Ready Player One von Ernest Cline
Ein Hoch auf die 1980er Jahre
Ready Player One ist ein Buch für Nerds, dass das mal klar ist. Immerhin stammt es auch von einem echten Nerd: Ernest Cline ist ein wahrer Enthusiast, wenn es um die Popkultur der 1980er Jahre geht. Das hatte er bereits mit seinem Drehbuch zu Fanboys bewiesen, in dem vier absolute Star Wars-Fans in die Skywalker Ranch von George Lucas einbrechen und eine Kopie der noch unveröffentlichten Episode 1 stehlen wollen. Mit Ready Player One beweist der einstige Poetry Slammer nun auch seine Begeisterung für Computer- und Pen&Paper-Spiele. Es mag einen nicht wundern, dass der Texaner, der nach dem besten Freund und Bettgefährten von Bert benannt wurde, stolzer Besitzer eines DeLorean ist. Wundern mag eher, warum ausgerechnet gerade ich als bestenfalls Möchtegern-Nerdette mich bemüßigt fühle, seinen Debütroman für das Blog der wahren Nerds zu rezensieren.
Heiteres Ostereiersuchen
Wir schreiben das Jahr 2044. Die Menschheit hat es geschafft, ihren Heimatplaneten so weit abzurocken, dass die Ölvorräte aufgebraucht und die Klimakatastrophe eingetreten ist. »Es ist wirklich ätzend, ein Mensch zu sein, meistens jedenfalls. Videospiele sind das Einzige, was das Leben erträglich macht«, konstatiert da nicht nur der Erfinder und Chefentwickler der OASIS James Halliday in seinem Almanach. Tatsächlich gibt es kaum einen Erdbewohner, der die virtuelle Welt nicht der realen vorzieht. Denn die OASIS ist weit mehr als ein schier unbegrenztes Spielangebot. Die OASIS bietet alles, was ein angenehmes Leben ausmacht: Sozialkontakte, Wohnangebote, Ausbildungen, Arbeitsplätze, Shoppingmöglichkeiten jeglicher Couleur… Was immer das Herz begehrt – die OASIS hat es. Und dabei steht der Zugang jedem kostenlos zur Verfügung. Wer mehr in der OASIS erleben möchte, als der Basiszugang ermöglicht, muss dafür bezahlen. Und weil die meisten Nutzer mehr haben wollen, hat James Halliday nach seinem Tod auch viel zu vererben. Für seinen Nachlass, der sich im zweistelligen Milliarden-Bereich ansiedelt, gilt es nun, einen würdigen Erben zu finden. Hierfür hat der geniale Programmierer ein Easter Egg in seiner OASIS versteckt. Wer es schafft, dies zu finden, soll sein Erbe antreten und künftig auch für die virtuelle Welt verantwortlich sein.
Drei Schlüssel öffnen der Tore drei
Selbst verarmte Schüler wie der 18-jährige Wade Watts erhalten von der Schulbehörde das nötige Equipment (Konsole, Videobrille und haptische Handschuhe), um die Ausbildung in der OASIS absolvieren zu können. In der wahren Welt wohnt der Sohn einer alleinerziehenden, depressiven und drogensüchtigen Mutter seit deren Tod bei seiner unbarmherzigen Tante. Den Verhältnissen der 2040er Jahre zufolge bedeutet Wohnen für arme Leute ein Leben in einem Turm aus Wohnwagen. Stacks nennen sich diese wackeligen Konstruktionen, die darauf warten, in sich zusammenzubrechen und dabei gleich mehrere Wohnwagentürme wie beim Domino mit sich zu reißen. Für etwas Privatsphäre zieht Wade sich regelmäßig in einen Autofriedhof zurück. Hier hat er sich samt Stromversorgung in einem verschrotteten Lieferwagen eingerichtet und von hier aus besucht er nicht nur den eigens für Schulen eingerichteten Planeten in der OASIS. Wenn sich Wade in die OASIS einloggt, tut er dies vor allem unter dem Spielernamen Parzival mit dem Ziel, das Easter Egg zu finden. Allerdings macht er dies genauso wie all die anderen Jäger seit nunmehr fünf Jahren erfolglos. Noch keinem ist es gelungen, das erste Rätsel zu lösen, das Halliday in seinem Almanach hinterlassen hat: »Drei Schlüssel öffnen der Tore drei, und wer sich als würdig erweist dabei, muss alsbald auf sein Geschick sich besinnen, will er das „Ende“ erreichen und den Preis gewinnen.« Die Aufgabe, drei Schlüssel für drei Tore zu finden, erscheint angesichts einer Unmenge von Planeten in einem unbegrenzten virtuellen Universum wie eine unlösbare Aufgabe.
High Five und die Sechser
Es sei denn, man hat wie Wade Watts seinen Halliday studiert. Der Programmierer war Zeit seines Lebens wie der Autor des Romans ein Enthusiast der Popkultur der 1980er Jahre – und natürlich auch ein begeisterter Spieler. Neben den Computerspielen seiner Jugend hatte besonders das Pen&Paper-Rollenspiel Dungeons & Dragons es ihm angetan. Ich-Erzähler Wade findet nun tatsächlich in der zentralen Hinterlassenschaft Hallidays einen Hinweis, der ihm ein neues Rätsel-Gedicht liefert, in dem von der Gruft des Grauens die Rede ist. Und wie der Zufall es so will, findet sich diese glatt auf seinem Schulplaneten. Wenn Parzival nun als erster die Aufgabe löst, die sich ihm in der Gruft stellt, erfährt dies dank eines öffentlichen Scoreboards auch der Rest der Jäger-Welt. Diese setzt sich zusammen aus Clans, aber auch aus Einzelkämpfern wie Wades einzigem Freund, den er nur virtuell unter dem Spielernamen Aech kennt, sowie drei weiteren Einzeljägern, die er erst als Highscorer kennen lernt – unter ihnen Art3mis, die zu seiner ersten großen Liebe wird. Alle fünf bleiben als nun weltweit bekannte »High Five« freundlich gesonnene Rivalen und kennen den gemeinsamen Feind: die sogenannten Sechser. Die gehören alle der Firma Innovative Online Industries an, die unbedingt das Erbe Hallidays antreten und die OASIS finanziell ausschlachten will. Dabei kennen die IOI-Schergen kein Pardon und scheuen auch nicht Verbrechen in der realen Welt, um ihr Ziel zu erreichen.
Das Unlösbare lösen
Ready Player One strotzt nur so vor Zitaten aus der 1980er Popkultur. Ob nun Spiel, Film, Fernsehen oder Musik – durchschnittliche Kinder der 1980er Jahre erfahren hier mehr über dieses Jahrzehnt, als sie selbst jemals miterlebt haben. Immerhin sprechen wir hier nicht von einem Kenntnisstand im Sinne des „Davon habe ich auch schon mal gehört“. Vielmehr geht es um ein „Kenne ich in- und auswendig“. Um die Schlüssel-Aufgaben bestehen zu können, muss man alle Lieblingsfilme, -bücher, -spiele, -songs etc. von Herrn Halliday wahrhaftig auswendig können – so zum Beispiel alle Dialoge aller Lieblingsfilme oder jeden Songtext aller Lieblingsbands. Das hat seinen Reiz, sollte aber nicht unbedingt an realistischen Maßstäben gemessen werden. Sicherlich gibt es Menschen, deren Lebenszweck nichts anderem dient. Das Gros der Leserschaft wird aber wohl wie ich nur baff erstaunt sein, wie viel unwesentliches Wissen sich ein Menschenhirn aneignen kann. Letztlich bezieht das Buch hieraus aber eine ganz andere und – wie ich finde – wesentlichere Schwäche. Ein wirklich gutes Rätsel sollte aus sich heraus zu lösen sein. Wenn es beim Rätsel-Wettbewerb zwischen Bilbo und Gollum in Der kleine Hobbit heißt: »Schreit ohne Stimme, fliegt ohne Schwinge, beißt ohne Zahn, murmelt und pfeift – kein Mund hat‘s getan« setzt es keine Spezialkenntnis des persönlichen Hintergrundes des Fragenstellers voraus, um auf Wind kommen zu können. Fragt Bilbo zum Schluss aber, was er wohl in seiner Tasche hat, ist dies kein lösbares Rätsel für Gollum. Ähnlich verhält es sich in Ready Player One. Spätestens nach dem ersten Schlüsselfund wissen wir Leser, dass wir uns über die folgenden Rätsel keine weiteren Gedanken machen müssen – wir können sie nicht lösen, weil wir die dafür erforderlichen Hintergrundinformationen nicht haben. Erst im Zuge der Lösung durch Wade bekommen wir diese quasi im Nachhinein geliefert. Also bleiben wir in der passiven Rolle der Bewunderer eines klugscheißenden Nerds, der schier alles überflüssige Wissen der Welt in seinem 18-jährigen Hirn gespeichert zu haben scheint. Umso bemerkenswerter ist es, dass es auch einer weniger nerdbegabten Leserin wie mir durchaus Spaß gemacht hat, sich durch die gut 500 Seiten durchgefressen zu haben. Mein Gefallen geht sogar so weit, dass ich Ernest Cline die Daumen drücke, dass sein Werk tatsächlich verfilmt wird. Warner Bros hat sich die Rechte jedenfalls schon ein Jahr vor der Erstveröffentlichung des Buches gesichert.