Jahresrückblick 2015: Fabian
2015: Chilischoten und ästhethische Viktorianismen
Ein Jahresrückblick? Nichts ist einfacher, denkt da die fleischgewordene Textmaschine und haut in die Tasten. Aber ein Jahr ist lang, vieles ist vergessen und eine aufwändige Rekonstruktion nur mit langer, langer Recherche zu machen. Deswegen ein fragmentarischer Jahresrückblick auf das Nerdkulturjahr 2015.
Comics
2015 hat Alan Moore mit River of Ghosts seine Nemo-Trilogie (aus der Welt der League of Extraordinary Gentlemen) vollendet. Am Amazonas zwischen Naziklonen, Dinosauriern und der Kreatur aus der Schwarzen Lagune endet die Geschichte um Nemos Tochter Janni. Moore, O’Neill und ihr Team erreichen meiner Ansicht nach nicht die alte Klasse der Reihe, haben aber immer noch einen lesenswerten Comic produziert. In der deutschen Szene taucht Weisse Wölfe von David Schraven und Jan Feindt auf, eine Reportage in Comicform über die rechtsextreme Szene. Sehr lesenswert, wenn auch die menschenverachtenden Arschlöcher ein wenig zu sehr als raue Outlaws interessant gemacht werden.
Film
2015 hatte filmtechnisch so einiges auf Lager. Meine Favoriten sind Das Märchen der Märchen, der schnörkellose und der zugleich ästhetisch wunderbare Mad Max: Fury Road sowie Alles steht Kopf.
Men & Chicken war großartig verschroben, krank und zugleich liebenswert, mit lovecraftesken Untertönen. Mit Crimson Peak hat Guillermo del Toro ein geradezu typisches gothisches Schauermärchen ziemlich perfekt inszeniert. Etwas untergegangen ist Slow West, ein solider Neo-Western, bei dem Fassbender als Epigone des frühen Eastwood glänzt. Und, Kollege David erinnert mich in seinem Rückblick daran, It Follows. Ich habe lange keinen so guten Horrorfilm mehr gesehen.
Serie
Ich habe endlich Black Mirror gesehen. Pflichtvidüre. Ebenfalls gut gefallen hat mir Penny Dreadful. Trotz eher unsympathischer Charaktere machen die nahezu perfekte viktorianische Ausstattung und der hochgradig viktorianischem Plot einiges wett. Dazu gibt es unviktorianisch viel Sex und Gewalt – wobei Sex und Gewalt eigentlich schon sehr viktorianisch sind, solange man nicht darüber redet – und Eva Green in Höchstform. Sieger-Serie 2015 ist für mich Gravity Falls. Der Disney-Zeichentrick schildert die Erlebnisse der Zwillinge Dipper und Mabel, die ihren griesgrämigen Großonkel in der Kleinstadt Gravity Falls besuchen. Seltsame Dinge gehen sich in den Wäldern vor sich und Kreaturen jenseits von Zeit und Raum spielen ein undurchsichtiges Spiel. 2016 soll mit der einstündigen Episode Weirdmageddon 3 die Serie ihren Abschluss finden.
Spiele
Die Gesellschaftsspiele von 2015 haben alle ihre guten Momente. Machi Koro und The Game sind was fürs schnelle Spielen nebenher, Elysium hat einen hohen Mehrspielwert, Colt Express eine flotte Spielmechanik und ein tolles „Spielbrett“. Auch Broom Service, das Kennerspiel 2015 überzeugt durch taktisches Potential. Im Rollenspielsektor hat meine Gruppe mit D&D 5 angefangen und mein guter Eindruck hat sich bestätigt. Allerdings hatte ich die Einsteigerfreundlichkeit höher eingeschätzt. Enttäuschend fand ich, dass crowdfinanzierte Numenera-Übersetzung immer noch nicht da ist. Da ein Teil des Teams beim Transport eines Robo-Dinosauriers in China hängengeblieben ist, habe ich allerdings Verständnis.
Bücher
Viele aktuelle Bücher habe ich 2015 nicht gelesen. Das Wiederlesen von The Mirage hat mich spontan zu einem Artikel animiert. Bei WDR 5 bin ich auf die Kompilation Liebe ist der Plan von James Tipptree junior (aka Alice B. Sheldon) aufmerksam geworden. Eine großartige SF-Sammlung von nicht mehr taufrischen Storys, Tipptree ist meiner Ansicht nach in der gleichen Liga wie Dick und Lem.
Finnisches Feuer ist zwar von 2014, aber erst in diesem Jahr auf meiner Leseliste gelandet. Johanna Sinisalo erzählt von einem Parallel-Finnland, in der die Gesundheitspolizei Drogen und capsaicinhaltige Gewürze wie Chili verbietet und Frauen Menschen zweiter Klasse sind (das Traumland der Maskus, sozusagen).
Musik
Entdeckung des Jahre ist für mich Romano, der rappende Metaler mit den Zöpfchen. Eher enttäuscht hat mich das neue Album Under The Red Cloud von Amorphis, Pillars of the Dawn von Zombi dagegen war echt toll. Synth-Prog-Rock (oder so?) vom Feinsten, wie man so sagt. Positiv überraschend hat mich die mediale Präsenz der Antilopen Gang, die es trotz ihrer Dagegen-Attitüde bis zu 1Live und Funkhaus Europa gebracht haben. Das beste Konzert 2015 haben für mich die Dark Ambient-Gruppen Kammarheit und Sphäre 6 in der Sophienkirche in Wuppertal abgeliefert. Nichts zum Tanzen, eher zum Chillen in der Dunkelheit.