Knives Out
Mord im Orientexpress, Alle Mörder sind schon da, 16 Uhr 50 ab Paddington, Mord mit kleinen Fehlern, Das Mörderspiel, Eine Leiche zum Dessert – das so genannte Whodunnit (übersetzt: „Wer hat es getan?“) hat als filmisches Genre eine lange Tradition, die gerade in den 70er- und 80er-Jahren viele Klassiker hervorgebracht hat. Wie der Western oder das Historienepos auch sind diese klassischen Krimis, bei denen die Aufklärung eines Mordes und die damit verbundene Tätersuche auf der Großleinwand im Vordergrund stehen, über die Jahre hinweg etwas aus der Mode geraten. Sollte man zumindest meinen. Dann kam Rian Johnson.
Der Regisseur und Drehbuchautor mit einer Vorliebe für Erwartungen und das Untergraben selbiger entschloss sich, nach einem kleinen, kontroversen Schlenker in eine weit, weit entfernte Galaxis, das vermeintlich totgeglaubte Genre des Whodunnit wieder aufleben zu lassen: Einen der altmodischen Kriminalfilme, entscheidend geprägt von den Verfilmungen diverser Agatha Christie-Romane, für die moderne Zeit – mit allem, was dazugehört: Die Trailer versprachen eine twistreiche Handlung, einen findigen Spurensucher in der Tradition von Hercule Poirot oder Miss Marple sowie ein prominent besetztes, großes Schauspielensemble. Aber Rian Johnson wäre nicht Rian Johnson, wenn er nicht darüber hinaus noch die eine oder andere Überraschung in petto hätte.
Am Morgen nach seinem 85. Geburtstag wird der erfolgreiche Krimibuchautor Harlan Thrombey (Christopher Plummer) tot in seinem Zimmer aufgefunden. Alle Zeichen sprechen für Selbstmord, doch als ein Unbekannter den legendären Ermittler Benoit Blanc (Daniel Craig) einschaltet, ändert sich alles. Schnell wird klar: Jeder aus Thrombeys Familie (u.a. Chris Evans, Jamie Lee Curtis, Don Johnson, Toni Collette, Michael Shannon, Katherine Langford) hätte ein Motiv, den alten Mann aus dem Weg zu schaffen. Und auch Harlans Pflegerin Marta Cabrera (Ana de Armas) scheint in dem zunehmend verzwickter werdenden Fall eine nicht allzu geringe Rolle zu spielen.
Erwartungen sind dazu da, um gebrochen zu werden
Knives Out ist in vielen Belangen ein klassisches Whodunnit – so lange, bis er es nicht mehr ist. Hier zuviel über die Handlung und vielen Wendungen zu schreiben würde den ganzen Spaß verderben, deshalb bleiben wir am besten vage und spoilerfrei: Wie schon in The Last Jedi spielt Johnson auch hier mit Erwartungen und untergräbt diese gezielt. Anders als in The Last Jedi tut er das hier deutlich geschickter und selbstbewusster.
Das Spiel mit den Konventionen des Genres geht schon in der ersten Szene los: Ganz klassisch geht eine Haushälterin mit dem Frühstückstablett die Treppen des großen Thrombey-Hauses hoch, nur um dort auf die Leiche Harlans zu stoßen. Anders in den großen Whodunnit-Vorbildern, in denen sie nun schreiend das Tablett fallen lassen und herausrennen würde, lässt sie es fassungslos leicht herabsinken, verschüttet so den Kaffee, versucht tollpatschig, das Tablett wieder zu balancieren und lässt dabei ein gezischtes „Scheiße“ entfahren – dann der Cut zum Titel. Es ist komödiantisch perfekt getimed und ist gleichzeitig ein perfekter Ausblick auf die Mischung aus Alt und Neu, die Knives Out bietet.
Wir sind die Thrombeys, verdammt nochmal!
Wie die guten alten Hercule Poirot-Filme lebt auch Knives Out von seinem überaus prominent besetzten Ensemble. Die Familie Thrombey mit ihren vielen Verdächtigen enttäuscht dabei keinesfalls. Besonders Michael Shannon, Jamie Lee Curtis und Toni Collette erweisen sich hier als absolute Highlights, die ihren Drecksack-Figuren viel Persönlichkeit verleihen und für einige der besten Momente in den laufenden Ermittlungen sorgen. Auch Chris Evans spielt überaus gekonnt gegen sein stoisches Captain America-Image an – aber Kenner wissen ja schon seit Scott Pilgrim, dass in Evans mehr steckt als nur der olle amerikanische Wahlkampflampion mit Schild aus der Marvel-Fabrik. Überhaupt, schauspielerische Ausfälle gibt es hier keine – lediglich der großartige Lakeith Stanfield wird in einer Nebenrolle als „Straight Man“ etwas verschwendet.
Aber hey, was wäre eine Agatha Christie-Hommage ohne einen charismatischen Ermittler? Im ersten Moment wirkt Daniel Craigs Benoit Blanc mit seinem übertrieben dicken Südstaatenakzent tatsächlich etwas befremdlich und wie eine Parodie. Glücklicherweise gewöhnt man sich schnell an diese exzentrischen Züge der Figur, was nicht zuletzt an Craig liegt, der sich mit vollem Elan in seine Rolle schmeißt. Der Spaß, den Craig an einer Rolle zu haben scheint, die endlich mal wieder nicht James Bond ist, ist in jeder Sekunde spürbar. Aber auch auf der Drehbuchebene funktioniert Benoit Blanc fabelhaft: Seine Vorliebe für umständliche Gedankengänge und extrem weit hergeholte Sprachbilder und Metaphern machen ihn zu einem witzigen und sympathischen Ermittler, der sich nicht hinter Hercule Poirot oder Miss Marple verstecken muss.
Ein Schuss politische Brisanz
Das Herz und die Seele des Filmes ist allerdings Ana de Armas, die schon in Blade Runner 2049 einen bleibenden Eindruck hinterließ. Sie verleiht dem Film in den wichtigsten Momenten einen emotionalen Ankerpunkt – zumal Knives Out zeitweise nicht vor ernsten, hochaktuellen Themen zurückschreckt. Der Film ist lustig, aber keine reine Farce oder Parodie und der tonale Balanceakt funktioniert zum einen dank Johnsons durchdachtem Drehbuch, aber eben auch wegen de Armas und ihrer Figur.
Auch filmisch versteht Rian Johnson sein Handwerk. Dass der Mann visuell einiges auf dem Kasten hat, wissen wir ja schon seit The Last Jedi. Hier fügt er einige großartige Schnitte und Kameratricks seinem Repertoire hinzu (besonders hervorzuheben sind ein beeindruckender Kameraschwenk nach unten sowie eine Schlüsselszene, in der die Einstellung nahtlos von Steadicam auf Handheld wechselt), die allerdings nie ablenkend oder angeberisch wirken, sondern sich perfekt in die twist- und temporeiche Handlung einfügen. Der Soundtrack besteht aus vielen schnellen und leichtfüßigen Violinenpassagen, die gut zu dem Ton des Films passen, trotzdem aber gelegentlich ein eingängiges Leitmotiv vermissen lassen.
Viel mehr sollte man tatsächlich nicht zu Knives Out verraten. Johnson weiß genau, was er da tut, spielt meisterhaft mit den Genres und mit jedem Kniff im Drehbuch wird die Handlung ein Stück weiter rekontextualisiert. Trotzdem erkennt man auch hier Johnsons Liebe zum Genre: Mal äußert sich ein Charakter zum Thrombey-Haus mit den Worten „Der Mann lebt praktisch auf einem Cluedo-Brett“, mal sieht ein Charakter im Fernsehen eine Folge Mord ist ihr Hobby. Oder nehmen wir den vielleicht besten Hintergrundgag des gesamten Films: In einer der ersten Szenen sieht sich die Schwester der Protagonistin einen Film auf ihrem Laptop an. Diesen Film sieht der Zuschauer nie, dafür spielt sich als Audio folgender Dialog ab (übrigens in einem geheimen Cameo von Rian Johnson-Spezi Joseph Gordon-Levitt): „Du hast ihn aufgeschlitzt, ihn in seinem Blut liegen lassen, den Schädel mit einem Gabelstapler zertrümmert und die Finger wegen der Abdrücke abgesengt.“ „Ihr habt keine Beweise!“ „WIR HABEN DIE AUFNAHMEN VON DER NANNY-CAM!“
Nach dem Erfolg von Knives Out an den Kinokassen hat Rian Johnson übrigens bereits weitere Abenteuer mit Benoit Blanc angekündigt. Nach einem derart unterhaltsamen ersten Fall kann man da nur sagen: Aber sowas von gerne!
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der Blu-ray Disc erhalten. Knives Out ist ab dem 8. Mai 2020 als DVD, Blu-ray, 4K Ultra HD Blu-ray und digital erhältlich.
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