Manhunter
Unlängst wurde Michael Manns »Manhunter« als Special Edition auf Blu-ray wiederveröffentlicht. Grund genug, eine Lanze für diesen verkannten Film zu brechen.
Dr. Hannibal Lecter: Psychologe, Lebemann, Gourmet, Genie, Psychopath. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Figur sich ähnlich wie Sherlock Holmes oder Fantomas weit über unsere Zeit hinaus im kollektiven Bewusstsein verankern wird. Und bis heute ist Lecter für viele untrennbar verbunden mit Anthony Hopkins’ grandioser Darstellung des Kannibalen. Zu wenige wissen aber, dass Hopkins nicht der erste Schauspieler war, der Lecter fürs Kino zum Leben erweckte. 1986, fünf Jahre vor Jonathan van Demmes »Das Schweigen der Lämmer«, adaptierte Michael Mann (»Heat«, »Collateral«) mit »Manhunter« den ersten Lecter-Roman, Thomas Harris’ »Roter Drache«, welcher damals leider in der Masse unterging und im Nachhinein für Jahre im Schatten der »Lämmer« stand und fast vergessen wurde. 2002 wurde der Roman sogar unter seinem Originaltitel mit Anthony Hopkins erneut verfilmt.
Alles deutet somit scheinbar darauf hin, dass »Manhunter« nichts weiter als eine kleine Fußnote der Filmgeschichte sei, wie der erste James Bond-Film »Casino Royale« von 1954 oder »Inspector Clouseau« mit Alan Arkin. Doch Manns Film, das muss man einfach mal so sagen, ist mit der Zeit gereift wie guter Wein, während Brett Ratners »Roter Drache« trotz hervorragender Besetzung (Edward Norton, Ralph Finnes, Philip Seymour Hoffman, Emily Watson und eben Anthony Hopkins) maximal Mittelmaß erreicht.

Graham und Lecktor
Dabei ist die Geschichte bei beiden Filmen gleich und weitgehend nah am Roman: Der Serienmörder »Zahnfee« stellt das FBI mit seinem bemerkenswert extravaganten Modus Operandi vor ein Rätsel. Verzweifelt wendet sich die Behörde an Will Graham, ein Profiler-Genie, das vor Jahren den Dienst quittiert hat. Graham wiederum such Hilfe bei dem Mann, der ihn selbst zur Kündigung bewegte: den kannibalischen Psychiater Hannibal Lecktor (eine Schreibweise, die den Produzenten wohl bedrohlicher erschien), den er vor Jahren als Serienmörder überführt hatte. Zusammen versuchen sie ein Profil der »Zahnfee« zu erstellen, wobei Graham zu spät erkennt, dass Lecktor tiefer in den Fall involviert ist, als es zunächst scheint.

Brian Cox als Hannibal Lecktor
»Manhunter« funktioniert gleich auf mehreren Ebenen wesentlich besser als wahrscheinlich alle folgenden Lecter-Filme (mit Ausnahme von »Das Schweigen der Lämmer« natürlich). Zum einen bleibt Lecktor vorbildlich im Hintergrund. Anstatt sich ganz auf diese Figur zu verlassen, bleibt sein Einsatz sparsam, aber umso wirkungsvoller. Der Fokus liegt auf Will Graham, der durch seine empathische Ermittlungsmethode zunehmend von seinen Gegenspielern, der Zahnfee Dollarhyde und Lecktor, seelisch vereinnahmt wird. Das psychologische Spiel, das sich zwischen den Figuren spinnt, wird nicht endlos verbal ausgerollt oder durch aufdringliche Symbolik präsentiert. Stattdessen verlässt sich Michael Mann ganz auf sein Können als Filmemacher: wohlüberlegte Bildinszenierungen, intensive Einstellungen und der effektvolle Gebrauch von Farben und Musik. Letztere erinnern in ihrer 80er-Ästhetik auf den ersten Blick stark an Manns damaliges Hauptwerk »Miami Vice«, erzeugen allerdings vor allem eine fesselnde, bedrohliche Stimmung – vielleicht gerade durch den entstehenden Kontrast.

Tom Noonan als Francis Dollarhyde aka Zahnfee
Zudem gibt der Film den Schauspielern Raum, allesamt sträflich unterschätzte Charakterdarsteller. William Peterson (den meisten bekannt als nerdiger Chefermittler Gil Grissom in der durch »Manhunter« inspirierten TV-Serie »CSI«) spielt Will Graham als jemanden, dessen Lust an der Identifizierung mit Psychopathen etwas weiter geht, als ihm und seiner Umgebung lieb ist. Seine Beziehung zu Lecktor und der Zahnfee ist immer ein bisschen zu intensiv, als dass keine Zweifel an seiner eigenen geistigen Verfassung entstünden. Tom Noonan als Zahnfee Dollarhyde ist creepy; immer wieder schafft er es, Mitgefühl und Sympathie beim Zuschauer zu erzeugen, nur um im selben Augenblick durch einen Blick oder eine Geste klar zu machen, wie unmenschlich er zugleich ist. Und da ist natürlich Brian Cox als Hannibal Lecktor. Cox spielt die Figur, anders als Hopkins, nicht zu mysteriös, sondern gibt ihr etwas realistisches, handfestes. Cox’ Lecktor ist kein Graf Dracula, seine Zelle ist nicht aus dunklem Backstein in einem Keller, sondern ein strahlend weißer Raum, ohne jede Mystik. Er selbst ist kein Monster, kein Vampir, kein Geist oder Dämon, sondern ein hochintelligenter Psychopath, nicht mehr und nicht weniger – aber das reicht um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Stets ist man versucht, ihn zu unterschätzen, bis hinter seiner distanzierten, groben Fassade der geschickte Manipulator auftaucht, der er ist. Auf jeden Fall hat es Cox, wie auch Mads Mikkelsen in der TV-Serie »Hannibal«, verdient, dass seine Interpretation Lecters – oder Lecktors – neben Hopkins die nötige Anerkennung bekommt.
Fazit:
»Manhunter« ist kein Meisterwerk, auch nicht die beste Lecter-Adaption – vielleicht nicht einmal die zweitbeste (obwohl ich persönlich ihn nicht schlechter finde als Ridley Scotts »Hannibal«). Aber für sich genommen ist es ein kleines Genre-Juwel seiner Zeit. Und für einen Lecter-Filmabend Pflicht (im Gegensatz zu »Hannibal Rising«, aber das ist eine andere Geschichte…).

William Peterson als Will Graham