Pussy Riot in der FAS
Lady Suppenhuhn: Das Terrorgleichnis
Heute in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: Moritz Gathmann, laut seinem Blog Russland-Reporter ohne Grenzen, übt Kritik an Pussy Terror. Es geht bei ihm nicht um die interessante Tatsache, dass junge hübsche Frauen weggesperrt werden und die ganze Welt mehr an ihnen als an allen anderen Weggesperrten in Russland interessiert ist. Moritz Gathmann fühlt sich in seinem Artikel „Lady Suppenhuhn“ an die RAF erinnert.
RAF? WTF?
„Die Aktionskünstler mit ihren vulgären Provokationen erinnern an die erste RAF-Generation.“ Wie kommt Gathmann zu der Einschätzung? Zuerst einmal zieht er Parallelen aus dem persönlichen Leben einer Aktivistin. Nadezhda Tolokonnikova hat eine vierjährige Tochter (für Gathmann ist es außerdem ganz wichtig, dass sie hochschwanger an einer Gruppensex-Performance teilgenommen hat). Die Tochter lebt laut dem Artikel seit zweieinhalb Jahren bei ihren Großeltern, nachdem sie von einem Tisch gefallen ist und dabei schwer verletzt wurde. Die Parallele zur RAF? Na, Ulrike Meinhoff hat doch auch ihre Kinder vernachlässigt!
Fazialpalmierung now
Die Aktionen der Künstler- und Protestgruppe Voina, der Tolokonnikova angehört, sind laut Gathmann „provokativ und vulgär“. Einen Riesenpimmel auf eine Zugbrücke gegenüber dem Geheimdiensthauptquartier malen oder ein Supermarkthuhn in einer Vagina klauen sind nicht unbedingt dezent und schicklich. Dezenter und schicklicher Protest wäre aber keiner. Die Petersburger Gruppe von Voina hat tatsächlich ein Polizeiauto angezündet, was mit viel gutem (oder bösem) Willen an die Studentenunruhen der Prä-RAF-Zeit erinnert. Pussy Riot und Voina sind aber, auch wenn das in der FAS das Gegenteil angedeutet wird, getrennte Entitäten: Nur Tolokonnikova ist auch bei Voina dabei.
Adenauer=Putin?
Die Gesellschaft Russlands, schreibt Gathmann, ähnele in ihrer Intoleranz dem Deutschland der Sechziger Jahre. Da scheint es nur logisch, dass in dem (Russ)Land vor unserer Zeit aus Protestkünstlern Terroristen werden, als Folge konvergenter Evolution oder weil die Natur ein Vakuum füllen muss. Das politische System spielt für den Autor keine Rolle: Was die demokratische BRD vor 50 Jahren mit der gelenkten Demokratie, die vom orthodoxen Patriarchen Kiril als „Wunder Gottes“ gepriesen wird, zu tun haben soll – außer verbreiteter Intoleranz – wird nicht weiter erörtert.
Vorsicht, sie haben einen Baader!
Die Fixierung auf Pussy Riot=Terrorbande a là RAF scheint Moritz Gathmann nicht loszulassen. Im Rolling Stone von April diesen Jahres schreibt er über Pjotr Wersilow, den Mann von Tolokonnikova: „Manieriert redet er, schüttet Spott über das Gericht, Putin, das System aus. Der Habitus hat etwas vom überselbstbewussten Andreas Baader des Jahres 1975 gegenüber dem Gericht Stuttgart-Stammheim.“ Zur Erinnerung: Die Vorwürfe in Stammheim waren Mord in vier Fällen und versuchter Mord in 54 Fällen. Wie können solche Artikel entstehen?
Wie es wirklich war
In der FAS-Redaktion kommt einer oder eine auf die Idee: „Mensch, alle sind auf der Seite von Pussy Riot. Da kann doch was nicht stimmen. Da müssen wir mal was Kritisches bringen!“ Fünf Minuten Internetrecherche später ist der Artikel im Rolling Stone gefunden, auch noch geschrieben von „einem Russland-Reporter ohne Grenzen“. Zack, Herr Gathmann wird angeheuert und weil ihm nichts Neues einfällt und/oder ihm seine RAF-Analogie so gut gefällt, holt er die Rote Terrorgefahr aus der Mottenkiste. Das gefällt ganz sicher auch der konservativen Stammleserschaft, denen diese Kirchenschänderinnen aus Russland ohnenhin nicht ganz geheuer sind – „Pussy Riot soll ja soviel wie Muschi-Aufstand heißen“ „Unerhört.“