Rechts’ und Links’ Odyssee
Brothers – A Tale of Two Sons
(PS3, Xbox 360, PC, getestet: PS3-Version)
Normalerweise meide ich Downloadtitel (das heimische Internet ist schwach auf der Brust und ich mag die umweltunfreundlichen Jewelcases und Beiheftchen). Außerdem bin ich etwas skeptisch gegenüber Titeln aus dem Independentbereich. Auch wenn mich Spiele wie »Flow« und »Flower« oder »Outland« überzeugt haben, scheint mir die Unterstellung wegweisenden Innovationsgehalts etwas zu obligatorisch geworden zu sein.
Im Zuge meines Gejammers darüber, dass Team Icos »The Last Guardian« einfach nicht fertig werden will, empfahl mir ein Freund den Download-Indie-Titel »Brothers«: Das Spiel habe einen an »Ico« erinnernden Charme. Diese Werbung zog bei mir dann doch in ausreichendem Maße. Mit kaum mehr Vorwissen ließ ich mich also auf das Abenteuer mit den zwei jugendlichen Brüdern ein (nach einigen Stunden des Downloads über die träge Landpomeranzen-Leitung).
Das aus einer schwedischen Spieleschmiede stammende Adventure Brothers – A Tale of Two Sons (Starbreeze Studios, Regisseur und Verantwortllicher ist Josef Fares, bekannt für Filme wie »Jalla, jalla!« oder »Kops«) ist eines jener so gennanten ʽIndiegames’, die, wie Indierock, gerade sehr im Trend liegen. ʽIndie’, wenn es mal nicht nur (wie in der Musik, möchte man lästern) eine Masche ist, bedeutet aber nicht nur großunternehmensbefreiten frischen Wind für die Spieleindustrie, sondern, logischerweise und dadurch bedingt, eben auch kleines Budget. Wir verzeihen dem Spiel daher, dass die Texturen etwas einheitlich und flach daherkommen und das Figuren-/Kreaturen-Design ein wenig nach Fantasy-Baukasten aussieht. Immerhin hat man sich eher an Fable-Klötzchen, anstatt an den grobschlächtigen World-of-Warcraft-Bausteinen bedient.
»Brothers« überzeugt aber auch problemlos ohne Hochglanzoptik. Das Bestmögliche wird durch schönes Licht, stimmige Farbpaletten und feucht-nebliges Wetter mit nordisch tiefstehender Sonne herausgeholt. So baut sich für den Spieler, vor allem mit dem Hintergedanken an das tatsächliche, echte Entstehungsland des Spiels, eine glaubhafte dunstig-skandinavische Atmosphäre auf, irgendwo zwischen Märchen und Mittelalter. Ebenso trägt der Soundtrack sehr positiv dazu bei, über ein paar plastikhafte Texturen und (optisch) reduziertes Charakterdesign hinwegzusehen: wenige Themen, zwar, aber diese dafür variantenreich inszeniert, zart-melancholisch, bisschen traurig, bisschen ethnisch-Enya, durchweg glaubwürdig und angenehm unaufdringlich. Das liebevolle Leveldesign kommt zudem immer wieder mit sympathischen Details daher. So präsentiert sich die Landschaft sowohl im Ganzen, als auch in Nebensächlichkeiten, überzeugend in Bild und Ton.
Doch fangen wir vorne an
Das Spiel beginnt mit einer kurzen Sequenz. Der jüngere der Brüder kniet am Grab seiner Mutter und lässt in Gedanken den Moment ihres Todes Revue passieren, als sein älterer Bruder ihn aus seiner Andacht reißt. Der Vater ist krank und muss mittels Schubkarrenbeförderung zum Arzt/Priester/Dorfaufseher – nun, zu irgendeinem ergrauten Herrn auf dem Dorfhügel – gebracht werden. Hier stolpert der unbedarfte Spieler dann über die zwei tragenden Pfeiler des Spiels:
Mit beiden Brüdern auf dem Schirm darf man sich nun zum einen mit der ungewöhnlichen Spielmechanik bekannt machen und gleichzeitig feststellen, dass man nichts versteht. Es wird gesprochen, aber welche Sprache ist das bloß? Ob es sich nun um einen alten skandinavischen Dialekt handelt, um frei erfundenes Gibberish oder doch glasklares Alltagsschwedisch – für den Spieler bleibt der Dialog unverständlich. Doch sollte es sich tatsächlich um Schwedisch oder Alt-Schwedisch handeln, ist der Schwede, der Skandinavist, der ein oder andere fleißige Linguist oder Hobby-Sprachlernende auch nicht sonderlich bevorteilt, denn Sprache ist es nicht, die die Vermittlung des Geschehens oder die Charakterisierung übernimmt. Die eigentlichen Hauptkanäle, über die das Spiel kommuniziert, lassen sich schnell erkennen: Ausladende Gestik und deutliche Mimik der Figuren und eine simple Motivation für die schnell erklärte Handlung (Vater ist krank, wir suchen ein Heilmittel und das ist weit, weit weg) lassen einen verständlichen Dialog nicht vermissen und begünstigen den auf Emotion und Atmosphäre gelegten Fokus des Spiels.
Noch zentraler als der unverständliche Dialog ist das immer wieder im Chor als ʽinnovativ’ gepriesene Spielprinzip: Mit beiden Analogsticks des (Playstation-) Gamepads steuert man gleichzeitig beide Brüder: mit dem rechten den jüngeren, mit dem linken den älteren (somit von mir auf auf ʽRechts’ und ʽLinks’ getauft – denn ihre richtigen Namen, wenn sie denn überhaupt genannt werden, habe ich nicht verstanden). Und, mal ehrlich, das ist tatsächlich innovativ – und gut fürs Gehirn! Wir warten gespannt auf die zahlreichen Klone, die dem folgen werden.
Darüber hinaus benötigt man bloß noch die ebenfalls rechts und links liegenden drucksensiblen Schultertasten. Über diese Tasten lässt man die Brüder mit ihrer Umgebung oder auch untereinander agieren. Die Drucksensibilität der Tasten spielt hierbei zwar keine technische Rolle, doch kann man sich nur schwer der Intensivierung des Spielgefühls durch die Stufenlosigkeit zwischen Antippen und blutverdrängendem Gequetsche entziehen.
Ein Beispiel: Rechts kann und will nicht schwimmen (ebenso Beispiel für die Verständlichkeit des Spielgeschehens, auch ohne Dialog: Die Mutter ist ertrunken, das lernen wir sofort eingangs, muss also noch verbalisiert werden, warum der kleine Bruder nicht schwimmen will?). Um nun tiefere Flüsse zu überqueren, klammert sich durch Druck der Schultertaste der kleine an den großen Bruder. Dass man hier dezent fester zudrückt als bei einer Aktion, bei der es nicht um Leben oder Tod geht, ist nur schwerlich zu vermeiden. Auch der Spieler klammert sich fest, gemeinsam mit dem kleinen Rechts. Die Taste erweist sich als eine gute Wahl, die dem Geschehen in gewisser Weise ein zusätzliches Quäntchen Lebendigkeit mitgibt. So werden also in den kurzweiligen vier Stunden des Spiels gemeinsam Abgründe überwunden, mit Gleitdrachen geflogen, Flüsse durchschwommen, Berge bestiegen und diverse nicht sonderlich schwere Rätselchen gelöst.
Das macht alles Spaß, ist aber auch sehr einfach. Spielerische Herausforderungen findet man hier nicht, sollte man jedoch auch nicht erwarten. Auf die Gefahr hin, diesen inflationär häufig erhobenen Zeigefinger (siehe »Heavy Rain«, »Beyond Two Souls«, neuere »Final Fantasies«, »Red Dead Redemption« etc. etc. – es grüßt die Zielgruppe Casualgamer) ein weiteres inflationäres Mal zu heben: es geht um eine ebenfalls simple, aber wunderhübsch erzählte Story, nicht um lahme Handgelenke! Fast könnte man soweit gehen, in »Brothers« sogar eine gewissen meditativ anmutende Ruhe und Entspannung zu finden, aber eben nur fast, denn gehauen, gesprungen und gerannt wird definitiv.
Gesten lesen
Abgesehen davon, dass die einfachen Jump and Run- und Rätseleinlagen durchaus Spaß machen, überzeugen letztlich insbesondere Nebensächlichkeiten, die die Charaktere mit Leben füllen und deren Entwicklung auf der ohnehin entwicklungsbegünstigenden Reise illustrieren. Ein Quäntchen Empathie, das garantiert selbst der abgebrühteste Counterstrike-Killerspieler gegenüber seiner Spielfiguren aufzubringen vermag, macht wett, dass man die ohnehin seltenen Wortwechsel nicht versteht. Die vielen kleinen wortlos kommunizierenden Momente reihen sich durch ihre universelle Verständlichkeit problemlos aneinander und auch Rechts und Links werden wunderbar durch zahlreiche (optionale) Interaktionen mit Dingen, Tieren und anderen Wesen mit Persönlichkeit ausgestattet – nicht sonderlich tiefgehend, aber doch vielschichtiger als Mario und Luigi (und die mögen wir ja auch). So schnurrt das Kätzchen bei Rechts und faucht bei Links, Rechts kann einer Harfe gekonnt Töne entlocken, der grobianische Links versagt etc. (nicht falsch verstehen: das macht Links nun nicht gleich zum unsensiblen Haudraufbrutalo – er überzeugt vielmehr als waschechter Halbstarker und Dorfjugendlicher, während man sich bei Rechts nicht wundern würde, wenn er in zwei, drei Jahren den Nachbarjungen als ersten Love-Interest vorstellt, aber alles im Rahmen!). Der Spieler kann sich mühelos die Eckdaten der Charakterprofile zusammenreimen und hat schnell Ideen, was in den Köpfen der zwei Jungs vorgehen mag. Selbstverständlich steht die Bindung der Brüder im Mittelpunkt und so ziehen sie doch meist an einem Strang und zeigen gemeinsame Motivation und Hilfsbereitschaft gegenüber der anderen ebenfalls recht illustren Charaktere des Spiels. Streit gibt’s jedenfalls keinen.
Fantasy plus Feels plus X
»Brothers« hat mich überrascht. In verschiedener Hinsicht. Meine Erwartungshaltung (Ico-Atmosphäre) wurde streckenweise bedient, streckenweise aber auch nicht: Die Fantasy-Kulisse ist melancholisch-ruhig, Natur und Ruinen bestimmen das Bild, die jungen Protagonisten sprechen eine unbekannte Sprache, das Gameplay ist ähnlich reduziert auf Wesentliches, weist jedoch innovative Kniffe auf, durch welche gekonnt Emotion, Spannung und Tastendruck verknüpft werden (wer sich erinnert: bei »Ico« wars das fast ständige Drückenmüssen der Taste zum Händchenhalten). Die Intensivierung der Bindung an Figuren und die Emotionsverstärkung auf Knopfdruck ist jene medienspezifische Eigenheit, die das Videospiel an sich, zumindest im Bereich der ʽStory-Games’ auszeichnet und den definitiven Unterschied zum Film noch einmal offensichtlich aufleuchten lässt.
Aus diesem Potential des Mediums schöpft das facettenreiche »Brothers« ziemlich gekonnt. Optik und Rätselmechanik wirken tendenziell eher unbeschwert und leichtfüßig, die eingestreuten Fantasyelemente teils klassisch, herzerwärmend oder traurig. Doch auch wenn man optisch und inhaltlich vielen alten Hüten begegnet, präsentiert sich »Brothers« im Großen und Ganzen unkonventionell und erwachsen. Trotz cartooniger Optik und des größtenteils verspielten Umhertollens von Rechts und Links werden Tod, Trauer und Elend nicht ausgeklammert (ohne zu viel verraten zu wollen: Flüssen aus Blut und Leveln aus Leichen hatte ich nun wirklich nicht gerechnet!). »Brothers« mag vielleicht ein wenig vorhersehbar sein, lässt einen aber durchgehend gespannt sein auf das, was noch kommt – und sei es nur am Wegesrand.
Meinung zum Schluss
Gerade als einem (beziehungsweise mir) in der immer dünnhäutiger werdenden Videospielblase sogar schon Indiegames matt und geklont vorkamen, wirkt »Brothers« wie ein kleines, strahlendes Perlchen der Hoffnung – ganz ohne dramatisch werden zu wollen. Also, auch wenn das eigentlich nichts Verwunderliches sein sollte: so können Indiegames tatsächlich immer mal wieder überzeugen und stellen häufig sogar mehr als eine bloße Alternative dar, wenn die Blockbuster auf sich warten lassen, sich hundertfach selbst kopieren, oder ʽdie Großen’ einem Aufgebackenes wie frische Ware anpreisen (HD-Remakes und -Remixe, HD-Bundles – jetzt mit Hut! – und sonstiges).
Wie gerne würde ich noch meinen Senf zum inhaltlichen und spielerischen Ende des Spiels dazugeben, aber, selbst höchst spoilerphob, will ich dies niemandem madig machen. Lest das doch woanders nach, oder noch besser: spielt »Brothers«! Das geht recht schnell, ist preisgünstig und hat einen ähnlichen Effekt wie gute Literatur. Außer ein paar Tränchen haben selbst Freunde der Hochkultur nichts zu verlieren.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsdownloadexemplar von 505 Games erhalten.
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