Sherlock
Mit Sherlock Holmes sind große Namen verbunden! Der unvergleichliche Basil Rathbone, den ich nur ungern verpasse, wenn um 2 Uhr nachts eine der Schwarz-Weiß-Episoden im Öffentlich-rechtlichen wiederholt wird. Selbst mein erster Kinofilm, Basil, der Mäusedetektiv, wurde nach ihm benannt. Peter Cushing im Hund von Baskerville, vielen vielleicht als Großmoff Tarkin aus Star Wars bekannt. Und natürlich Jeremy Brett, der so manche Kindheit in den 80ern prägte.
Ein Gastbeitrag vom Rollenspielblogger Ingo Schulze aka Greifenklaue.
Kann es also gelingen, eine der häufigst verfilmten und höchst beliebten Figuren in die Moderne zu transportieren und eines der wichtigsten Elemente von Holmes – sein viktorianisches Umfeld – unter den Tisch fallen zu lassen? Die auch für mich überraschende Antwort: Ja, es kann! Und das sogar ziemlich gut!
„Schuld“ daran sind sehr liebevolle, das Original verehrende Drehbücher, die aber eben doch im entscheidenden Punkten abweichen (und damit überraschen) und zweier exzellenter Hauptdarsteller, für die ja die Serie selbst der große Durchbruch war.
Der Adaption gelingt es auch moderne Elemente wie Handys, SMS oder Taxis (statt Droschken) einzusetzen, ohne dass diese die Plots sprengen würden. Und auch wenn manchmal ein Element sehr in den Vordergrund rutscht, wirkt er trotzdem nicht störend.
Die erste Staffel besteht aus den drei je 90-minütigen Fällen: »Ein Fall von Pink« , »Der blinde Banker« und »Das große Spiel«. Zu Beginn der Staffel lernen wir Holmes in »Ein Fall von Pink« (eine Hommage an »Eine Studie in Scharlachrot«) als exzentrischen Außenseiter kennen, der gerade einen Mitbewohner sucht. Im voll besetzten Presseraum der Polizei wird von einer zusammenhängenden Selbstmordserie berichtet und Inspektor Lestrat berichtet, da bimmeln alle Handys und eine SMS mit „Falsch!“ kommt an. Und als Lestrat ergänzt, „Unsere besten Leute arbeiten an dem Fall!“ erneut eine SMS: „Falsch!“ Absender: Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch), Exzentriker, Soziopath und Consulting Detektiv. Die erste Szene mit ihm zeigt ihn wie wild mit einer Reitgerte im Labor auf etwas einprügelnd. Offenbar ein neuer Fall …
Watson (Martin Freeman) hingegen wird als Afghanistan-Veteran eingeführt, mit psycholgischen Problemen und auf Mitbewohnersuche. Da Sherlock auch auf Wohnungssuche ist, werden beide von einem gemeinsamen Bekannten zusammengeführt, wobei Sherlock natürlich seine Show abzieht und allerlei Details aus Watsons Leben preis gibt – alles aufgrund kleiner beobachteter Details.
Die beiden wachsen nach und nach zu einem Team zusammen, wobei beiden Schauspielern auch viel Platz für Charakterspiel gegeben wird. Sherlock als schwieriger Mitbewohner, Egoist und jemand, der schlecht mit Menschen reden kann und nur ein Auge für zwischenmenschliche Beziehung hat, wenn sie andere betreffen. Darunter muss auch die Pathologin Molly Hooper leiden, die schwer in ihn verliebt ist, aber in so mancher Folge von Sherlock vor den Kopf gestoßen wird – meist natürlich, ohne dass er das bemerkt. Mit Dr. John Watson hingegen wird ihm ein durchaus kompetenter Partner zur Seite gestellt, der seine eigenen Stärken hat – ähnlich der Sherlock Holmes-Reihe mit Jeremy Brett, wo Dr. Watson für Holmes eine verlässliche Stütze wird. Watsons einstige fiktive Buchveröffentlichungen der Fälle werden durch einen Blog ersetzt, der nach und nach populärer wird – sogar populärer als Sherlocks eigener Blog. Daneben versucht Watson wieder seine ärztliche Tätigkeit aufzunehmen und hat einige Frauengeschichten am Start, die nicht selten von Sherlock torpediert werden. Erstaunlich – aber schon innerhalb der ersten Staffel gelingt es in drei Folgen aus vorher Unbekannten ein Freundesduo zu schmieden, welches durch dick und dünn geht – und dies glaubwürdig zu vermitteln.
Als roter Faden zieht sich durch die drei Fälle, dass Sherlock seiner Nemesis immer näher kommen, bis sie sich schließlich offenbart …
Mycraft Holmes, Sherlocks Bruder, ist auch mit von der Partie und deutlich öfter zu sehen als im Original. Wie dort ist er eine Art graue Eminenz hinter der britischen Regierung, was besonders in Staffel 2 deutlich wird. Diese besteht aus »Ein Skandal in Belgravia«, »Die Hunde von Baskerville« und »Der Reichenbachfall«. Versucht Mycraft am Anfang von Staffel 1 noch, Watson als seinen Spion zu rekrutieren, der ein Auge auf seinen Bruder hat, ist er es, der in »Ein Skandal in Belgravia« Holmes um Hilfe bitten muss. Die Hommage an »Ein Skandal in Böhmen« führt natürlich auch Irene Adler ein, diesmal jedoch nicht als einfache Geliebte, sondern als Domina – die pikanterweise auch noch mit beiden Ehepartnern von Adel unabhängig voneinander eine Affäre hat. Der Fall um potentielle Fotos, die zur Erpressung dienen, ist ähnlich gestrickt wie das Vorbild. Allerdings erwartet diesmal Irene Adler Sherlock Holmes, der wie im Original als Opfer einer Straftat versucht, ins Haus zu gelangen. Diese erwartet ihn jedoch nackt in ihren Gemächern – wie Miss Adler so treffend kommentiert, als sie ihn nach seinem Namen fragt, „Da kann einem schon mal der Tarnname entfallen, wenn einem der Schreck in die Glieder fährt“. Insgesamt entspannt sich zwischen beiden ein spannendes, aber auch knisterndes Denker-Duell.
Auch »Die Hunde von Baskerville« ist eine liebevolle Hommage ans Original, der pointiert mit dem Original spielt. Allerdings ist diesmal ein Biowaffen-Forschungslabor involviert, welches zumindest Mycroft bekannt sein dürfte …
In »Der Reichenbachfall« kommt es erneut zu einem Psychoduell zwischen Sherlock und Dr. Moriaty, Superverbrecher oder doch nur ein einfacher Schauspieler, engagiert um Sherlock Holmes abzulenken? Brilliant gemacht! Und wieder ein echt gemeiner Cliffhanger.
Auch die markante musikalische Untermalung, welche Spannung perfekt unterstreicht und zu leisen wie zu lauten Tönen in der Lage ist, trägt viel zur rundherum gelungenen Vorstellung bei.
Fazit: Ich finde alle sechs Fälle gelungen inszeniert und spannend verändert, aber immer mit Liebe zum Original. Gerade die Neuinterpretation der diversen Fälle macht Spaß, weil man ja die Originale schon kannte und so wieder überrascht wird. Beiden Schauspielern hat die Serie nicht umsonst zum Durchbruch verholfen, ich selbst habe nach »Sherlock« fast alles von Benedict Cumberbatch gesehen, einfach weil mir seine Variabilität und sein Charakterspiel gefällt. Nur für Sherlock Holmes-Puristen ist diese Adaption nicht, ausprobieren würde ich sie jedoch im jeden Fall – und näher dran am Original als die neuen Kinofilme sind sie allemal!
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD-Box mit den ersten beiden Staffeln von Polyband erhalten.
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