Lufia II (1995)
Lufia II – Rise of the Sinistrals, in Deutschland nur als Lufia erschienen, ist ein Rollenspiel mit Puzzleelementen, rundenbasierten Kämpfen und mittelmäßiger Grafik. Es ist ein faszinierendes Spiel, weil es gegenüber seinem Vorgänger in unzähligen Detailinnovationen verbessert wurde.

Die Story. Was die Story betrifft, ist dieser zweite Teil der Reihe sogar der Vorgänger von Lufia I – The Fortress of Doom, und so muss an dieser Stelle auch keine Vorgeschichte erzählt werden. Der Spieler beginnt als der rotschopfige Krieger Maxim, der von Berufs wegen Monster erschlägt. Sowieso ist Maxim ein virtuoser Schwertkämpfer, ohne dass er diese Fähigkeit jemals erlernt hätte. Ob wohl heldenhaftes Blut in ihm fließt?
Jedenfalls gab es jüngst eine Monster-Inflation – Böses ist im Anmarsch – und so macht sich Maxim auf den Weg, die Welt zu retten…doch vor wem eigentlich? Nun, unbekannte Großmächte – die so genannten „Höllenfürsten“ („Sinistrals“) – schicken sich an, Tod und Verderben anzurichten. Diese kann Maxim mit seinen maximal drei Mitstreitern (Artea, Guy und Selan) jedoch nur vernichten, wenn er zuvor das namensgebende Lufiaschwert 1 findet.
Bei Lufia finden wir also eine simple GoodVsEvil-Story vor, die allenfalls am Rande durch seichtere Nebenstränge aufgelockert wird, im Wesentlichen aber mit nichts weniger als der Rettung oder Vernichtung der Welt enden kann. Und obwohl das nicht sonderlich originell ist, fühlt man sich doch sehr in den Bann der Erzählung gezogen. Erstens wird sie für ein Nintendospiel ausgesprochen kompromisslos erzählt: Herzen werden gebrochen, Kinder entführt, ganze Dörfer mitsamt ihrer Einwohner vernichtet. Zweitens spielen wir keine üblichen Helden wider Willen, sondern entschlossene Krieger, die sich ihrer Verantwortung jederzeit bewusst sind und die man deshalb als Spieler ernst nehmen kann. Und drittens – last but not least – werden die besten, „epischen“ Teile des sonst eher mäßigen Soundtracks für die entscheidenden Passagen aufgespart, so dass die Handlung eine angemessene Klimax erhält.
Gameplay, Teil I: Die Aufgaben. Auf dem Weg zu den Höllenfürsten muss eine Reihe von Quests durchlaufen werden, deren Ablauf im Grunde immer wieder folgendermaßen abläuft:
- Starte in Dorf/Stadt/Burg XYZ, erhalte einen Auftrag.
- Gehe zum nächsten Dungeon (Höhle/Keller/Turm) und erarbeite einen Weg zum Endgegner.
- Mach‘ den Endboss platt.
- Nun ist der Zugang zum nächsten Dorf frei.
- Das Ganze von vorn.
Ganz klassisch JRPG2 also. Hört sich langweilig an, ist es aber nicht. Zum einen sind die Aufgaben gut in die Story eingearbeitet, zum anderen sind die Dungeons abwechslungsreich gestaltet und durch diverse Puzzleelemente ergänzt. Die Puzzleelemente sind dabei teilweise obligatorisch, teilweise optional, und ihr Schwierigkeitsgrad rangiert von mach- bis unlösbar. (Ja, wirklich unlösbar.)3
Gameplay, Teil II: Das Alltagsgeschäft. Man muss viele Kämpfe bestreiten, um Erfahrungspunkte (zum Leveln) und Gold (zum Einkaufen für Rüstungen und Waffen) zu sammeln. Das Kampfsystem ist simpel, jedoch mit einigen feinen Eigenarten bestückt: So sind die Gegner in den Dungeons sichtbar (in der Oberwelt nicht) und bewegen sich nur, wenn man sich selbst bewegt, was den Spieler dazu verpflichtet, seine Laufwege genau zu planen (auch für Puzzles spielt die Zahl der Schritte oft eine entscheidende Rolle). Auch sollte man sich nicht von hinten von einem Monster erwischen lassen, denn dann darf der Gegner die erste Attacke ausführen, was ein entscheidender Nachteil sein kann. In den Kämpfen selbst hat man, neben den klassischen Optionen Waffenkampf, Zauber, Einsetzen von Items und Flucht, noch die Option der Zornattacken: Dies sind Spezialeffekte einzelner Waffen und Rüstungen, für die „Zornpunkte“ gesammelt werden müssen; diese werden wiederum gesammelt, wenn man attackiert wird: Man ist also gelegentlich dazu verleitet, sich die Fresse polieren zu lassen, um dann qua Zornattacke umso heftiger zurückzuballern: Großartiges Konzept!
Gameplay, Teil III: Die Ahnenhöhle. Ein zentrales Sahnehäubchenist die „Ahnenhöhle“ in der Nähe des Ortes Gruberia; ein bei jedem Betreten neu – zufällig – generierter, optionaler Dungeon mit 99 Stockwerken, unzähligen Schätzen und noch mehr Gegnern. Man beginn die Ahnenhöhle bei jedem Betreten von Level 1, ohne Ausrüstung (außer zehn Heiltränken) und kann sie nur verlassen, wenn man im 20. Stockwerk ein Item namens „Gotteshand“ findet: Dann, und nur dann, kann man alle Schätze behalten, die man in den wenigen blauen Truhen der Ahnenhöhle gefunden hat – alles andere muss ohnehin abgegeben werden. Findet man Gotteshand nicht, sollte man aufhören, denn der weitere Durchgang der Ahnenhöhle – der Stunden dauern kann – ist dann ohnehin verloren. Und es gilt ohnehin: Wenn man stirbt, ist alles verloren, denn zwischendrin speichern is‘ nich! Gut überlegen sollte man sich deshalb, wann man sicherheitshalber flieht, denn um alle 99 Ebenen zu durchstreifen, benötigt man sowieso mehrere Anläufe, niemand schafft man es beim ersten Mal, versprochen!
Wegen ihres Umfangs ist die Ahnenhöhle also fast ein eigenes Spiel im Spiel – Lufiaception.
Warum ist das Spiel jetzt so geil?
Im ersten Teil von Lufia (1993) wurden gewisse Grundlagen für Lufia II gelegt: Die Farbgebung, einige Storyelemente, Gegner, Menüführung … dennoch: die Dungeons sind eintönig, das Kampfsystem ist simpel, die Monsterdichte viel zu hoch und die Bewegungsgeschwindigkeit der Figuren entspricht etwa der Austrittsgeschwindigkeit von Ketchup aus der Flasche.4 Der erste Teil von Lufia ist nahezu unspielbar und ich finde es erstaunlich, dass überhaupt ein Nachfolger produziert wurde.
Jedoch, er wurde nicht nur produziert, sondern das auch noch gut. Das gelang vor allem durch unzählige Änderungen und Erweiterungen, die vom ersten zum zweiten Teil vorgenommen wurden; und fast jede dieser Änderungen stellt eine Verbesserung dar. Um nur einmal meine Top 10 dieser Innovationen zu berichten:
10. Der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe wurde geringfügig zurückgefahren.
9. Dungeons sind abwechslungsreicher – vorher langweilige Höhlen, nun Türme, Keller, Höhlen …
8. Die Grafik wurde verbessert, auch und insbesondere Magie-Animationen. Zudem gibt es nun eigene Hintergründe für Kämpfe (in Teil I sieht man nur die Oberwelt im Hintergrund).
7. Monster sind nun innerhalb der Dungeons sichtbar. Monster bewegen sich (nur), wenn man sich selbst bewegt. Das einzukalkulieren macht Spaß und erlaubt, Dungeons schneller zu durchqueren.
6. Kapselmonster: Gefährten, die man füttern kann, damit sie stärker werden und die einem im Kampf unterstützen (allerdings eigenmächtig); sterben sie im Kampf, kommen sie dennoch wieder.
5. Wenn man einen Charakter angewiesen hat, ein Monster zu attackieren, welches vor seiner Attacke stirbt, schlägt unser Held nun nicht mehr in’s Leere (was mich zur Weißglut treibt), sondern wendet seine Attacke einem anderen Gegner zu.
4. Zornattacken wurden eingeführt (siehe oben).
3. Die Ahnenhöhle wurde erfunden (siehe oben).
2. Es gibt mehr und vor allem interessantere Charaktere. Der coolste von ihnen ist Dekar.
1. Das Durchqueren der Dungeons wurde um Puzzleelemente erweitert. Das ist zwar ein offensichtlicher Zelda-Ripoff, aber ein guter! Dazu gehören das gezielte Verschieben von Gegenständen, aber auch die geschickte Benutzung funktionaler Gegenstände wie Bomben, Pfeilen und Enterhaken. Nicht selten sind dabei komplexe Logikprobleme zu lösen, z.B., wie man eine Aufgabe mit maximaler Effizienz löst; die Vielseitigkeit der gestellten Aufgaben ist enorm und fast nie hat man das Gefühl, dass sich eine Aufgabe wiederholt.
Insgesamt darf also gelten: Wem schon Lufia I – The Fortress of Doom gefallen hat, der wird Lufia II – The Rise of the Sinistrals lieben. Aber auch, für wen das nicht gilt, dem sei ein Anspielen von Lufia II wärmstens ans Herz gelegt.
- In der englischen Fassung ist nie von einem „Lufiaschwert“ die Rede, es heißt dort schlicht “dual blade“; der Name Lufiaschwert ist wohl eine deutsche Erfindung, um den Namen des Spieles zu rechtfertigen: Im ersten Teil, der in Deutschland nie erschien, hieß die Gefährtin unseres Helden „Lufia“. ↩
- Japanese Role Playing Game. ↩
- Als Beispiel sei „das schwerste Spiel der Welt“ angeführt (Achtung, Spoiler): https://www.youtube.com/watch?v=RmWEBN4elS8 – Hat das jemals jemand eigenständig gelöst!? ↩
- Etwa 40km / Jahr, u.a.: https://www.likemonster.de/1-die-durchschnittliche-austrittsgeschwindigkeit-von-ketchup-aus-der-flasche-betraegt-etwa-40-km-jah . ↩