Planet Erde 2
Kiffen und Vögel gucken – das ist bis heute der inoffizielle Status, den die meisten Naturdokus im Fernsehen einnehmen. Das hat einen ganz einfachen Grund: Wenn man so richtig high ist, sind beeindruckende Naturbilder, die nicht allzu viele Gehirnzellen in ihrer Verarbeitung beanspruchen, genau das Richtige, um sich umgeben von kalten Pizzaresten zu dem einen oder anderen, Keanu Reeves-Gedächtnis-„Whoa“ hinreißen zu lassen.
Ungeschlagener König dieser Disziplin ist bis heute die legendäre BBC-Serie Planet Erde. Die Doku-Reihe setzte Maßstäbe – dank ihres hohen Budgets und beeindruckender Kameratechnik verbunden mit zwischen Engelsgeduld und Todesmut wechselnden Filmteams schuf Planet Erde beeindruckende Bilder von Tieren und den großen und kleinen Dramen in ihrem täglichen Kampf ums Überleben. Und trotz aller Klischees muss man eben NICHT zwangsläufig high sein, um sich von der Bildgewalt dieses Klassikers mitreißen zu lassen – nicht zuletzt dank der fantastischen Erzählstimme von Sir David Attenborough.
Größer, besser, planetiger
Zehn Jahre später hat die BBC nun eine Fortsetzung ihres Magnum Opus gedreht. In klassischer Hollywood-Manier wurde hinter den Originaltitel einfach eine 2 geklatscht – doch Planet Erde 2 ist alles andere als ein fadenscheinig aufgewärmtes Sequel für nen schnellen Dollar. Bereits in den eröffnenden Minuten verspricht David Attenborough eine völlig neue Erfahrung. Die Technik ist besser, es gibt mehr Möglichkeiten denn je, um den scheuesten und seltensten Tieren so nahe zu kommen, wie nie zuvor. Alles schön und gut, aber lässt sich die Magie von Planet Erde einfach so wieder einfangen? Und auf einer Skala von 1 bis Bong, wie high muss man wirklich sein, um Planet Erde 2 genießen zu können?
Um den Spannungsbogen dieses Reviews völlig ad absurdum zu führen, lasst mich beide Fragen direkt beantworten: Ja, lässt sie. Und high muss man dazu auch nicht sein, denn dieser unfassbaren Bildgewalt kann man sich auch nüchtern nicht entziehen. Die Versprechen vorab mögen vollmundig sein, aber bereits in den ersten Minuten zeigt die Reihe, wie gerechtfertigt sie waren. Die BBC zieht hier jedes Register: Ultrascharfe HD-Bilder, hypnotisierende Zeitlupen, schwindelerregende Kamerafahrten und nicht zu vergessen: Attenboroughs ruhige, aber immer empathische Erzählerstimme.
Erneut konzentriert sich jede der insgesamt sechs Folgen auf ein bestimmtes Naturgebiet: Inseln, Berge, Dschungel, Wüsten, Grasland und, in der wohl bemerkenswertesten Neuerung der Reihe – Städte. Wie eh und je erhält jede vorgestellte Tierart ihren eigenen Handlungsstrang, was in der Machart zu einer bunten Mischung aus Actionfilm, Drama, Horror, Comedy oder Love-Story führt. Nun ist das zehn Jahre und drölfzigtausend Naturdokus später nichts bahnbrechend Neues mehr – aber wenn jemand diese Formel für sich gepachtet hat, dann sind das Attenborough und die BBC.
Waransinn
Zumal diese altbewährte Formel eben immer noch funktioniert: Höhepunkt der ersten Folge ist eine atemlose Verfolgungsjagd zwischen einem Babyleguan und blitzschnellen Sandschlangen, die sich in ihrem Spannungsaufbau fast wie ein Horrorfilm abspielt. In anderen Szenen zeigt sich der beeindruckende Fortschritt der Kameratechnik seit dem letzten Ableger: Nicht mehr allein auf Helikopter-Shots und statische Kameras auf Tripods angewiesen, kommen wir dank Drohnen und stabilisierten Handkameras zum Beispiel einem Komodowaran so nah, wie sonst nur in dem PC-Spiel Far Cry 3.
Die Kurzgeschichten innerhalb jeder Folge sind wahlweise dramatisch, niedlich oder majestätisch, doch der Pathos wirkt nie übertrieben. Wie Kenner des ersten Teils bestätigen können, haben manche Stories ein Happy End, andere enden tragisch – und diese Unsicherheit ist es, die zu den packendsten Momenten von Planet Erde 2 gehören. Andere Momente hingegen sorgen für eine fast schon kindliche Begeisterung, beispielsweise wenn zwei Adler im Streit um ihre Beute in Matrix-ähnlicher Zeitlupe aneinandergeraten.
Zugegeben, in manchen Momenten ist Planet Erde 2 etwas zu verliebt in seine Kameraspielchen und epischen „Whoosh“-Soundeffekte. Gerade in der Städte-Folge wird das in einigen Sequenzen deutlich, die sich an Koyaanisqatsi-artigen Zeitraffer-Sequenzen des Städtelebens versuchen, aber durch ihre Künstlichkeit nicht ganz den gewünschten Effekt erreichen. Andererseits ist es gerade diese Folge, die die faszinierendsten Seiten unserer Erde beleuchtet: Der Lebensraum Großstadt. Zu sehen, wie Affen über die Dächer und Balkone Indiens springen, ist eine bessere Assassin’s Creed-Verfilmung als … naja, die Assassin’s Creed-Verfilmung.
Der Herr der Ringe unter den Naturdokus
Auf seine Art ist Planet Erde 2 die ultimative Planet Erde-Erfahrung. Zehn Jahre Fortschritt sind hier einfach in jeder Sekunde erkennbar. Die Größe und Ambition des Projektes passt zu seinem epischen orchestralen Soundtrack. So etwas kann eben nur mit einem BBC-Budget erreicht werden. Wer die hypnotisch-spirituelle Kraft eines Baraka oder Samsara sucht, wird hier vielleicht enttäuscht. Aber allen anderen bietet sich hier sechs Folgen Natur in ihrer gesamten Bildgewalt. Näher werden wir den großen und kleinen Wundern unseres Planeten vielleicht nicht mehr kommen. Am Ende nimmt sich Attenborough Zeit für eine eindringliche, kraftvolle, aber auch positive Botschaft an uns alle. Und gerade in Zeiten wie diesen ist es vielleicht gar nicht mal so schlecht, sich klarzumachen: Wir sind nur ein kleiner Teil eines großen Planeten. Und es lohnt sich, ihn zu schützen.
Darauf erstmal eine drehen.
Fischpott Disclaimer: Wir haben von der Polyband Medien GmbH ein Rezensionsexemplar erhalten.
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