischen den Polen, zwischen Leidenschaft und Ekel, Zuneigung und Hass findet zu keiner klaren Haltung, die Personen scheinen der Übermacht ihres eigenen Spleens ausgesetzt. Den Kick einer spannungsgeladenen Zuspitzung darf man nicht erwarten, vielmehr lebt der Film von hervorragend gespielter Unentschlossenheit. Man fragt sich nicht einmal, ob es einen animalischen Orgasmus auf dem Schlafsofa geben wird oder nicht, denn seltsamerweise wünscht man sich weder den Koitus noch den Interruptus. Ein Hoch darauf, dass Instinct den Schwebezustand meisterhaft eingefangen hat. Und dass man dennoch das Ende vom Lied sehen möchte. Wer damit leben kann, dass die Welt voll mit Problemen, aber bitterarm an Lösungen ist, kann prächtige Schauspielkunst erleben.
