Sex für Wiedereinsteiger
Acht Kursteilnehmerinnen mittlerer Bedeutungslosigkeit, immer kurz davor, einem auf den Sack zu gehen. Etwa damit, dass sie ihrem Vornamen den bestimmten Artikel voranstellen: „Ich bin DIE Dörte.“ Nike-Air-Sneakers, den SUV breitachsig in bedingt zulässiger Parkzone abgestellt, gepresst cooles Plaudern über unterdrückte Forderungen ihrer Yoni und nur mit halbem Arsch bei der Sache, weil sich die andere Pobacke von den Kindern verschaukeln lässt. Autorin Mila Paulsen zieht in Sex für Wiedereinsteiger zielstrebig jene Register, die potenziellen Sexualpartnern Lustverlust bescheren. Nä, danke, aber vielleicht wäre Tilda ja was. Die hat skandinavische Wurzeln, das stand zur Zeit ihrer Geburt für hemmungsloses Pimpern, ob im grünen Gras oder bei der klatschnassen Fahrt durch die Waschstraße. Mit solchem Rüstzeug macht sich Tilda als VHS-Kursleiterin an die Schweißarbeit, den acht Midlife-Kriselinen zurück ins Reich der ungebremsten Hochgefühle zu verhelfen.
Erhaben, wie mit dick aufgetragenem Siegellack geschrieben, steht der Buchtitel auf dem Umschlag des Goldmann-Taschenbuches. Eigentlich kennt man auch diese Laune der Drucktechnik inzwischen bestens, aber hier bekommt das haptische Erlebnis den besonderen Kick. Man kann mit den Fingerspitzen an den Lettern fummeln und beim Tasten einen zweiten Frühling genießen. Wenn dies jetzt nicht das „x“ von „Sex“ wäre, sondern ein Nippel – hätte sich damit der Buchkauf nicht bereits gelohnt? Zehn Euro, mehr sind es ja nicht, dafür kriegt man auch von DER Dörte keinen Blowjob. Aber Moment, um uns Männer geht es ja gar nicht, obwohl der Buchtitel nicht gendert. „Wiedereinsteigerinnen“ in erhabenen Lettern hätte, so grübelt man, die Breite des Umschlags überfordert. Die beiden Faultiere im Bett, das eine mit venezianischer Maske wie frisch aus 50 Shades of Grey, wären als Titelmotiv gnadenlos in die Breite gegangen. Aber ach, was scheren einen Formalien? Kehren wir doch lieber zurück zu diesem dämlichen VHS-Kurs im Hamburger Schanzenviertel, der so auch in Hückeswagen oder in Darmstadt-Wixhausen stattfinden könnte. Ernsthaft, Wixhausen ist keine Erfindung. Wir schweifen ab. Mila Paulsen hat meine volle Sympathie, denn wenn ich abschweifen kann, ist dem Buch meine Umarmung gewiss.
Zum Einstieg gibt es Kurzbiographien von der Hälfte der acht Heldinnen: Maren und Andrea, Anja und Iris. Nicht eine davon hat den Abschnitt bis zur Menopause so aufs Parkett gelegt, dass es bei der Begegnung mit ihrer Vita schnackeln würde. Maren ließ sich willig davon martern, dass sie jeden Anflug von Sex im Keim zerdenken musste, etwa so: „Bevor das jetzt zur Lust ausartet, wird mir der Spaß durch Grübelei entgleiten.“ Andrea hat in gefühlten 100 Jahren allen Jieper auf ihren Andreas weggeräuchert – und umgekehrt, zumal Andreas sich außer Haus vergnügt. Für Iris waren die Geburten, die nach landläufiger Meinung das Glück auf Erden schenken, das Ende vom Glück auf Erden. Anja schließlich hatte sich unsterblich in Panikattacken verliebt und gerade noch die Ruhe gefunden, sich mit Ole wenigstens auf eine Paartherapie einzulassen.
Franzi gehört eigentlich nicht in die Riege der Wiedereinsteiger(innen). Sie nennt sich nicht DIE Franzi, trägt keinen BH unter dem Tank-Top, hat aber den für Männer verdrießlichen Nachteil, dass sie auf Frauen steht. Damit hätten wir nun wirklich jede Spielart von dem durch, was in den lustvollen Austausch zwischen den Geschlechtern grätscht. Nur Andrea setzt noch eins drauf, indem sie von der Vorsorgeuntersuchung beim Gynäkologen berichtet. Les jeux sont faits, schlimmer könnte es Jean-Paul Sartre auch nicht an die Wand nageln.
Chakra und Blockaden, Schamlippen und Schamgefühle – als hätte man nicht alles schon durchgekaut. Mögt ihr mal in euch hineinfühlen? Mila Paulsen hat den Jargon studiert und jongliert so prächtig damit, dass man aus dem Lesefluss ganz barrierefrei ins Seminar selbst geschubst wird, dann quasi im Schanzenviertel sitzt, um sich sechs Dosen Workshop ans Bein zu hängen, als wären es Blutkonserven. Und dann noch die Hausaufgaben, die nach der ersten Sitzung lauten: „Findet einen schönen Namen für eure Vulva.“ Wer da an „Horst“ oder „Pflaume im Speckmantel“ denkt, kann gleich Leine ziehen. Alle anderen sind herzlich eingeladen zur zweiten Seminarstunde. Im Ernst, man ist gespannt auf den weiteren Verlauf. Und vielleicht kann man ja noch was lernen. Aber wollen wir die Messlatte mal nicht zu hoch hängen. Ne, sorry, Messlatte klingt in dem Zusammenhang auch nicht ganz lupenrein. Und jetzt Ruhe, ich muss wissen, wie es mit der Therapie weitergeht.

Mila Paulsen: „Sex für Wiedereinsteiger“ Goldmann April 2021, 352 Seiten, 10 €