Prayer by Philip Kerr
Glaubensbekenntnisse eines Abtrünnigen
Giles Martins ist FBI-Agent in Houston, Texas. Nach seinem Jura-Studium entschied sich der gebürtige Schotte gegen die Ausbildung als Anwalt. Die Ereignisse des 11. September motivierten ihn, sich in Quantico für die Terrorismusbekämpfung ausbilden zu lassen. Weil es aber mit dem Arabischen nicht so recht klappen wollte, verschlug es ihn nach Texas, um dort gegen inländische radikale Gruppierungen zu ermitteln. Hier stößt er auf eine Reihe von Fällen, bei denen die Opfer unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen sind: Irgendetwas scheint sie so sehr entsetzt zu haben, dass sie mehr oder weniger freiwillig in den Tod gegangen sind. Gemeinsam ist ihnen ferner, allesamt Kritiker des christlichen Glaubens zu sein. Die Spuren führen zu einer protestantischen Kirche: der Izrael Church of Good Men and Good Women. Ihr Pastor, Dr. Nelson Van Der Velden, betet mit seinen Mitgliedern für den Tod Abtrünniger. Den Erfolg dieses Vorgehens muss der getaufte Katholik und selbsterklärte Atheist Martins bald am eigenen Leib erfahren.
Der Herr ist ein Krieger
Falls es einen Gott gibt, so bekennt Philip Kerr in seinen Anmerkungen zu seinem Buch Prayer, dann hielte er es mit Randolph Churchill, dem Vater von Winston, der sich hatte überreden lassen, die Bibel zu lesen, und nach der Lektüre ungläubig ausrief: „Isn’t God a shit?“ Gott, so wirft Philip Kerr auf, sei kein gütiger Fürsorger, der auf das Wohlbefinden oder gar die materiellen Bedürfnisse des einzelnen Menschen bedacht ist. Gott sei vielmehr Krieger, wie es in Exodus 15:3 heißt, dessen grausames Vorgehen bei Befehlsverweigerung bereits die Protagonisten des Alten Testamentes, Noah, Abraham und Moses, gefürchtet hatten. Existenzielle Angst vor Gott sei also berechtigt und tatsächlich der einzige angemessene Grund für den christlichen Glauben. »I was afraid of him as I would have been afraid of a man with a loaded gun, a dangerous dog, a rampaging grizzly bear or a sepulchral voice emanating dramatically from inside a picturesque burning bush«, lässt der Schriftsteller am Ende seine Hauptfigur erklären. Und zu diesem Zeitpunkt können wir Leser ihm da eigentlich nur zustimmen.
Crime meets Horror
Oh Gott, mag da so mancher denken, das kann der doch nicht ernst meinen! Ob er es wirklich ernst meint, kann ich nicht bestätigen. Vielleicht möchte Mr. Kerr einfach nur provozieren. Sein Prayer aus dem Jahr 2013, das bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, präsentiert sich – vielleicht vergleichbar mit Robert Rodriguez‘ From Dusk Till Dawn – zweigeteilt: Was als Crime-Story beginnt, endet in einer Horror-Story. An einem einsamen Ort (dem 2008 vom Hurrikane Ike zerstörten Galveston) treibt schließlich der Todesengel Azreal in Gestalt eines wahrlich monsterartigen Mutanten sein Unwesen und das entsetzte Personal über den Rand des Wahnsinns hinaus. Auf dem Buchcover heißt es, dass die Quelle des Horrors total unerwartet sei. Dies kann ich nicht bestätigen, zumal der Klappentext die total unerwartete Quelle des Horrors (Gebete, Gott) bereits benennt. Wir haben es hier also viel weniger mit der Frage des Wer? denn mit der konkreten Ausgestaltung des Wie? zu tun, und das kann auch für Ungläubige sehr wohl packend und erschreckend sein. Sich langsam annähernde Monster an dunklen, einsamen Orten funktionieren doch einfach immer – erst recht, wenn die Story an sich rational wirkt und weitgehend der eigenen Wahrnehmung von Realität entspricht. Während der Lektüre fragte ich ich mehrfach, was ich als Ungläubige an der Stelle der Hauptfigur denken oder tun würde. Allein diese Identifikationsbereitschaft erreicht zu haben, lässt sich schon als echter Erfolg verbuchen, für Autor und Leser. Grundsätzlich setzt das Buch übrigens nicht wirklich Bibelkenntnisse voraus. Ich gehe aber davon aus, dass sie – wie auch sonst im Leben, so zum Beispiel bei TV-Quiz-Formaten – nicht schaden können.
Historischer Roman, Crime, Fantasy oder Sciene Fiction?
Der Versuch einer Klassifizierung
Bei Philip Kerr weiß man nie so genau, welchem Genre das aktuelle Werk genau zuzuordnen ist. Oder was als nächstes kommt. Ungeachtet der Genre-Zuordnung Historischer Roman, Crime, Fantasy, Science Fiction oder wie im Fall von Prayer Crime+Horror, könnte man seine Werke grob in drei Gruppen aufteilen: Zum einen ist da die mittlerweile neun Bände umfassende Bernhard-Gunther-Serie (1989-2013), die Geschichte eines vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg agierenden Berliner Privatdetektivs respektive Kriminalkommissars, der nach dem Krieg sein Heil in der Flucht über die Ratline erst nach Argentinien und schließlich nach Kuba sucht, seinem Prozess in Deutschland letztlich aber doch nicht entgehen kann. Zum zweiten gibt es jene Werke, die vor intellektuellem Anspruch nur so strotzen und die – wie zum Beispiel Das Wittgensteinprogramm (1992/1994)– Philosophie-Professoren dazu bewegen, ihren Studenten diese als Lektüre ans Herz zu legen. Schließlich seien jene Bücher zu nennen, die auch für durchschnittlich intelligente Menschen ein Quell der Spannung, intellektuellen Bereicherung und somit der Freude darstellen. Zu dieser Gruppe zählen meine Lieblingsveröffentlichungen Game Over (1995/2003 – Architektur und intelligente Hochhäuser), Esau (1997/2002 – Paläoanthropologie im Himalaya), Der Plan (1998/2003 – Wie kommen Yachten über den Atlantik?) und Der Tag X (2000 – Kennedy-Attentat). Das vorliegende Prayer gehört für mich durchaus in diese Gruppe.
Ein Schotte in England mit Begeisterung für deutsche Geschichte
![By PEN American Center [<a href="http://creativecommons.org/licenses/by/2.0">CC BY 2.0</a>], <a href="http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3APhilip_Kerr_2014.jpg">via Wikimedia Commons</a>](https://fischpott.com/wp-content/uploads/2015/03/Philip_Kerr_2014-217x300.jpg)
By PEN American Center [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons
Frühes Werk des kleinen Philip
Übrigens zählt Philip Kerr mit zu jenen Schriftstellern des 20. und 21. Jahrhunderts, über die ich mich in meiner letzten Rezension so echauffierte: Auch er benutzt sehr gerne eine ausgesprochen explizite Sprache, in der seine Figuren sich, wie notwendig auch immer, über Sex auslassen. Erklären mag dieses Phänomen in seinem Fall seine erste Veröffentlichung überhaupt: Laut einem Interview im Telegraph hatte Philip Kerr im zarten Alter von zwölf Jahren ein pornografisches Werk zur Erbauung seiner Mitschüler verfasst. Zu seinem Unglück geriet dieses Werk in die Hände seiner Lehrer, die es seinem Vater gaben, der wiederum zur Strafe vom kleinen Philip verlangte, es seiner Mutter vorzulesen. Im reiferen Alter von 57 verzichtete Philip Kerr beim Verfassen Prayer trotz Bettszenen weitgehend auf den entsprechenden Sprachgebrauch.