Mad Love in New York
Auf Romanze gebürstet? Das ist schlecht. Fast mehr als schlecht. Wer 1981 bei Christiane F. und den Kindern vom Bahnhof Zoo überzeugt war, den Arsch der Welt auf der Leinwand gesehen zu haben, wird nicht mit Harley (Arielle Holmes) und Ilya (Caleb Landry Jones) gerechnet haben. Deren 93-minütige Mad Love in New York ist zwar nicht mehr taufrisch, sondern von 2014, jetzt aber auf DVD und Blu-ray bei Koch Media verfügbar. Wir sind inzwischen also, was das angeht, ein Stück näher an den Straßen von Brooklyn und den Brüdern Benny und Josh Safdie, die das Original unter dem Titel Heaven knows what drehten.
Als die Safdies in Manhattan an dem Thriller Uncut Gems arbeiteten, stolperten sie über Arielle, die ein unbezahltes Praktikum bei einem Juwelier absolvierte. Schließlich ging es in ihrem Film um Gems, Edelsteine also. Doch plötzlich erschienen den Brüdern das Mädchen und ihre Lebensgeschichte als der wertvollere Diamant. Sie baten Arielle, ihre Story aufzuschreiben: von der Geburt 1993 über das Heranwachsen bei Verwandten in New Jersey, die ersten Erfahrungen mit Crack im Alter von zwölf Jahren, das Scheitern in der Schule bis zum Wechsel nach New York, wo sie mitsamt ihrem neuen Freund Ilya so richtig abkackte. Die Safdies bezahlten das Mädchen Seite für Seite, damit sie am Ball blieb, und ließen sie schließlich vor der Kamera ihr eigenes Leben spielen.
Aber ja, das klingt sehr nach Vera Christiane Felscherinow, jener Christiane F. vom Babystrich in Berlin: ebenso ab zwölf im Drogenmilieu unterwegs, von Stern-Reportern zur Autobiographie genötigt und dann ins Kino katapultiert, nur dass man die Hauptrolle der gefälligeren Natja Brunckhorst gab. Regisseur Ulrich Edel ließ die Darstellerin im Riesenstrahl an eine Wand kotzen oder sie mit dem Kopf in eine versiffte Kloschüssel abtauchen. Im deutschen Film war es bisher nicht so heftig zugegangen, in Amerika schnitt man schwer Verdauliches einfach raus. Mit Mad Love aber ziehen die Staaten rasant auf der Überholspur an dem alten Teutonen-Schocker vorbei.
Man muss zum Vergleich nur den Trailer von Christiane F. anschauen, um im Bild zu sein. Da lauscht Natja mit Engelsgesicht dem Co-Schauspieler David Bowie und seinem Song „Heroes“, da begegnet sie in einer Schicki-Bar einem Bübchen, der ihr Freund und Mitdrogist wird, da tigert sie perfekt auf Flittchen geschminkt durch den Glitzer des Berliner Nachtlebens. Das alles bleibt poliertes Elend für die Kundschaft von Kö und Ku’damm. Mit Mad Love in New York dagegen benötigen Zuschauer keine Viertelstunde, um so richtig angepisst zu sein. Zum Auftakt schieben Harley und Ilya eine durchaus liebevolle Nummer, nur dass sich der Kavalier nicht mal die Mühe macht, für den Fick die Kapuze seines Hoodies abzustreifen. Überhaupt macht der Unsympath wenig Aufhebens um sein Mädel und gefällt sich in dem Geistesblitz, ihr als Liebesbeweis einen Selbstmord per Rasierklinge abzuverlangen.
Blasse Winterluft, ungesättigte Farben, entlaubte Bäume – Kälte zieht in jede Pore, selbst künstliches Licht in Innenräumen hat gerade mal den Charme grünlicher Neonstrahler. Hochprozentiges zum Frühstück, kollektiver Dachschaden, Nikotinbelag als Zahnfüllung. Nichts fleht darum, geliebt zu werden, auch nicht der Gastauftritt des Rappers Necro, zumal er musikalisch die Füße still hält. Bei aller Fürsorglichkeit kann selbst Harleys Ersatzbegleiter Mike (Buddy Duress) allein wegen seiner ewig verpennten Augen keine Seele erweichen. Erkenntnis aus diesem eindrucksvoll präsentierten Milieu: Jeder Rausch dauert maximal bis zum nächsten Wachsein, also kann die Lösung nur darin bestehen, das Wachsein zu ertragen oder besser noch, es mindestens so zu genießen wie Dämmerzustand und Schlaf. Als ermutigende Parallele zu Christiane F. bleibt die Tatsache, dass auch Arielle über die künstlerische Verarbeitung wieder zu sich fand. 2016 wurde sie für American Honey und Winter’s Dream nochmals vor die Kamera geholt und wirkt in den Extras der DVD Mad Love in New York wie eine gefestigte Persönlichkeit.