Kleinkunst, Liebe, Alkohol
Ich mag euch wegen eurer Kleinkunst recht gern!
– eine Comic-Episode alternativen Stadtlebens
Die Schönheit des Scheiterns
Andreas Eikenroth, Edition 52, 2013
Andreas Eikenroths erste längere Veröffentlichung entpuppt sich als kurzweiliger Page-Turner mit dem gewissen Hauch Anspruch. Comics über zynische junge Menschen lesen wir ja spätestens gerne seit Clowes »Ghostworld«. Wer also von solchen in Deutschland lesen will und Bock auf ein Pinnchen Zeitgeist hat, dem sei »Die Schönheit des Scheiterns« ans Herz gelegt. An »Ghostworlds« nüchtern pointierten Satirestil kommt es zwar nicht heran, muss es aber auch nicht. Ganz ohne unnötige Vergleiche aufzustellen, greifen wir den mutigen Vertretern der international betrachtet immer noch kargen deutschen Comicszene gerne unter die sehnenscheidenentzündeten Arme, ganz besonders den doppelt mutigen Debütanten.
Erster Gedanke…
Der Titel, das ist doch ein subtil verändertes Tomte-Zitat! Zweiter Gedanke: Soll mich das jetzt auf Generation, Tonfall und Milieu des Werks einstimmen? Dritter Gedanke: Es gibt Leute, die Tomte (noch) kennen!?
Selbst wenn das nur meine eigene, ungebildete Pop-Song-Assoziation ist, zieht mich die schlierenhafte Erinnerung an Tomtes Bestseller mitten in die bittersüße Stimmung desillusionierter junger Menschen, im dumpfen Grenzgebiet zwischen Verzweiflung und Hoffnungsschimmer. Desillusioniert, weil der Plan, mit Talent und persönlichen Stärken eine nützliche und innovative Arbeit zu verrichten über die Jahre kräftig zurechtgestutzt wurde. Die ‚Arbeit mit der man sich identifizieren kann‘ weicht der Schufterei in GmbH Hinz & Kunz oder nach erfolgreichem Seelenverkauf auch bei Pains & Profits Inc. mit Panoramaview. Die Kunst ist – sofern man Zeit findet – zum Hobby abgestiegen. Ich erwarte also ein jammervolles Hin- und Hergewälze von Selbstzweifeln (und Selbstmitleid), aufgrund mangelhafter gesellschaftlicher Funktion, aufgearbeitet in poppigem Cartoonstil – für den coolen Kontrast. Doch schlagen wir den Band erst einmal auf und meckern dann erst weiter.
… schlagartig beendet
In einer beliebigen Kneipe blickt ein blonder junger Mann traurig in seine Bierflasche. Die erste Äußerung bestätigt schamlos lyrisch den anfänglichen Eindruck: „Wenn sich Sterben so anfühlt, dann sterbe ich.“ Würg. Doch glücklicherweise beendet ein Schlag auf den Hinterkopf die bohèmische Wehleidigkeit und stimmt den Ton neu an. Zurück auf den Boden.
Es folgt eine Rückblende: Wir sind bei einer Lesung, der geschwollene erste Satz entpuppt sich als vom Hinterkopfklatscher verfasste Prosa und die schlecht besuchte Veranstaltung wird gerade von einem alkoholisierten Störenfried – dem Blonden mit der Bierflasche – aufgemischt. Der schafft es, die kleine Menge der Anwesenden mit wenigen flapsigen Zwischenrufen dazu zu bringen, den gelackmeierten Autor links liegen zu lassen und sich stattdessen über die aktuellen Fußballübertragungstermine auszutauschen. Der Störenfried, so stellt sich im Folgenden heraus, ist Protagonist Paul, der belästigte Dichter einer seiner Freunde und der Klaps vom Anfang die Revanche für die sabotierte Lesung. Na, gut, Kurve gekriegt. Lesen wir weiter.
Prolet Paul und sein Hamsterrad
Aus Pauls Sicht erlebt der Leser nun dessen Alltag. Langeweile und Unterforderung bei der monotonen Malocherei, Müdigkeit und Planlosigkeit. Die repetitiven Tage, werden repetitiv beendet: das erste Bier haucht nach getaner Arbeit der Geistlosigkeit ein Quäntchen Geist ein und läutet rituell den Abend ein. Und auf das erste folgen das zweite, dritte und vierte.
Wie beim Hamster im Laufrad geht es vorwärts und doch nicht. Außerplanmäßige Arbeit wird, wenn möglich, vermieden in Erwartung zu scheitern – und ums Scheitern, so hat sich der aufmerksame Leser vom Titelblatt gemerkt, dreht sich ja schließlich der vorliegende Band. Prolet Paul übernimmt dabei die Hauptrolle und zeigt uns, dass man auch ohne große Pläne immer wieder im Kleinen scheitern kann. Zugegeben, ‚Prolet‘ ist vielleicht ein bisschen hart, denn schließlich singt Paul in einer Band, interessiert sich prinzipiell für Kunst (besonders Künstlerinnen) und bringt genügend Punkmentalität mit, um als ‚alternativ‘ durchzugehen.
Um Paul herum sieht es nicht anders aus: Bandkollegen und Kneipenbekannte, befreundete Kleinkünstler etc. werden immer wieder mit Nichtgelingen entlohnt. Sogar die Eltern – naja, Väter – der Freunde werden durch den Glückspiraten Paul an ihre traumerfüllte, aber natürlich nichtgelungene Musikerjugend erinnert, jäh herausgerissen aus der schönen nostalgischen Stimmung durch die werte Ehefrau, die wiedermal irgendeine Ehefrauen-Belanglosigkeit durch den Äther plärrt (Verantwortungsübernahme und Familienplanung als Traumkiller – na, wer traut sich zu widersprechen?). Alle stolpern bestenfalls mittelerfolgreich durchs Leben. Paul zeichnet dabei die größte Bestimmungslosigkeit aus. Der perfekte Reflektor für das Tun und Machen der anderen. Und die machen größtenteils Kunst.
Geliebte Kunst
Gallionsfigur der Kunst wird hierbei ‚die Neue‘ im Freundeskreis: die frischgebackene Kunststudentin Ina. Der Taugenichts mit Herz trifft auf die kreative Kunsttheoretikerin. Oha.
Man mag sich nun fragen: Ist es denn möglich, dass es letztlich in »Die Schönheit des Scheiterns«, wie in so vielen, vielen Geschichten, vor allem darum geht, wie ein Junge ein Mädchen trifft und was alles passiert bis beide im Bett landen? Tatsächlich! Doch das soll nun weniger wertend gemeint sein als es klingt. Im Ernst: Das Schema nutzt sich schließlich nicht ab!
Während der charmant gemeinte Protagonist in knabenhaft trotziger Manier für eine Kunst eintritt, die von jedem Hans Wurst verstanden werden muss und auf Knopfdruck, möglichst ohne Kopfarbeit („Kunstkopfkacke“), Gefühlsausbrüche triggert, repräsentiert sein neuer Schwarm Ina die 180 Grade um den Kunstkreis gelagerte konstruktivistische Ansichtsweise. Alles ist Geometrie. Menschliche Gefühle können in der Kunst ganz besonders durch Abwesenheit glänzen.
Findet sich für die vermenschlichten Vertreter des jahrtausendealten Konflikts zwischen abstrakt-langweilig und romantisch-kitschig eine adäquate Lösung? Können die Kunstrichtungen wenigstens im Zwischenmenschlichen harmonieren? Der schlanke Comicband jedenfalls gibt – und ich denke, dass kann ohne zu spoilern gesagt werden – auf diese brennende Frage auch keine langfristige Antwort.
Kunstkopfkacke
Die wackelige Liebesgeschichte beiseite geschoben: Das Künstlertum steht im Fokus des Comics über das Scheitern. Nicht nur Paul, der verhinderte (Lebens-)Künstler und Ina, die fleißige Konstruktivistin, sondern auch deren Freundeskreis malt, musiziert, schreibt an irgendetwas herum. Anhand der verschiedenen Künstlertypen werden unterschiedliche Künstlerproblemchen angeschnitten: Die Blockade, die Prokrastination, die Allüre, Drogen, Klischeehaftigkeit und ständiger existenzbedrohender Geldmangel.
Paul im Mittelpunkt mag dabei nicht zwangsläufig für jedermann das sympathischste Bürschchen darstellen. Während dieser so ganz verliebt ist ins Gefühlehaben, versäumt er andere Sichtweisen zu tolerieren und die Arbeit hinter der Kunst zu würdigen. Texte schreiben: keinen Bock. Fressehalten bei der Lesung des Freundes: keinen Bock. Für den Auftritt proben: keinen Bock. Sich das künstlerische Manifest der quadratemalenden Freundin anhören: keinen Bock – aber gehörig Bock sie abzuschleppen. Schlaue Frauen sind schon toll – doch gut, dass auch die Brüste haben!
Form follows function – ein Fazit
Mit dem faulen Paul als Vehikel umkreist der Comic also verschiedene Facetten des Umgangs mit Kunst und KünstlerInnen und regt auf unterhaltsame Art und Weise zum Nachdenken an. Keine Bange, ganz unkompliziert! Weder ernstgemeinte existentialistische Diskurse noch aufgeblasene Moral stören die sympathische Komödie. Der Zeichenstil bleibt dabei, was Figuren als auch Hintergründe angeht, locker cartoonig skizzenhaft und erinnert an Frankreich. Die häufig minimalistisch gestalteten Panels gewinnen an Lebendigkeit durch den kräftigen Tuschestrich. Die vermutlich digital eingefügten Graustufen sind mir zwar etwas zu glatt, aber dafür im 21. Jahrhundert angekommen. Farbe wird eh überbewertet. (Schwarzweiß bedeutet für mich, als langjährigen Manga-Enthusiast, weder Geldsparerei noch Minimalismus, wie es dem farbverwöhnten Comicfreund gerne mal als Kritik entfleucht). Der Handlung ist sehr gut zu folgen – nicht selbstverständlich bei Comic-Erzählungen, die Figuren sind unterscheidbar und die aufs nötigste heruntergebrochenen Gesichtszüge vermitteln glaubhaft genug das emotionale Bollwerk zu den ebenfalls glaubhaften, schlagfertigen Dialogen.
Realistisch aber satirisch angehaucht wird so ein typischer Slice-of-life erzählt, der während der Fahrt aufgenommen und auf der Strecke wieder losgelassen wird. Das ‚echte‘ Leben entwickelt nun einmal selten abgeschlossene Storybögen. Das Rad wird natürlich wieder einmal nicht neu erfunden. Da dies aber immer wieder nach hinten losgeht – quasi zum Scheitern verurteilt ist, bin ich persönlich froh darüber, dass der Versuch in »Die Schönheit des Scheiterns« nicht gestartet wird. Man kann also zufrieden sein mit einem stolperfrei im Comicmedium erzählten, geistreichen und recht amüsanten Episödchen jungen Stadtlebens (ein Vögelchen flüsterte mir: „Das soll Gießen sein, goo googlegoo!“ – nicht wirklich wichtig, aber auch nicht uninteressant zu wissen, denn Stadtportraits sind doch immer schön!).
Das Scheitern und der Alk: Eine gefährliche Melongsch?
Ein bisschen, ganz leise Gesellschaftskritik ist auch zu hören: Selbst bei den Intellektuellen und Möchtegernintellektuellen ist Saufen Volkssport und bestes Mittel, die Schwere des Seins erträglich zu machen. Okay, das war es schon immer. Kotzelachen (mit langem ‚a‘), Polizei und blaue Augen deuten eine indirekte Wertung an, doch als Ausgleich dann: das volle Weinglas als Metapher für den Hoffnungsschimmer. Kurz möchte ich motzen: Das geht ja so nicht! Soll ich jetzt saufen, oder nicht!? Aber denke mir dann: Wir sind doch alle erwachsen und den moralischen Holzhammer will ja nun auch keiner. Die Schönheit des Scheiterns verurteilt nicht, sondern porträtiert – nicht sehr eindringlich und längst nicht umfassend, aber das kann auf leichtfüßig daherkommenden knappen 100 Seiten auch nicht verlangt werden.
Zum Schluss…
…bleibt für mich trotz allem die Frage offen: Wieso jetzt ‚Schönheit‘? Raff‘ ich ehrlich gesagt nicht. Klingt ja gut und irgendwie so ein bisschen melancholisch, nach verpatzten Chancen (aha!) und Daseinsberechtigung jeder ‚schönen‘ Lebensform, aber…
Auch wenn ich in vollster Ignoranz jetzt andere Vorbilder wie vielleicht Schlingensief beiseite schiebe und mich an meinem Tomtetext hochziehe: Da hätte man ja auch was anderes nehmen können. „Wir scheitern immer noch“ – wenn die Toten Hosen nicht (mittlerweile) so urpeinlich wären. Oder direkt „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst!“ Da kann man sicher auch was abändern, so dass das Gegenteil daraus wird. Zu sperrig, vielleicht. Ist ja aber auch nicht meine Aufgabe, mir Titel auszudenken.
Disclaimer: Fischpott hat eine Rezensionsexemplar vom Verlag Edition 52 erhalten.
Na, da beantworte ich hier doch mal kurz deine letzte Frage:
Es ist nur ob des Klanges Willen,
und weil da für meine Ohren so´n bisschen Kaurismäki oder Tom Waits mitschwingt.
-und zur vorletzten Frage… Ja, du sollst. Nicht unbedingt täglich, aber mit Hingabe.
ciao,
AE
Das ist doch mal nicht schlecht, konkrete Antworten zu bekommen. Da bedanke ich mich! Ohje, Kaurismäki musste ich jetzt zugegebenermaßen googlen… das nächste Bierchen geht dann hingebungsvoll auf Bildungslücken und auf Paul und seine Gang. 🙂