Männer die Frauen hassen
Anmerkungen zu »Verblendung«
(»The Girl with the Dragon Tattoo«)
Karl Stieg-Erland »Stieg« Larsson war der Titel seines Roman-Erstlings sehr wichtig. »Män som hatar kvinnor« (»Männer, die Frauen hassen«) heißt »Verblendung« im schwedischen Original. Seiner Verlegerin soll der im November 2004 verstorbene Autor gesagt haben, dass sie über vieles verhandeln könnten – der Titel hingegen sei »kompromisslos«. Wir werden nicht mehr erfahren, was er über die Marketingstrategien der internationalen Verlagshäuser und deren Titel-Wahl zu sagen hätte. Oder zu der Tatsache, dass sein erster Krimi gleich zweimal verfilmt wurde. Die aktuelle US-amerikanische Version läuft seit 12. Januar hierzulande in den Kinos. Fischpott-Autorin bk hat das Remake gesehen und stellt sich so manche Frage.
Verblendung in Zahlen
Im Land der ältesten Filmindustrie tun sich fremdsprachige Beiträge nach wie vor schwer. Synchronisation wird nicht gern gesehen, Untertitel erst recht nicht. Auch wenn die »Millennium-Trilogie« 17 Millionen mal über amerikanische Verkaufstresen ging, ob als Hardcover oder als ebook, konnte die Verfilmung von Niels Arden Oplev (2009) in den USA nicht punkten. Oplevs Budget von 13 Millionen brachte es weltweit auf ein Einspielergebnis von über 100 Millionen Dollar – nur war der amerikanische Markt an diesem Erfolg kaum beteiligt. Grund genug, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und mit David Fincher einen Golden-Globe-Preisträger (»The Social Network«) und Oscarnominierten (»The Curious Case of Benjamin Button«) zu engagieren. Seine Verfilmung liegt derweil in den USA auf Platz 4 der Kinocharts und hat sein 90 Millionen Dollar Budget bereits nach vier Wochen fast eingespielt. Bemerkenswert erscheint das Ganze vor allem angesichts Stieg Larssons politischer Gesinnung: Das Buch eines Kommunisten millionenfach zu verkaufen und dann auch noch zu verfilmen, wäre noch vor gar nicht so langer Zeit in den USA kaum denkbar gewesen.
Pipi Langstrumpfs Kampf gegen Rechtsextreme
Stieg Larssons Ziel war sicherlich nicht der Blockbuster. Ihm ging es um Verteidigung der Demokratie. Einem Gut, das nicht von Gott gegeben sei oder vom Himmel falle, für das jede neue Generation vielmehr begeistert werden müsse, erklärte er in der ZDF-Dokumentation »Die Stieg Larsson Story«. Mehrere Sachbücher und sein Magazin »EXPO« dokumentieren sein zu Lebzeiten ungebrochenes Engagement für Freiheit und Gleichberechtigung. Sein Buch »Extremhögern« (»Die extreme Rechte« – zusammen mit Anna-Lena Lodenius) gilt als Standardwerk über nationalsozialistische Netzwerke. Nebenbei schrieb er schon früh Krimigeschichten für Kinder. Die Idee für seine »Millennium-Trilogie« stammt aus seiner Zeit als Grafiker bei einer Nachrichtenagentur. »I picked up Pipi Longstocking. What would she be like today? What would she be called? Sociopath? … I made her into Lisbeth Salander«, zitiert Lasse Winkler den begeisterten Geschichtenerzähler einen Monat vor dessen fatalem Herzinfarkt in einem Interview. Stieg Larsson starb im Alter von 50 Jahren und konnte nie am Erfolg seiner Pipi teilhaben.
Eine ganze Generation kleiner Jungs träumte einst davon, Pipi Langstrumpf heiraten zu können. Mädchen wollten so sein wie sie. Nur wenigen, so der Autorin dieses Textes, kam Astrid Lindgrens Heldin suspekt vor. Lisbeth Salander zu lieben ist alles andere als leicht. Fast scheint es leichter, sie zu hassen. Und doch ist sie die zentrale Figur der Millennium-Trilogie, von der große Faszination ausgeht. Diese Figur für die Verfilmung angemessen zu besetzen, erschien mir als nahezu unlösbare Aufgabe. Welche Schauspielerin soll es schaffen, eine anderthalb Meter kleine, vierzig Kilo leichte Kickboxerin, eine schwersttraumatisierte Hackerin mit fotografischem Gedächtnis – frei von jeglicher Sozialkompetenz, dafür mit Faible für Tattoos und Piercings – glaubwürdig darzustellen? Noomi Rapace hatte es geschafft. Und Rooney Mara zieht mit ihr gleich. Dabei legt David Fincher den Schwerpunkt noch deutlicher auf das Mädchen mit dem Drachentattoo, gibt ihr mehr Raum, erzählt Aspekte, die bei Niels Arden Oplev verdichtet wurden. Das könnte das schlagende Argument sein, noch einmal für Verblendung ins Kino zu gehen.
James Bond als Journalist
Daniel Craig ist es jedenfalls nicht. Die männliche Hauptrolle des Mikael Blomkvist mit dem aktuellen James Bond zu besetzen, scheint den Einspielergebnissen zwar kaum zu schaden und hat auch mich ins Kino gelockt. Und doch liegt gerade hier ein wesentliches Problem: Die ständige Assoziation mit dem Top-Spion, die sich gerade in den Action-Szenen aufdrängt, nagt doch sehr an Daniel Craigs Glaubhaftigkeit als Enthüllungsjournalist. Zudem scheint der britische Schauspieler gar nicht so recht gewusst zu haben, worauf er sich eingelassen hat: Den schwedischen Film habe er gar nicht gesehen, erzählt er in einem Interview. Auf die kulturellen Unterschiede angesprochen, beschreibt er den schwedischen Winter als dunkler als den britischen. Zu sehen auf YouTube. In einem anderen Interview antwortet er auf die Frage, welchen Körperteil er sich im Zweifel piercen lassen würde, mit einem lachenden »My cock! – Where else would you have it?«.
Dumme Fragen erfordern dumme Antworten – oder dreht sich gerade der aufrechte Kämpfer für die Gleichheit aller Menschen im Grab um? Stieg Larsson war in jungen Jahren Zeuge einer Vergewaltigung gewesen und hatte nichts unternommen, dem Opfer zu helfen. Später habe er das Mädchen um Vergebung gebeten, die sie ihm verweigerte. In der Folge schrieb er angesichts zweier Frauenmorde in Schweden das Buch »Debatten om heders mord« (»Debatte über Ehrenmord« – zusammen mit weiteren Autoren). Die Annahme liegt also nahe, dass ihm etwas mehr Ernsthaftigkeit lieb wäre angesichts seiner Geschichte, die wir alle eigentlich unter »Männer, die Frauen hassen« kennen sollten.
Heute verwalten Bruder Joakim und Vater Erland seinen Nachlass, spenden für politische Projekte. Dies mag ganz im Sinne des Aktivisten sein, der Zeit seines Lebens gegen anti-demokratische Tendenzen gekämpft und sich für politische Auseinandersetzung eingesetzt hat. »Der einzige Weg, einer politischen Kraft zu begegnen, ist mit politischer Opposition,« erklärte er noch kurz vor seinem Tod. Es ist fraglich, ob bei dem weltweiten Erfolg seiner Romane und deren Verfilmungen ein Hauch von diesem Gedankengut übriggeblieben ist. Trägerinnen der »H&M Dragon Tattoo Collection« dürfte das allerdings völlig wurscht sein.
BK