Roter Mond – Benjamin Percy
Sie sind unter uns. Nicht als sagenhafte Gestalt aus einem Märchen oder schreckliches Monster aus einem Horrorfilm. Nein, ganz real und in unserer Welt. Stellt euch vor, sie sorgen schon seit Jahrhunderten für eine Spaltung der Gesellschaft, für Unterdrückung aus Angst auf der einen Seite, für Wut und Verzweiflung auf der anderen Seite. Und jetzt ist das Fass dabei überzulaufen, auszulaufen. Und die austretende Flüssigkeit vergiftet nach und nach den Boden, auf dem das Fass steht. Worum es geht? Na, Werwölfe natürlich. Lykaner. Menschen die in der Lage sind, sich in ein Wolfswesen zu verwandeln.
Im Gegensatz zu Filmen wie z.B. Underworld oder An American Werewolf in London geht Autor Benjamin Percy das Thema nicht als modernes Gruselmärchen oder Exploitation-Schocker an, sondern vielmehr als Parabel auf unsere Gesellschaft in Form eines dystopischen (Polit-) Thrillers. Aber fangen wir mal von vorne an. Lykaner haben es in der heutigen Welt nicht leicht. Immer wieder wird eine Registrierungspflicht für Lykaner gefordert: Wer nicht das seit einiger Zeit verfügbare Mittel Volpexx nimmt, muss mit Repressalien rechnen. Dabei lebt eine sehr große Mehrheit der Lykaner ein friedliches Leben und verachtet es ausdrücklich, andere Menschen anzufallen oder gar zu beißen. Dann ist da noch eine Widerstandsbewegung aus radikalisierten Lykanern, die es nicht bei Protestaktionen auf der Straße verbleiben lässt, sondern Anschläge verübt. So kommt es zwangsweise dazu, dass sich die angespannte Situation in einer Spirale der Gewalt und Gegengewalt explosionsartig entladen muss.
Erzählt wird in Roter Mond die Geschichte verschiedener Personen. Da gibt es unter anderen den jungen Patrick Gamble, der als einziger einen Terroranschlag auf ein Flugzeug überlebt. Und die gleichaltrige Claire Forrester, die nach diesem Anschlag erlebt, wie ihre Familie von einer Eingreiftruppe der Regierung ausgelöscht wird. Sowie Gouverneur Chase Williams, ein Hardliner der die Gunst der Stunde nutzt, um Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Die Erlebnisse dieser und einiger anderer Personen werden nach und nach erzählt und miteinander verknüpft. Es gibt in der Erzählung dabei viele Parallelen zu Büchern wie 1984 von George Orwell, Das letzte Gefecht von Stephen King oder dem Film Red Dawn von Regisseur John Milius, der heutigen Politik der USA (Überwachung eigener Bürger, Terrorangst, Besetzung anderer Länder) sowie generell der jetzigen Situation in der Welt. So gibt es hier eine Republik namens Lupos, die irgendwo zwischen Finnland und Russland liegt und von den USA besetzt wurde, weil es von dort immer wieder zu Aufständen kam. Zufälligerweise ist dort auch ein großes Uranvorkommen. Die lykanischen Terroristen haben einen sehr charismatischen Anführer namens Balor, der mit Hilfe von Videoaufnahmen, auf denen Soldaten hingerichtet werden, auf sich aufmerksam macht. Es gibt eine Reihe von Anschlägen auf öffentliche Einrichtungen und Bürgermilizen, die von sich aus Jagd auf Lykaner machen.
Das Buch hat es geschafft, mich von der ersten bis zur letzten Seite bei der Stange zu halten. Es gibt immer wieder sehr detaillierte wissenschaftliche Erklärungen zum Thema Lykantropie oder der politischen Lage. Die Welt und das Thema sind sehr schlüssig und logisch erklärt, der Spannungsaufbau stimmt und das Buch steuert auch erfrischenderweise nicht auf eine große Endschlacht zu, sondern erzählt seine Geschichte sehr konsequent. Wer auf spannende Lektüre im Stil von Stephen King steht, wird den Kauf nicht bereuen.
Benjamin Percy: Roter Mond, 638 Seiten, erschienen als Hardcover beim penhaligon-Verlag, welcher uns freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
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