Sherlock – Die Braut des Grauens
Lieber Steven Moffat, lieber Mark Gattis,
ich habe euch sehr gerne. Wirklich. Ihr seid großartige Drehbuchautoren. Gerade wenn es um Dialogwechsel und twistreiche Stories geht, gehört ihr beiden wirklich zu den ganz großen. Doktor Who habe ich nie gesehen (purer Mangel an Interesse. Sue me!), aber was ihr da seit 2010 mit eurer BBC-Serie Sherlock veranstaltet – ganz großes Herrenhockey, wirklich! Nicht nur dass ihr in Martin Freeman und Benedict Cumberbatch die perfekte Besetzung für die ikonischen Rollen des Doktor Watson und des Sherlock Holmes gefunden habt, ihr habt es mit intelligenten Scripts und spannenden Fällen sowie dem verstärkten Fokus auf Holmes als Soziopathen geschafft, den Klassiker unter den Meisterdetektiven perfekt in die Moderne herüberzutransportieren. Dazu noch immer subtil eingebaute Meta-Gags, grandios.Was könnte ich hier für einzelne Folgen schwärmen. Dieses Finale von Staffel 2? Köstlich, ein Träumchen, superb! Wisst ihr selbst, ne? Im Ernst, Steven, Mark, dafür könnte ich euch knuddeln. Aber mittlerweile glaube ich wirklich, dass ihr die eine oder andere Nackenschelle viel eher gebrauchen könntet.
Es folgen einige suboptimale Metaphern
Denn bislang waren die angesprochenen Meta-Ebenen immer ein wenig das Gewürz, das das Episodengebräu noch ein wenig verfeinert hatte. Was für Genießer, die vollendete Note, das letzte bisschen etwas, von dem der Chefkoch eine fein abgestimmte Prise hinzugibt, um dem Gericht den allerletzten Schliff zu verpassen.
Das hat bislang doch so prächtig funktioniert und wirklich wunderbar geschmeckt.
Also warum schraubt ihr in Staffel drei plötzlich den Deckel ab und holzt das komplette Gewürz in die Suppe. Und zeigt dabei noch euren Gästen den Stinkefinger? Zuviel Meta verdirbt die Suppe, ihr seid immer noch Sherlock, nicht Deadpool. Ich sage ja nicht, dass Sherlocks 3. Staffel miserabel war. Aber viel zu oft habt ihr beiden euch zu sehr in eure eigenen cleveren Twists und visuellen Kniffe verliebt und dabei n bisschen was vernachlässigt … eine spannende Story zum Beispiel.
Entschuldigt meine Ausdrucksweise, aber Staffel 3 war die Staffel, in der Sherlock ein wenig in seinem eigenen Hintern zu verschwinden drohte.
Entsprechend war ich etwas skeptisch, als euer neustes Werk Die Braut des Grauens in meinen DVD-Player flatterte. Keine ganze Staffel, eine einzige Special-Folge. 90 Minuten lang. Eine Folge, die unseren Cumberbatch aus seinem modernen Setting für eine Episode lang zurück in das London des Jahres 1895 bringt. Geile Idee eigentlich. Wie geschaffen dafür, den Charakter nach dieser überbordenden letzten Folge der dritten Staffel wieder zu erden. Sich einfach mal auf einen spannenden Fall konzentrieren. Spaß mit dem neuen Setting haben und so den Fans die lange Wartezeit auf die vierte Staffel ein wenig zu versüßen.
Und genau hier kommt die Nackenschelle ins Spiel, die ich euch beiden gerne verpassen möchte, Steven und Mark. Denn ihr habt es wieder nicht lassen können und dieses doch durchaus vielversprechende Konzept ein weiteres mal genutzt, um wieder den eigenen Allerwertesten hinaufzurutschen. Nicht dass ich die Folge gehasst habe, nein, es sind einige sehr schöne Momente dabei und alles in allem kann ich nicht behaupten, dass ich mich gelangweilt habe. Aber dann fallt ihr doch wieder in diese alten Muster zurück und lasst mich extrem zwiespältig den Abspann gucken. Dummerweise kann ich in dieser Rezension schlecht ins Detail darüber gehen, was genau mich so gestört hat, denn dann müsste ich anfangen hart zu spoilern und das will dann ja auch wieder niemand. Ich bin sicher, das habt ihr extra so gemacht, ihr Gauner.
Ein mörderisches Frauenzimmer
Es ist ja nicht alles schlecht. Gut, der Start ist tatsächlich etwas holprig. Da wir uns im Jahr 1895 befinden, müssen wir offenbar erstmal wieder Sherlock und Watson in diesem Setting kennenlernen, also wird im Schnelldurchlauf das erste Treffen zwischen den beiden recycled. Inklusive Gags aus der ersten Staffel. Okay, geschenkt. Auch sonst wirkt es ein wenig befremdlich, die gewohnten Figuren in diesem Setting zu sehen und irgendwie wirkt es am Anfang ein wenig, als würden sich auch Martin Freeman und Benedict Cabbagebunch nicht allzu wohl fühlen.Irgendwie fehlt auch den Dialogen ein wenig der gewohnte Rhythmus und die Leichtigkeit. Auch mit Einführung des (scheinbaren) Hauptfalles legt sich diese Verunsicherung nicht so ganz, aber dann tauchen auch schon wieder die ersten Meta-Kommentare, Kamera-Tricks und cleveren Kulissenspielchen auf und erinnern uns freundlich daran: Jepp, es ist immer noch Sherlock, was wir hier gucken.
Der Fall ist eine klassische Kriminal-Gruselgeschichte: Die unglücklich verheiratete Braut Emelia Ricoletti jagt sich an ihrem Hochzeitstag eine Kugel in ihren Schädel. Wenig später steht sie allerdings wieder quicklebendig auf der Matte und tötet ihren Ehemann. Trotzdem ist ihre Leiche anschließend vollkommen unbeweglich im Leichenschauhaus aufzufinden. Nichts scheint die untote Braut auf ihrem unerbittlichen Rachefeldzug stoppen zu können. Hier kommen latürnich Sherlock Holmes und Dr. Watson ins Spiel, die sich des Falles annehmen.
Visuell wird die Geschichte der Braut sehr ansprechend präsentiert, auch wenn leider nie eine ähnlich beklemmende Atmosphäre wie in der unterschätzten Der Hund von Baskerville-Folge der Show aufkommen will. Auch fehlt es in den Dialogen zwischen Sherlock und Watson an wirklichen Charaktermomenten, wie es selbst die dritte Staffel in ihren besten Momenten zu schaffen wusste (die Hochzeits-Episode, anyone?). Aber Cumberbatch und Freeman bleiben mit vollem Spielspaß in ihren Rollen und stürzen sich mit sichtbarer Freude an die blitzschnellen Streitereien zwschen ihren beiden Figuren. Auch die anderen Charaktere aus dem Sherlock-Universum bekommen ihre 1895-Momente: Lestrade mit dicken Koteletten ist recht selbsterklärend großartig und die Mycroft-Version dieser Zeitlinie ist sogar regelrecht fantastisch und führt zu meinen absoluten Lieblingsszenen in der gesamten Folge.
Seufz
Und gerade als man sich so richtig in das Setting eingefunden hat, gerade als der Fall beginnt, interessant zu werden, gerade als Sherlock und Watsons Dialogfeuerwerk seinen Höhepunkt erreicht, gerade als die Folge wirklich gut zu werden beginnt … kommt ihr, Steven Moffat und Mark Gattis und zieht uns nach der Hälfte der Folge den Teppich unter den Füßen weg. Ich gebe zu: Es kommt verdammt unerwartet und die Inszenierung dieses Momentes ist großartig. Jepp, ich weiß, ihr habt voll auf diesen „Mind = blown“-Effekt abgezielt und verdammt nochmal, es wirkt.
Aber hier ist das Problem:
Es. Ergibt. Absolut. Keinen. Sinn. Und ja, das Drehbuch verknotet sich heftiger als meine iPod-Kopfhörer, um das alles zu erklären. Jedes Detail wird erklärt und versucht, in einen vernünftigen Kontext zu setzen. Eine Mühe, die ihr beiden lieber mal auf die Geschichte an sich hättet konzentrieren sollen. Denn es raubt dem eigentlichen Fall jegliche Relevanz. Sobald die Katze aus dem Sack ist, spielt der Rest des Films sowie das gesamte Setting überhaupt keine Rolle mehr. Was vielleicht sogar ganz gut so ist, denn die Auflösung, obwohl gut gemeint und auf seine Art gar nicht mal so unklug, ist dann doch recht enttäuschend und vorhersehbar. Aber es ist eh egal, denn die Kopfhörer sind und bleiben verheddert, da hilft auch kein noch so verzweifeltes Ziehen und Zergeln in verschiedene Richtungen.
Es tut mir leid, ich weiß, ihr meint es gut. Und ich bin mir sicher, dass viele Zuschauer den Twist als genial bezeichnen würden und ich kann es verstehen. Es ist eine recht beeindruckende 180-Grad-Wende. Aber sie verkörpert leider JEDES verdammte Problem, das die Show in letzter Zeit hatte. Und dann baut ihr zwei auch noch eine richtig beschissene Meta-Sequenz ein, die so echt nicht hätte sein müssen. Winziger Spoiler hier, das Stichwort lautet „Wasserfall“.
Ich rege mich hier seitenweise auf, weil ich teilweise echt Spaß gehabt habe an der Folge. Die Schauspielleistungen (inklusive dem herrlich überzogenen Overacting eines gewissen Schauspielers, der hier zurückkehrt und aus massiven Spoilergründen ungenannt bleibt) sind durch die Bank weg grandios, der Fall ist cool, das Setting macht Spaß – alle Zutaten waren da für eine geradeheraus erzählte Spezialfolge von einer nach wie vor ziemlich bahnbrechenden Erfolgsserie. Und wer weiß, mit ner rechtzeitig ausgeteilten, gut platzierten Nackenschelle wäre sie das vielleicht auch geworden.
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